Austeritätsfalle erwischt Niederlande: Klassenprimus in der Krisenklemme
Miese Ratings, hohe Arbeitslosigkeit, Immobilienkrise: Die Niederlande sind das nächste Opfer der von Kanzlerin Merkel geforderten Sparpolitik.
AMSTERDAM taz | Jeroen Dijsselbloem, Finanzminister und Eurogruppen-Chef in Personalunion, bemühte sich um Schadensbegrenzung: „Enttäuschend“ sei die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Niederlande von AAA auf AA+ durch die Ratingagentur Standard & Poor’s – mehr nicht.
Auf die Entwicklung der Staatsanleihen, bei zehnjähriger Laufzeit aktuell mit 2,02 Prozent notiert, erwartet Dijsselbloem keinen großen Einfluss. Und trotzig merkte der Finanzminister an, die Niederlande seien „noch immer ein AAA-Land“.
Dabei macht das miesere Rating nur manifest, was zwischen Groningen und Maastricht die Möwen von den Dächern kreischen. Die Krise hat jetzt auch die Niederlande erwischt. Ein Blick auf die Begründung der S & P-Abwertung fördert Bekanntes zu Tage: eine negative Wachstumsprognose von 1,3 Prozent im laufenden Jahr.
Für 2014 erwartet man einen Zuwachs von bestenfalls 0,5 Prozent. Damit lägen die Niederlande weit unter dem prognostizierten Eurozonen-Durchschnitt von 0,9 Prozent.
Viele Niederländer sind hoch verschuldet
Außerdem ist der Immobilienmarkt in der Krise: Die Preise für Wohnungen sind seit 2008 um ein Fünftel gesunken. Viele Niederländer haben sich für den Kauf einer Immobilie hoch verschuldet, wodurch das Konsumentenvertrauen schwer angeschlagen und die Binnennachfrage schwach ist. Bemängelt hatte Standard & Poor’s das schon 2012. Die Niederlande glichen im Immobiliensektor eher einem Land an der Peripherie der Eurozone denn einem Kernland, hieß es bereits im vergangenen Jahr.
Weitere sozioökonomische Indikatoren zeigen, wie ernst die Lage ist. „Dramatisch hoch“ nennt Sozial- und Arbeitsminister Lodewijk Asscher die Arbeitslosenquote von 8,6 Prozent. Laut einer Studie der Bank Abn Amro wird sie im kommenden Jahr auf 9,2 Prozent klettern. Schon im Sommer nannte Minister Asscher Arbeitslosigkeit „das größte Problem der Niederlande“.
Mehr als 1,2 Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze
Die Folgen beschreibt der aktuelle Armutsreport des Centraal Bureau voor de Statistiek, das dem Statistischen Bundesamt entspricht. Demnach leben in den Niederlanden etwa 1,2 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 990 Euro für Alleinstehende und 1.850 Euro für eine vierköpfige Familie.
Damit ist die offizielle Zahl der Verarmten im Vergleich zu 2012 um 150.000 gewachsen. Ein Drittel sind jünger als 18 Jahre. Weitere 10 Prozent aller Haushalte seien gefährdet, ebenfalls unter die Armutsgrenze zu rutschen.
Wenig überrascht reagierte die Vereinigung niederländischer Lebensmitteltafeln auf diese Veröffentlichung. „Das stimmt genau mit unseren Erfahrungen überein“, hieß es in einer Stellungnahme des Dachverbands. 146 Gratis-Abgabestellen für Nahrungsmittel gibt es zurzeit in den Niederlanden – sechs neue kamen allein diesen Herbst dazu. Von der kostenlosen Lebensmittelverteilung sind mindestens 70.000 Menschen abhängig. Der Andrang ist so groß, dass Wartelisten geführt werden.
In den Niederlanden wächst deshalb die Verunsicherung. Das Bild des „bravsten Jungen der Klasse“, mit dem die Regierung in Den Haag die Rolle des Königreichs in Europa gern beschreibt, hat nun endgültig Schaden genommen. Die konservative Zeitschrift Elsevier hält fest: „Die Zeiten, als die Niederlande sich auf die Brust klopften", sind vorbei.
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