Autobiografie von Duran-Duran-Bassist: Vierhundert Seiten Langzeittherapie
Mit Duran Duran wurde John Taylor zum Teenieschwarm, seine Biografie zeugt von einem stürmischen Starleben. Eine Begegnung in London.
Am Ende hat er das Ganze nicht nur überlebt. Er ist sogar schon lange clean, sagt er. Und spielt wieder mit den „Wild Boys“, besser gesagt den wilden Alten zusammen.
Im letzten Kapitel der soeben auf Deutsch erschienenen John-Taylor-Biografie „Gefährlich gute Grooves“ treten seine Band Duran Duran, der globale Jungmädchen-Föhnfrisur-Traum der Achtziger, fast in Originalbesetzung 2011 beim Coachella-Festival auf. „Vieles hat sich in den letzten 30 Jahren verändert“, schreibt Taylor, „Computer. SUVs. Nasenhaarschneider. Therapie via Skype. Überall hervorragender Kaffee. Was sich nicht ändert, sind die Töne auf dem Griffbrett meines Basses …“
John Taylor ist der schmale Mann am Bass, der Hübsche mit der fragwürdigen Tolle, die nach den Achtzigern schreit. An einem kühlen Sommertag im Jahr 2013 sitzt er in der Nähe des schmucken Londoner Eaton Place im Frühstücksraum eines Hotelbunkers, dessen Fassade sich verschämt hinter dem blitzweißen Putz der Nachbarhäuser wegduckt.
Taylor ist heute 53 Jahre alt, er trägt die Haare ordentlich, dazu Pulli und Hose statt flamboyanter Hemden. „Aber die Schluppenbluse, die Sie anhaben, hätte ich damals auch gemocht“, sagt er.
Klein war er natürlich schon immer, einzig Sänger Simon LeBon ragte stets über die Band hinweg. Taylor sieht nicht alt aus, eher so, als ob er einiges weggezogen und noch mehr durchgemacht hat.
Eine Kindheit in Hollywood
Was genau, das hat er auf über 400 Seiten ausgebreitet wie eine spannende, bodenständige Langzeittherapiesitzung: Von der Kindheit in einem Vorort von Birmingham, der „Hollywood“ hieß, über musikalische Erweckungserlebnisse mit Kirchenhymnen wie „Away in a manger“ oder „O come all ye faithful“, über Songs der Beatles, die den Söhnen damals von ihren in die Fab Four verknallten Müttern vorgesungen wurden, bis zur dramatischen Sprachlosigkeit eines vom Zweiten Weltkrieg traumatisierten Vaters.
Und von der Musikerziehung durch den New Musical Express, der Begeisterung für Glamrock, Roxy Music und David Bowie bis zum Punk und zu den Sex Pistols.
Brillenschlange und Außenseiter Nigel John Taylor, wie er eigentlich heißt, lümmelt auf verschwommenen Siebziger-Jahre-Fotos im Buch bemüht cool vor – später dann auf – der Bühne herum. Er benimmt sich, wie Halbstarke sich seit jeher benehmen. Bei einem Auftritt von Johnny Thunders in den Siebzigern, in den Taylor, wie er es damals immer tat, einen Kassettenrekorder hineinschmuggelte, erlebte er als Vorgruppe eine Band, von der er noch nichts gehört hatte: The Police.
„Der Sänger von The Police spielte auch Bass, was gar nicht punkgemäß auf mich wirkte“, schreibt er im Buch. Taylor hat den damaligen Wortwechsel aufgenommen und in seiner Biografie verewigt: „Sting: Gleich kommen die Heartbreakers. Wisst Ihr, sie können nicht spielen. Ich: Fuck off! Sting: Wer hat fuck off gesagt? Ich: Das war ich. Sting: Sie sind wirklich tolle Jungs, aber sie können nicht spielen. Ich: Hau ab, du Wichser!“
„Als Teenager“, erzählt Taylor, während er am stillen Wasser nippt und die Lesebrille verstaut, „habe ich ausschließlich moderne Musik gehört, nicht olles Zeug wie die Beatles, und ganz bestimmt keinen Jazz. Ich wollte nur die Sex Pistols hören!“
Es gab noch keine Internet Movie Database
Taylor schreibt über die Bandgründung von Duran Duran, die lange Suche nach dem Sänger, die ein Ende hatte, als der damals weißblond gefärbte und mit poetischen Textfragmenten in einer Chinakladde herumlaufende LeBon dazustieß. Pragmatisch erklärt Taylor, wieso die Band nicht Durand-Durand (wie der Bösewicht im Film „Barbarella“) heißt: „Weil du im Film weder das ’d‘ am Ende noch den Bindestrich hören kannst. Und außerdem, Internet Movie Data Base gab es damals noch nicht.“
Gespielt haben Duran Duran dann aber nicht Punk, sondern Pop, aufgehübscht und reich dekoriert mit dem Begriff „New Romantic“. Denn der Nile-Rodgers- und Chic-Fan Taylor hatte nicht das Bedürfnis, die Umwelt zu brüskieren, sondern Grooves hinzukriegen, die alle mitreißen: „Als aktiver Musiker war ich nie politisch motiviert, ich wollte nicht schockieren“, erzählt er.
