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Ausstieg Nach Jahren in der Führungsriege verließ Stefan Rochow die NPD. Doch nicht alle, mit denen er zu tun bekam, nahmen ihm die Wandlung ab. Und seine Freunde von früher hat er verloren„Ein Linker bin ich nicht geworden“

INTERVIEW aNDREAS SPEIT

taz: Herr Rochow, haben Sie nach Ihrem Ausstieg aus der rechten Szene mehr Entgegenkommen erwartet?

Stefan Rochow: Für jemanden wie mich, mit so einem Hintergrund, war es verdammt schwierig, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen. Ich hatte die Tür nach hinten selber zugeschlagen, dahin wollte ich nicht mehr zurück. Aber in die andere Tür wurde ich nicht hineingelassen. Ich stand also zwischen allen Türen. Mein ganzes Leben hatte ich mich in der rechtsex­tremen Szene bewegt, das waren ja nicht nur Geschäftspartner, sondern Menschen, mit denen man in den Urlaub gefahren ist, Freunde, mit denen man sein Leben verbracht hat. Das habe ich als Verlust empfunden, weil auch Freundschaften kaputtgegangen sind. Das war ein ganz schwieriges Gefühl für mich.

Sie galten als einer der wichtigsten Nachwuchsfunktionäre der NPD. Hat Sie da die Skepsis wirklich überrascht? Sie sind anfänglich auch still ausgestiegen.

Man hat es mir nicht geglaubt. Es ging ja auch um Dinge wie berufliche Perspektiven. Ich war damals 32 Jahre alt. Für mich konnte meine Karriere ja nicht heißen, Dauer-Hartz-IV-Empfänger zu werden. Ich dachte aber, das wäre für mich der beste Weg raus. Ich wusste, so wollte ich nicht mehr leben, aber wie ich anders leben wollte, das wusste ich noch nicht. Ich war absolut ziellos, hatte Angst, dachte, wenn ich das jetzt öffentlich mache, dann würden sich Medien an mich wenden, dann wäre ich ständig in der Verlegenheit, Stellung beziehen zu müssen. Sie hätten sicher auch Kontakt gesucht. Damals konnte ich mich aber noch nicht klar verhalten, eine sichtbare Grenze ziehen. Also hab ich die Kontakte in der Partei und Szene nach und nach abgebrochen, man sah sich nicht mehr oft auf Veranstaltungen. Es war wie „aus dem Auge, aus dem Sinn“. Mich hat das auch gewundert. Aber es war so. Wenn man den Kontakt nicht miteinander pflegt, dann bricht das auseinander. Wenn man überlegt, wie lange ich vorher in der Partei aktiv gewesen bin!

Klingt, als wenn Sie damals doch noch erwartet hätten, das sich aus der Partei wer um Sie bemüht?

Nach dem Ausstieg war eine ganz große Unsicherheit in mir. Da er nicht öffentlich war, ich hatte zwar in meiner NPD-Austrittserklärung geschrieben, dass ich deren Ansichten nicht mehr vertreten kann, aber in der Szene hätte ich weiter machen können. Für mich hätte damals der Weg zurück noch offen gestanden. Die Chance hätte ja auch bestanden, nicht innerhalb der NPD weiterzumachen, ich hätte ja auch bei „gemäßigten“ Rechten andocken können. Aber erst mit meiner Positionierung war es wirklich der endgültige Bruch.

Sie meinen Ihre Autobiografie „Gesucht – geirrt – gefunden“, die Ihre Hinwendung zum Katholizismus dokumentiert. Sie hätten nur den Glauben gewechselt, wurde Ihnen vorgehalten.

