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Ausstellungsempfehlung für BerlinStimmen aus den Tropen

Maria Thereza Alves und Lucrecia Dalt holen im Botanischen Garten Stimmen und Denken der Guaraní hervor. Die taz sprach mit einer der Künstlerinnen.

Unterschiedliche Denkwelten: die wissenschaftliche Bezeichnung einer Pflanze und ihr Name in Guaraní Foto: Courtesy Maria Thereza Alves
Sophie Jung
Interview von Sophie Jung

Ihr rundes, am Stil sanft sich spaltendes Blatt trägt sie über der Wasseroberfläche, feine Härchen bringen ihre weiße Sternblüte scheinbar ins Flirren – die Nymphoides humboldtiana ist ein filigranes Wasserpflänzchen aus den Tropen Südamerikas. Benannt ist sie nach ihrem Entdecker Alexander von Humboldt (1769–1859), dessen 250. Geburtsjahr derzeit vielfältig gefeiert wird, und klassifiziert nach dem Botaniker Jean-François Séguier (1703–1784), der ihre Gattung der Seekanne erstmals ausgemacht haben soll.

Selbstverständlich gehört die Bezeichnung Nymphoides humboldtiana auf einem Schildchen neben der Süßwasserblume zum wissenschaftlichen Repertoire im Tropenhaus des Botanischen Garten Dahlem, doch hinter der Sprache steckt eine ganze Ahnenschaft westlichen Denkens – und westlichen Waltens über das Wissen um die Dinge der Welt.

Zur Ausstellung

Botanischer Garten Dahlem: „You Will Go Away Away One Day But I Will Not“, 360° Sound- und Objektinstallation von Lucrecia Dalt und Maria Thereza Alves. Bis 2. 2., tgl. 10–19 Uhr, im Rahmen des CTM und Natur nach Humboldt, Königin-Luise-Straße 6–8.

Art Meets Science, Matinee mit den Künstlerinnen und Wissenschaftler:innen: 2. 2., 11 Uhr

Maria Thereza Alves (s. u.) holt auf einem weiteren Schild eine alternative Bezeichnung hervor: „Yvoty mbopora ponhuregua“. In der indigenen Sprache Guaraní aus dem brasilianischen Mato Grosso do Sul, wo die Nymphoide wächst, ist diese eine Anrufung an den ganzen Kosmos: „Fünfblättrige Blume vom Geist der Felder und Wälder: Du wirst eines Tages gehen, aber ich nicht“.

In einer immersiven Installation überlagern nun Alves und die Soundkünstlerin Lucrecia Dalt mit der Sprache, den Klängen und den Bedeutungen aus den Wäldern der Guaraní das westlich-wissenschaftliche Ordnungssystem, auf dem der Botanische Garten angelegt ist. Und es entsteht ein ganzer Raum von vielen Stimmen.

Taz Plan

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

Einblick 809: Maria Thereza Alves, Künstlerin

taz: Maria Thereza Alves, welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?Maria Thereza Alves: „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau. Viele Arbeiten zeigten eine durchdachte Untersuchung des Gartens – und stellten sein übliches Bild als bürgerliche Einrichtung in Frage. Zum Beispiel diejenigen von Tacita Dean oder Renato Leotta. Uriel Orlows Video über das Gefängnis Robbin Island machte den aktiven Widerstand deutlich, den die Insassen – darunter Nelson Mandela – durch die Pflege eines Gartens ausüben konnten.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Ich gehe nicht viel aus, um Musik zu hören: Zu viele interessante Orte diskriminieren diejenigen, die vielleicht sitzen müssen. Mir gefällt der Pierre-Boulez-Saal. Die Programme sind ausgewogen zwischen klassischen Werken und zeitgenössischen Kompositionen. Es werden auch bildende Künstler eingeladen. Ich bewundere diese Versuche künstlerischer Inklusivität in Berlin.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

„Wayward Lives. Beautiful Experiments“ von Saidiya Hartman und „L’uso dei saperi“ von Paolo Do

Bild: Kai-Morten Vollmer
Im Interview: 

Maria Thereza Alves (1961 in São Paulo geboren, lebt heute in Berlin) bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik. Alves hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen, u. a. an den Biennalen von Sydney, Sharjah und São Paulo, an der Manifesta 12 und 7, und an der dOCUMENTA (13). Alves ist Preisträgerin des Vera List Center for Art and Politics 2016–2018. Ihr Buch „Recipes for Survival“ wurde kürzlich veröffentlicht bei University of Texas Press. 2018 gründete sie zusammen mit Jimmie Durham das Designkollektiv LABINAC mit dem zweifachen Ziel, Objekte zu entwerfen und das Handwerk der indigenen Völker Lateinamerikas zu unterstützen.

Was ist dein nächstes Projekt?

Eine Arbeit für die kommende Sydney-Biennale: Ich möchte ermöglichen, die erste Zeitung in Guarani zu veröffentlichen: OIKOVYTERI ITEKO'A MÔĪNGUEVYA (Die Dekolonisierung geht weiter), herausgegeben von Maximino Rodrigues und Michely Vargas.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Wasser auf meine Zimmerpflanze sprühen, einen Jungfernhaarfarn. Der wächst auf vielen Teilen der Erde, auch in der Region von Brasilien, aus der ich komme.

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