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Ausweitung der Bezahlkarte geplantBezahlen mit der Stigma-Karte

Hamburg prüft die Ausweitung der Bezahlkarte auf Bezieher anderer staatlicher Leistungen. Hätten die auch mit den gleichen Restriktionen zu kämpfen?

Tausche Gutscheine gegen Bares: Wer die Bezahlkarte austricksen will, braucht Hilfe Foto: Patrick Pleul/dpa

Bremen taz | Das Land Hamburg gibt sich bei der Bezahlkarte weiter als Vorreiter: Während einige niedersächsische Kommunen sich noch dagegen sperren, die Karte für Asyl­be­wer­be­r*in­nen umzusetzen, plant der Hamburger Senat bereits eine Erweiterung. In einem „Vorprojekt“, so schreibt der Senat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken, werde aktuell die Nutzung auch für Emp­fän­ge­r*in­nen von Sozialleistungen geprüft.

Neu daran ist vor allem die Information, dass es tatsächlich einen Praxistest gibt. Die Idee, die Bezahlkarte auszuweiten, ist aber schon weit älter – sie stammt aus den Anfangstagen des Systems: Schon als im August 2023 durch eine Kleine Anfrage der Linken beim Senat bekannt wurde, dass Hamburg ein Pilotprojekt zur Bezahlkarte für Asyl­be­wer­be­r*in­nen plant, hieß es nach Einführung wäre sie „dann anwendbar für alle Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen, die über kein Konto verfügen“.

Auch in ihrer aktuellen Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken verweist der Senat auf diese Ursprungspläne – und ergänzt: „Diese Karte würde nicht den gleichen gesetzlich vorgesehenen Ausgestaltungsmöglichkeiten wie die Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen.“

„Ausgestaltungsmöglichkeiten“ – damit gemeint sind Beschränkungen: Asyl­be­wer­be­r*in­nen können mit der Karte nicht ins Ausland überweisen, sie können (in Hamburg und den meisten anderen Bundesländern) nur 50 Euro Bargeld abheben, und Überweisungen und Lastschriftaufträge nur an wenige ausgewählte Empfänger ausführen (zum Beispiel Mobilfunkanbieter oder bestimmte Inkassounternehmen). Darüber hinaus besteht bis heute technisch nicht die Möglichkeit, online mit der Karte zu bezahlen – obwohl das (für wenige zuvor definierte Zwecke) seit Langem versprochen ist.

Bezahlkarte – Erleichterung oder offen für Restriktionen?

So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen hätten solche Einschränkungen nicht zu befürchten, scheint die Antwort des Senats zu implizieren. Im Gegenteil: eine Erleichterung sollen die Karten sein. Für alle ohne Konto, argumentiert die Behörde in ihrer Antwort, könnte die Bezahlkarte „einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu ihren Geldleistungen ermöglichen.“ Auch das Land hätte Vorteile: Die Zahlstellen in den Bezirksämtern, in denen aktuell Bargeld ausgezahlt wird, würden entlastet.

Die Bürgerschaftsfraktion Die Linke, die die Anfrage gestellt hat, findet die Antwort trotzdem bedrohlich: „Wenn man es einmal einführt, ist das System für Restriktionen offen“, ist die migrationspolitische Sprecherin Carola Ensslen überzeugt. „So wie die Diskussion momentan läuft, sind Sozialleisungsbeziehende die nächste Gruppe, die diffamiert und bedrängt wird.“

Die Verankerung der Bezahlkarte im Sozialgesetzbuch könnte reichen, glaubt Ensslen, um dann mit Beschlüssen auf Verwaltungsebene alle möglichen Beschränkungen einzuführen. Das schließlich sei die Erfahrung aus der Bezahlkarte für Geflüchtete.

Und tatsächlich: Für die Einführung der Bezahlkarte wurde immer wieder damit argumentiert, Asyl­be­wer­be­r*in­nen könnten sonst ihr Geld ins Ausland überweisen. Allerdings gibt es kein deutsches Gesetz, dass Asylbewerberleistungsempfängern solche Auslandsüberweisungen verbieten würde. Mit der Karte wird es für die Inhaber aber praktisch unmöglich (oder sehr sehr schwierig). Ein entsprechender Beschluss der Innenministerkonferenz von Ende 2023 war dafür ausreichend, ein eigenes Gesetz wurde nicht gebraucht.

Die Bezahlkarte für So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen könnte schnell ähnliche Restriktionen mitbringen, glaubt Ensslen. „Ein kluges Argument“, findet Karl Jürgen Bieback, emeritierter Professor für Sozialrecht an der Uni Hamburg.Die Sorge teilt er in dieser Form trotzdem nicht. Der Unterschied: Im Asylbewerberleistungsgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen, dass nur Sachleistungen, also kein Geld, gewährt werden. Bei Sozialleistungen ist das anders, da geht es konkret um Geld.“ Gegen mögliche Einschränkungen bei einer Bezahlkarte könnten Leistungsbezieher deshalb erfolgreich klagen, vermutet er.

Die Hamburger Finanzbehörde erklärt auch auf Nachfrage hin nicht, wie das geplante Projekt konkret aussehen soll. Eine völlig restriktionsfreie Variante könnte bedeuten: In­ha­be­r*in­nen können die Karte wie eine kostenfreie Kreditkarte mit festem Verfügungsrahmen nutzen. Auslandsüberweisungen, Onlinekäufe, Barabhebungen in der Bank oder beim Supermarkt – alles wäre damit möglich. Für Menschen, die bisher kein Konto haben, würde das in der Tat eine Erleichterung bedeuten.

Bargeld stigmatisiert nicht

„Wäre das so ausgestaltet, könnte man es schlucken“, meint Ensslen. Bedenken hätte sie trotzdem – schon weil die Emp­fän­ge­r*in­nen bezüglich des Anbieters keine Auswahlmöglichkeiten hätten, und so all ihre Bezahldaten automatisch an den amerikanischen Konzern Visa fließen würden.

Auch Rechtsexperte Bieback sieht die Karte kritisch. „Es ist eine Stigmatisierung, mit so einer Karte zu bezahlen“, sagt er. „Das ist der große Unterschied zum Bargeld, da ist egal, woher es kommt: Geld stinkt nicht.“ Die Finanzbehörde weist den Vorwurf der Stigmatisierung allerdings von sich: Schließlich seien die Karten diskriminierungsfrei gestaltet und vom Design vergleichbar mit anderen Debitkarten.

Die angebliche Erleichterung im Zahlungsverkehr hält Bieback dennoch für ein „politisches Konstrukt“ – schließlich fordert die EU-Gesetzgebung ein Basiskonto für alle. Das Problem dabei sind oft die hohen Kosten für Konten ohne regelmäßige Gehaltszahlungen. Vermutlich“, sagt Bieback, „könnte man den Banken einfach vorschreiben, dass sie das umsonst anbieten. Dann wäre das Problem sauber gelöst.“

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