Ich weiß. Der Tod von Papst Johannes Paul und die Berührung mit dem Christentum waren aber für mich das Schlüsselerlebnis. Davor lagen ein Ortswechsel von Sachsen nach Schwerin und die menschliche Enttäuschung, dass sich auch dort bei der NPD nicht an die eigenen Aussagen gehalten wird. Ich merkte immer mehr , wenn ich an Info-Ständen der Partei war, das ich hinter vielen Aussagen einfach nicht weiter stehen konnte. Für mich war das ein ganz, ganz langer Prozess. Vor dem Ausstieg stand im Landtag von Sachsen 2005 eine menschliche Enttäuschung. Ich habe gedacht, „dieses System“ muss bekämpft werden, wir seien anders als andere Parteien. Merkte aber dann, dass wir gar nicht viel anders sind, dass all das, was ich anderen Parteien vorgeworfen hatte, auch bei uns geschah: dass man sich auch bei uns zuerst ums Geld kümmerte, dass Karrieresachen in den Vordergrund rückten. In Schwerin sank die Hoffnung erneut.

Sind Sie gegangen, weil die Rechten zu wenig rechts waren?

So meinte ich das nicht. Ich komme zwar aus einem christlichen Elternhaus, hatte jedoch längst damit abgeschlossen. Und nun sprach es mich wieder an. Die Aussage des Christentums, dass ein Mensch etwas wert ist, eben weil er ein Mensch ist, von Geburt an, dass er auch Würde und Rechte hat, bekam für mich wieder eine Bedeutung. All das hatte ich aber bei der NPD überhaupt nicht vertreten. Denn bei der NPD waren Würde und Rechte eines Menschen abhängig davon, welcher Rasse, welchem Volk er angehört. Und das war für mich der Punkt umzudenken. Das hat gedauert, fast drei Jahre.

Haben Sie sich in der Zeit Hilfe gesucht?

Ein Aussteigerprogramm habe ich nicht kontaktiert. Bei mir war es wirklich meine Beschäftigung mit dem Christentum. Ich bin damals noch in meiner Zeit als NPD-Mitglied in Schwerin heimlich in die Messe gegangen, habe mit meinem Pfarrer gesprochen, und er hat mich im Rahmen seiner Möglichkeiten begleitet. Wir haben über viele Dinge geredet, und das führte dazu, dass ich die Sicherheit bekam, dass mein Weg richtig ist.

Wusste die Gemeinde von Ihrer jüngsten Vergangenheit?

Nicht alle. Es war eine große Gemeinde. Viele haben es erst hinterher mitbekommen. Ich komme aus einem evangelischen Elternhaus, wollte dort einen katholischen Glaubenskurs belegen, musste also erst mal Kontakt zur Gemeinde aufnehmen. Ich habe eine E-Mail an die Gemeinde geschrieben, bin also sehr offen damit umgegangen. Viele in der Gemeinde haben das erst mal gar nicht so mitbekommen, weil das ja schon Teil meines Ablöseprozesses war.

Wie reagierten die Wissenden in der Gemeinde?

Unterschiedlich. Mit wurde weiter klar, das es so still bei meiner früheren Engagement nicht geht. Ich begann mit dem Buch. Ich wollte ein ganz klares Zeichen in die Szene hinein setzen. Gerade 2011, als das NSU-Trio aufgeflogen war. Ich selber kannte sie nicht, konnte mir aber – offen gesagt – nicht vorstellen, dass so etwas möglich ist, zumindest mit den Leuten, die ich kannte. Da hab ich mir gesagt: Schweigen, leise Aussteigen geht nicht mehr, da musst du Position beziehen.

Und ihre Ex-Parteikollegen?

Für die war ich ab dem Buch nicht mehr nur bloß abgeschrieben. Jetzt war ich nicht mehr nur bloß ein Aussteiger, als ich begann, über meinen Ausstieg zu reden, wurde ich für sie zum Verräter. Die ersten Drohungen folgten schnell.

Ihr Ausstieg ist ein besonderer – der Katholizismus ist ja nicht gerade eine emanzipatorische Weltanschauung mit antiautoritären Wertevorstellung …

Ein Linker bin ich nicht geworden. Ohne Gott und ohne Vaterland. Ich möchte heute auch nicht mehr in Schubladen eingeordnet werden, wenn ich mich aber in eine Schublade einordnen sollte, dann im „Liberalismus“.

Wie wollen Sie andere zum Ausstieg bewegen?

Durch Ermutigung und Verständnis und dem Wissen, wie schwer dieser Weg ist.

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