„Es war eher so, dass die Band mir ein Zuhause geben konnte, etwas, mit dem ich mich identifiziere. Ich hatte eine Menge Selbstzweifel, als ich jung war. Und es gibt ja zwei Möglichkeiten, sich in Musik zu verlieren: Sie allein zu hören und zu empfinden, und dann diese Erfahrung, die Musik gemeinsam mit 2.000 anderen bei einem Konzert zu hören, als ob man plötzlich seinen Stamm findet.“
Der Stamm wuchs gewaltig, als man die Siebziger mitsamt ihren Hippie-Endmoränen hinter sich gelassen hatte und Taylor anfing, Kontaktlinsen zu tragen. „Planet Earth“ kletterte in die Charts, ihr zweites Album „Rio“ erschien, und das Video „Girls on Film“, es durfte nur spätabends bei MTV laufen, weil darin zu viele nackte Brüste wackelten.
Duran Duran hatten sich als moderate Vorläufer der später in Japan zu findenden Visual-Kei-Bands etabliert, als Band, die ohne Videoclips nie so groß geworden wäre, die von dem guten Aussehen ihrer Mitglieder extrem profitierte, und säckeweise Fanpost von begeisterten Teenager-Mädchen beantwortete.
Modelfreundinnen als Sammlerpuppen
„Vorher hatten wir gedacht, wir sollten am besten mit Musikmagazinen reden“, erzählt Taylor, „dabei ging es erst richtig los, als wir als gefaltete Poster in die Teenmagazine gelegt wurden!“ So wurde das zweite charakteristische Merkmal von Duran Duran geprägt: Die Band mit den austauschbaren Modelfreundinnen, die wie Sammlerpuppen das Prestige der Band heben sollten.
Im Buch schreibt Taylor, wie er in einer Bar von einer Frau angesprochen wird, der er eine unhöfliche Abfuhr erteilt, weil er mit seiner Freundin Chris – einem unbekannten schwedischen Model – unterwegs ist. Später erzählt ihm jemand, er habe Renée Simonsen, das aktuelle Titelgesicht der Vogue abblitzen lassen, und der frauenverwöhnte Popstar kommt schwer ins Grübeln: „Habe ich gerade wirklich so eine Chance ausgeschlagen? Ich mochte Chris, sie war toll, ein gutes Mädchen, hübsch … aber na ja, sie war nicht Renée Simonsen.“
„Es ging schon auch darum, die anderen Bands zu beeindrucken“, gibt Taylor im Gespräch zu, „das war fast wie ein Wettstreit.“ Aber das ausufernde Womanizing liegt inzwischen hinter ihm, und Fragen nach der geradezu fahrlässigen Oberflächlichkeit solcher auf Vogue-Cover und Machismus basierenden Gefühle kann er weglächeln. Taylor ist seit fast 15 Jahren mit einer Designerin verheiratet, hat eine erwachsene Tochter mit seiner Exfrau. Vor allem ist er einfach froh, dass es ihn noch gibt.
Denn der Grund dafür, dass er seine Biografie gerade jetzt schreibt, sich sowohl interessante, analytische Gedanken zum Zusammenhang von Zeitgeist und Schrifttypen oder von europäischem Pop und christlicher Kirchenmusik im Gegensatz zu amerikanischem Pop und Gospel als auch megalomane Flachheiten von der Seele tippt, ist – neben dem bestimmt gelegen kommenden Honorar – der Tod seines Vaters 2010 und sein Kampf gegen die Heroinsucht.
Zu kaputt für alles
„Das Buch ist eine Art umfassender nostalgischer Seufzer“, sagt Taylor. „Ich habe versucht, zu zeigen, dass ich eine wunderbare Kindheit hatte – und trotzdem später total im Arsch war. Drogensucht macht keinen Unterschied zwischen Alter, familiärem Hintergrund oder Klasse. Die Wurzel einer solchen Sucht liegt nicht unbedingt in der Kindheit.“ Taylor, der von Anfang an viel trank und seit den Siebzigern regelmäßig und immer mehr kokste, war zwischenzeitlich zu kaputt, um Musik zu machen. Zu kaputt, um sich um seine Frau, seine Tochter oder sich selbst zu kümmern.
Nach privaten und beruflichen Zerwürfnissen und Abstürzen, nach Göbeln auf Bürgersteigen und drogeninduzierten finanziellen Fiaskos machte er Ende der Neunziger einen erfolgreichen Entzug. Nach ein paar Jahren mit Ersatzbands und dem Umzug nach Los Angeles spielt er seit 2001 wieder bei Duran Duran. Ein paar nicht wirklich nötige Alben haben sie gemacht und auf Festivals nochmals ihre alten Hits gespielt.
Er gehe jetzt direkt zur Probe, kündigt Taylor dann auch zum Abschluss des Gesprächs an. Um in Form zu bleiben, spiele man noch, so oft man könne, wenn er in London sei.
Als der schmale Mann mit den etwas wächsernen Falten aus der Tür tritt, fällt keine der nach 1980 geborenen Rezeptionistinnen in Ohnmacht. Sein im Original „In the Pleasure Groove“ betiteltes Buch ist auf vielen Seiten nicht mehr als symptomatisches Popstargeschwätz. Aber auf den anderen erzählt es ehrlich, gut lesbar und nachdenklich von einem Jahrzehnt, in dem die Sache mit dem Pop und den Stirnbändern noch ernst gemeint war. In dem einen der „Wild Boys“-Pathos immer zum Grinsen brachte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag