piwik no script img

Autor Riccò über Flüchtlingselend"Die Leute haben wunderbar reagiert"

Eine Gruppe Deutscher und Italiener hat sich in Hannover zusammengetan, um etwas gegen die Not der vielen Flüchtlinge vor Lampedusa zu tun - auf der Bühne.

Ambivalent: Das Tor auf Lampedusa soll Gastlichkeit zeigen - und ist aus dem Holz von Flüchtlingsbooten gebaut. Bild: Archivio Storico Lampedusa / Fabio Givannelli
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Haben Sie sich gerade als Italiener aufgefordert gefühlt, etwas für die Lampedusa-Flüchtlinge zu tun, Herr Riccò?

Antonio Riccò: Das hat mit Sicherheit für mich eine Rolle gespielt – aber auch für viele andere Italien-Stämmige, die in unserem Projekt tätig sind. Unter uns sind auch Sizilianer, die sich da emotional sehr nahe fühlen: den Lampedusanern und, logischerweise, vor allem den Flüchtlingen, die dort ankommen.

War jemand von Ihnen schon selbst auf Lampedusa?

Ich persönlich war nicht da, aber diejenigen, die aus Sizilien kommen, kennen die Insel. Es war eine Mischung aus Scham, Mitverantwortung, Wut und Trauer, als wir von der furchtbaren Tragödie am 3. Oktober letzten Jahres gehört haben.

Lange hat sich kaum jemand für die Ertrunkenen vor der Insel interessiert.

Der 3. Oktober ist der Höhepunkt, wenn man so will, aber kein Einzelfall. Ich war beeindruckt von dem Ausmaß der Tragödie und zugleich von der Reaktion der Inselbewohner. Traditionell ist Lampedusa ein Tor zwischen Afrika und Europa und die Insulaner – inzwischen haben wir zahlreiche Kontakte zu ihnen – verstehen sich als Nachfolger derjenigen, die jahrtausendelang dort Gastlichkeit gezeigt haben. Aber in den letzten Jahren haben sie durch die Politik der Europäischen Union eine zusätzliche Funktion bekommen: sie sind Stellvertreter für uns alle an der Außengrenze und müssen die Unzulänglichkeiten der Politik mittragen und mit bezahlen. Sie haben in diesen Stunden wunderbar reagiert.

Davor hat man auch Berichte gelesen, wonach die Lampedusaner aus einem Gefühl der Überforderung heraus aggressiv auf Flüchtlinge reagierten.

Genau das habe ich die Inselbewohner gefragt – es gibt übrigens einen Verein aus Lampedusa, der uns bei unserem Vorhaben unterstützt. 2011 waren die Zeitungen voll von Berichten, dass die Lampedusaner den Flüchtlingsstrom stoppen wollten und es schien, dass rechts gerichtete Parolen umgehen würden.

Im Interview: Antonio Umberto Riccò

59, italienischer und deutscher Staatsbürger und Mitbegründer der Arbeitsgruppe "Unser Herz schlägt auf Lampedusa" in Hannover.

Was hat man Ihnen geantwortet?

Dass es einen riesigen Unterschied gibt, zwischen dem, was 2011 und dem, was in den letzten Monate passierte. Damals hat sich die Bevölkerung nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gestellt. Sie haben gegen die Bedingungen protestiert, die furchtbar waren – und noch sind. Damals kamen viele Menschen aus Tunesien, die gerade aus den Gefängnissen befreit worden waren. Und man muss sich bewusst machen: Lampedusa ist ein Fünftel so groß wie Sylt. Es sind wenige Tausend Einwohner, dazu kamen mehrere Tausend Flüchtlinge. Oft waren es junge Leute, die ein bisschen auf Abenteuersuche waren, während es jetzt und in den Monaten vorher Menschen waren, die vor Krieg und Armut flüchteten. Die Bevölkerung hat alle Türen geöffnet und viel mehr getan als – das muss man leider sagen – der Staat.

Wie kamen Sie zu der Idee, eine szenische Lesung mit Musik zu machen?

Ich suchte eine Möglichkeit, persönlich mit dem Thema fertig zu werden und habe ein paar E-Mails an Freunde geschickt: Heute schreiben alle Zeitungen darüber, aber in wenigen Wochen wird es vergessen – das darf nicht sein. Die Freunde, darunter der Musiker Franceso Impastato, haben sofort geantwortet: Ja, machen wir etwas. Aber was? Ich habe gesagt: Wir könnten auf der Grundlage der Zeugenaussagen der Flüchtlinge und Helfer eine szenische Lesung machen.

Das heißt, Sie haben eine Collage daraus gemacht?

Wir haben fünf Sprecher, zwei davon sind Erzähler, die das Publikum in die Geschichte begleiten. Am Anfang erzählen die Flüchtlinge, woher sie kommen, von den Schleppern, der Überfahrt, der Panik an Bord, dem Kentern. Dann kommen die Retter: ganz normale Leute, Touristen, Fischer, die vor Ort waren. Sie haben getan, was jeder Mensch, der den Namen verdient, in so einer Situation tun müsste. Dazwischen sind Musikstücke von Francesco Impastato eingebaut. Er ist Sizilianer und ich wage zu sagen, dass man in den Stücken das Meer und die Kultur des Mittelmeers spürt, die eigentlich eine positive und offene Kultur ist, es gibt auch Trauer und Wut darin.

Von Hause aus waren Sie Schuldirektor – jetzt sind Sie Texter, Logistiker, der die Lesung an andere Veranstalter weitergibt. Wie finden Sie sich da hinein?

Als Schulleiter muss man mit organisatorischen Dingen umgehen können. Was das Schreiben anbelangt: Ich habe vor einigen Jahren zwei Romane geschrieben, von denen der eine um ein verwandtes Thema geht: zwei Brüder aus Afghanistan, die nach Italien kommen und dort in den Maroni-Jahren leben.

Wer ist Maroni?

Das war der italienische Innenminister, der gesagt hat: Man muss rabiat gegenüber den Flüchtlingen vorgehen. Wir zitieren ihn auch in unserem Stück. Ebenso wie den deutschen Innenminister Friedrich. Er sagte kurz nach dem Unglück, dass die Dublin-II-Verordnung – die besagte, dass jeder Flüchtling nur in seinem Erstankunftsland Asyl beantragen darf – selbstverständlich nicht verändert werde. Wir wollen das Publikum mit den Fragen konfrontieren, die aus diesen Schilderungen entstehen.

Zum Beispiel?

Normalerweise hat man die Flüchtlinge immer schon 70 Meilen vor Lampedusa identifiziert und ihnen geholfen. Wie kam es, dass sie am 3. Oktober ganz nah an die Küste kamen, ohne Hilfe zu bekommen? Gab es eine Verzögerung der Hilfe? Das haben die nicht-professionellen Helfer hinterher gesagt. Wir lassen alle Stimmen dazu hören.

Den italienischen Honorarkonsul haben Sie nicht überzeugt.

Er meinte, wir würden eine Tragödie auf ein Theaterstück reduzieren. Außerdem sei das Problem auf Lampedusa gelöst. Das war uns ein Ansporn, das Stück umso besser zu machen.

Angesichts der vielen anderen Unterstützer: Gibt es gerade ein so breites Unbehagen an der europäischen Flüchtlingspolitik, dass sich jetzt etwas ändern könnte?

Das ist schwer zu sagen – stellen Sie die Frage in einigen Monaten noch einmal. Derzeit kann ich nur sagen: Wir möchten die Lesung nicht nur dort zeigen, wo die Leute ohnehin interessiert sind. Sondern auch in Vierteln, wo sich eine Bürgerinitiative gegen ein Flüchtlingsheim gegründet hat.

Szenische Lesung „Lampedusa, 3. Oktober 2013“: Vorpremiere am 18. März, 17 Uhr, IGBCE, Königsworther Platz 6, Hannover; Premiere am 30. März, 11 Uhr, Cumberlandschen Galerie, Hannover

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!