Autobiografie von Stuckrad-Barre: Rausch als Haltung
Es geht um Lindenberg und Angst. Stuckrad-Barre, der in einem Drogenloch verschwundene Popstar der Literatur, ist mit einer Autobiografie zurück.
Hunter S. Thompson schrieb einmal, Schreiben sei wie Ficken, es mache nur den Amateuren Spaß. Jenseits der Qual jedoch, die das Schreiben über sein Leben vermutlich auch Benjamin von Stuckrad-Barre bereitet hat, war es für ihn vor allem eine Therapie, um wieder Zugriff auf sein Leben zu bekommen, das ihm für einige Jahre entglitten war, weil Kokain das Kommando übernommen hatte.
Niemandem fällt es leicht, über seine Abhängigkeit zu schreiben. Aber das ist nicht der Punkt, denn plötzlich ist nicht mehr die Droge der Feind beziehungsweise der Freund, sondern der Leser, also ein Fremder, dem man sich öffnet und dessen voyeuristischem Blick man sich aussetzt. Man braucht also eine exhibitionistische Ader, will man das Publikum nicht langweilen, sondern unterhalten und in seinen Bann ziehen. Und das beherrscht Stuckrad-Barre wie kaum ein anderer.
In seiner Autobiografie „Panikherz“ (erscheint im März bei Kiepenheuer & Witsch) lässt sich nachlesen, wie er durch Raum und Zeit jagt wie ein Getriebener, dessen Leben schneller verbrennt als andere, nicht nur deshalb, weil er drogenabhängig war. Stuckrad-Barre gehört zu jener seltenen Sorte von Autoren, die ein Leben als Popstar geführt haben. Und genau das wollte er auch.
Als Schüler in Göttingen fängt alles an, als Plattenkritiker, um gratis auf Konzerte zu kommen. In seinem Leben auf der Überholspur ist er Praktikant bei der taz-Hamburg, arbeitet als Redakteur beim Rolling Stone, bekommt einen Job bei der Plattenfirma Motor Music, wird Gagschreiber bei Harald Schmidt, persönlicher Referent von Küppersbusch, Redakteur bei der FAZ, Moderator bei MTV, schreibt in kurzer Zeit mehrere Bücher und geht mit ihnen auf ausverkaufte Tourneen. Alkohol und Kokain werden zu ständigen Begleitern, um die immer schneller rotierende Maschine zu ölen, um sich wegzubeamen und abzuheben.
Nicht das schlechteste Lebenskonzept
Mitte der achtziger Jahre wird Stuckrad-Barre von Udo Lindenberg musiksozialisiert, eine Liebe, die sein ganzes Leben bestehen bleibt, weil Lindenberg bei ihm eine Saite zum Schwingen bringt, die mit der Sehnsucht der Jugend zu tun hat. Bei Lindenberg entdeckt Stuckrad-Barre den „Rausch als Spaß und Selbstzweck, Rausch aber auch als Protest, als Haltung. Als Art, durchs Leben zu taumeln und nur sehr ausgewählt die permanenten Ernsthaftigkeitsangebote der Umwelt anzunehmen“.
Und das ist eine Beschreibung, die Lindenberg auch Leuten sympathisch macht, die ihn eher für etwas schlicht halten, denn es ist nicht das schlechteste Lebenskonzept. Und auch wenn Stuckrad-Barre in den Anfängen seines Journalistenlebens Lindenberg einmal im Rolling Stone in die Pfanne haut, weil er zu klug ist, die fortschreitende „Mumifizierung“ Lindenbergs nicht zu bemerken, so haben ihn die Lindenberg-Songs doch geprägt.
Noch im weggetretensten Zustand kann er die Lyrics auswendig, findet er in seiner Autobiografie für jede Situation die richtigen Lindenberg-Worte. Lindenberg wird ein wichtiger Freund, der immer da ist, wenn Stuckrad-Barre ihn braucht. Stuckrad-Barre muss konzedieren, dass sich mit Häme ein Idol nicht so ohne Weiteres aus dem Weg räumen lässt, dass enttäuschte Liebe nur dazu taugt, als „Karikatur seiner selbst“ zu enden, und dass „mitmachen“ viel besser ist.
Das kann man leicht als selbstentlarvend empfinden, und viele werden auch sagen, dass Stuckrad-Barre nie etwas anderes wollte. Das stimmt, aber der Erkenntniswert des „Das habe ich ja schon immer gewusst“ ist eher gering, denn das Geltungsbestreben eines jungen Menschen ist letztlich von der Paradoxie bestimmt, alles einreißen zu wollen, dies aber nur tun zu können, wenn man mitmischt, wenn man nicht „rein“ bleibt, indem man alle Angebote ausschlägt und somit nichts bewegt.
Benjamin von Stuckrad-Barre, Panikherz, Kiepenheuer & Witsch, erscheint am 10.3.2016, 19,99 Euro.
Stuckrad-Barres literarische Helden heißen Bukowski, Hemingway, Kerouac, Burroughs, Henry Miller und Ellis. Nicht zu vergessen Jörg Fauser, der in Stuckrad-Barre den Wunsch weckt, „später mal ... allabendlich mit Trenchcoat im ROTLICHTVIERTEL rumzutigern, immer auf der Flucht und in Schwierigkeiten, Hinterzimmer, Tapetentüren, letzte Münzen in die Jukebox und dann ab durch den Notausgang, mit der Kellnerin durchbrennen“.
Gegen das Leben immunisiert
Genau das macht er auch. Sehr konsequent und zielstrebig, bis sämtliche Türen zugeschlagen sind und es keinen Ausweg mehr gibt. Mit diesen Leuten im Gepäck ist er gegen das Leben immunisiert, das sein protestantisches Elternhaus für ihn vorgesehen hat und das er fürchtet.
Nach dem Leben als Popstar kommt der Absturz. Stuckrad-Barre geht durch die Hölle. Er hinterlässt „eine Schneise der Enttäuschung und Zerstörung“, er verliert den Bezug zur Realität, flüchtet aus allen sozialen Bindungen, vergräbt sich, heckt wahnwitzige Pläne aus, solange das Koks das Gehirn auf Touren bringt, und versteht die kurz vorher entworfene „rätselhafte Pfeilgraphik“ selbst nicht mehr, die das ganz große Ding hätte werden sollen.
Die Sucht ist deprimierend, eintönig, öde. Sie zu beschreiben, daran sind viele gescheitert, denn sie lässt den Menschen auf ein Reiz-Reaktions-Bündel schrumpfen, weil kaum etwas passiert und jede Abweichung vom Gewohnten als bedrohlich wahrgenommen wird. Stuckrad-Barre bleibt distanziert, analytisch, erscheint nie mitleidig und dennoch schafft er es, dass man zu begreifen glaubt, was das ist, die Sucht.
Horrortrip: Klassentreffen
Vielleicht wegen seiner Gewissheit, wirklich am Ende zu sein, gerät Stuckrad-Barre aus dem Gleichgewicht, als ihn die Einladung zum 20-jährigen Klassentreffen erreicht. In einer seitenlangen angstneurotisch gesteuerten Suada, die literarisch zu einem der Highlights in dem an Highlights nicht armen Buch gehört, fallen ihm tausend Gründe ein, warum er die Einladung nicht annehmen kann. „Wer sagt, ‚Das müssen wir unbedingt wiederholen‘, will nach Hause. Wer etwas zu laut und oft sagt, ‚Ich bin ein totaler Familienmensch‘, ist fertig mit den Nerven, sehnt sich nach Einsamkeit. Wer sagt, ‚Du hast dich ja echt kaum verändert‘, möchte genau das über sich selbst hören, und zwar schnell.“
Am Ende der langen Liste von Verhaltensgestörtheiten, die jeder kennt, bleibt nichts mehr übrig, ist jede Gewissheit, die den Menschen am Laufen hält, zerpflückt. Stuckrad-Barre kann all diesen Leuten nicht gegenübertreten, weil er sich in ihnen spiegeln würde, sich selbst wiederbegegnen, dem, der er mal war und werden wollte. „Die Erinnerung ist die einzige Hölle, aus der es kein Entrinnen gibt. Und an sie zu rühren, sie zu betreten, sie mit Gegenwart aufzuladen, heißt, einen Kampfhund zu reizen.“
Stattdessen entdeckt er auf der Flucht vor ihr eine ungewöhnliche Schönheit: die Reeperbahn, „wenn die Nacht sich dem folgenden Tag ergab, wenn es schon dämmerte und die allerletzten Angebote gemacht wurden, wenn wirklich nur noch die Profis und Fertigen unterwegs waren und das sanfte Crescendo der Straßenkehrmaschinenbürsten andeutete: Das war‘sfür heute.“ Das mag romantisierend klingen, auch wenn die gesellschaftliche Konvention in einem solchen Bild nur etwas Abschreckendes sehen kann. Aber Erlebnisse, in denen wir Glück empfunden haben, werden nun mal später zwangsläufig romantisiert, weil sie unwiederbringlich vorbei sind und dadurch zu unerfüllten Sehnsuchtsorten werden.
Der Kampfhund Erinnerung
Stuckrad-Barre hat den Kampfhund Erinnerung gereizt, und herausgekommen ist ein großes Buch, ein Buch, das bleiben wird, weil er sein Leben in die Waagschale geworfen hat, um Ruhm und Erfolg zu erlangen. Er ähnelt damit mehr, als er es vielleicht weiß, weil der Name in seinen hagiografischen Aufzählungen nie auftaucht, Hunter S. Thompson, auch ein Getriebener und großer Autor.
„Das Leben ist ein mittelmäßiges Theaterstück mit einem schlecht geschriebenen dritten Akt“, zitiert Stuckrad-Barre gern einen seiner Säulenheiligen, Fitzgerald, weil ihm sein eigenes Leben so erscheint. Das hört sich wie Koketterie an, denn auf das Leben, das uns aus seinem Buch entgegentritt, trifft das ganz und gar nicht zu.
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