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AusstellungJenseits des guten Geschmacks

Im Sprengel Museum ist das „House of Horrors“ von Elaine Sturtevant aufgebaut: eine Geisterbahn voller Fledermäuse und schockierender Kunstzitate.

Stöhnt die letzten Worte: ein abgehackter Kopf in Sturtevants "The House of Horrors". Bild: Sprengel Museum

HANNOVER taz | Seine Ausstellungen eröffnet das Sprengel Museum in Hannover am Sonntagmorgen, um viertel nach elf. Diesen Usus hat der scheidende Direktor Ulrich Krempel vor 20 Jahren von seinem Vorgänger übernommen. Grund ist der sonntägliche Kirchgang des gutbürgerlichen Hannoveraner Vernissagenpublikums in die nahen Marktkirche.

Am letzten Sonntag allerdings hätte der Kontrast zwischen Gottesdienst und der neuen Sonderausstellung wohl kaum schärfer ausfallen können: Es wartete im Museum nämlich eine rund 360 Quadratmeter große Geisterbahn auf ihre offizielle Inbetriebnahme. Oder sollte dieses „House of Horrors“ der US-amerikanischen Künstlerin und diesjährigen Kurt-Schwitters-Preisträgerin Elaine Sturtevant gar ein Kommentar zur Bundestagswahl gewesen sein, in Hannover zudem gekoppelt mit der Wahl des neuen Oberbürgermeisters? Niemand weiß es, die Dramaturgie jedenfalls war perfekt – unfreiwillig.

Genau 80 Sekunden dauert die Fahrt im Sturtevant’schen Horrorkabinett, klassisch wie auf der Kirmes in der kitschigen Zweiergondel zu genießen. Klassisch sind auch einige der Figuren und Szenen, an denen man vorbeizieht: die unvermeidlichen Fledermäuse etwa, oder das klappernde Skelett. Dazwischen aber schieben sich Bilder, die weit jenseits des guten Geschmacks angesiedelt sind, einem aber irgendwie bekannt vorkommen. Da stöhnt beispielsweise ein abgehackter, aufgedunsener Kopf einige finale Worte. Oder die riesige Frauenfigur: Sie kauert hinter einem Hündchen, um dessen Kot aufzuschlecken.

Und richtig: Diese und weitere Szenen sind allesamt Zitate, aus der aktuellen Kunstproduktion etwa, oder den massenmedial verbreiteten Bildwelten. So ist der röchelnde Kopf dem ganz offensichtlich gewaltsam abgetrennten Haupt nachgebildet, mit dem sich der britische Künstler Damien Hirst als lachender 16-Jähriger im Leichenschauhaus von Leeds fotografieren ließ. Dieses Foto schockiert. Ebenso wie die Schlussszene aus John Waters Film „Pink Flamingo“ 1972: hier ist es Kultfigur und Dragqueen Divine, die gierig dem Hundekot hinterherschlabbert. Was aber wollen diese Motivwiederholungen und was ist der künstlerische Gedanke, der zudem in der Tradition des seit 1982 vergebenen Kurt-Schwitters-Preises einen nachhaltigen Impuls in der internationalen Kunstszene auszeichnen soll?

Elaine Sturtevant, die gern auf die Nennung ihres Vornamens verzichtet, ist eine große Provokateurin und pflegt das Faksimile, treffender: die Wiederholung als künstlerisches Konzept. 1930 in Ohio geboren, lebt und arbeitet Sturtevant seit Anfang der 1990er Jahre in Paris. Sie geizt mit biografischen Angaben, etwa zu ihrer formalen Ausbildung. Ab Mitte der 1960er Jahre mischte sie jedoch wirkungsvoll den traditionellen Kunstbetrieb auf: Ihre erste Ausstellung zeigte wandgroße Siebdrucke der Flowers-Serie von Andy Warhol, dazwischen von ihr aus dem Gedächtnis nachgemachte Werke von Frank Stella, Roy Lichtenstein, Jasper Johns und anderen. Sturtevant verstand diese aber nicht als Kopien, sie wollte keinesfalls die Aura der Originale infrage stellen.

Vielmehr wollte sie den Betrachter zum Nachdenken darüber bewegen, was eigentlich ein Kunstwerk ausmacht – über die vielleicht legitimierende Signatur hinaus? Die Reaktionen waren erwartungsgemäß heftig und divergent. Warhol und später auch Beuys unterstützen den aufklärerischen Impetus Sturtevants: Warhol überließ ihr seine originalen Siebdruckschablonen, Beuys signierte ihren Katalog. Manch Kritiker hingegen findet bis heute vernichtende Worte. Und Kunsthändler kauften Sturtevants Werke, um sie anschließend zu vernichten und so den Kunstmarkt wieder zu bereinigen.

Als „Reprise“, die „erinnernde Vergegenwärtigung“ bezeichnen Kunsttheoretiker die Geste des Wiederholens im mittlerweile umfangreichen crossmedialen Werk Sturtevants. Dies hat vorrangig eine intellektuelle Schärfe, das auch aktuelle Fragen nach dem Urheberbegriff, der Autonomie eines Werkes, nach Simulakrum und Original reflektiert. Entschieden grenzt sich Sturtevant dabei von der sogenannten Appropriation Art der 1980er Jahre ab, etwa einer Sherrie Levine: Auch sie macht Kunst nach, ihr goldenes Remake des Duchamp-Urinals beispielsweise ist derzeit in der Kestner-Gesellschaft zu sehen.

Sturtevant möchte aber nicht die künstlerische Originalität der von ihr wiederholten Werke ad absurdum führen, die politische Kritik kapitalistischer Marktmechanismen ist ihr noch fremder. Sturtevant fordert in unterhaltsamer Kombinatorik mit populär-trivialen Ausdrucksformen die Bildmacht der Kunst heraus. Sie vertraut dabei auf die Erkenntnis der Differenz. Und diese visuelle Erleuchtung sollte mächtiger sein als das bloße Verstehen: ein aktives Mittel zum Aufbrechen immanenter Strukturen und erprobter Verlässlichkeiten – eine kritische Kulturrezeption.

Und vielleicht steht Sturtevants Geisterbahn, trotz aller Verschiedenheit, damit in der Tradition des großen Hannoveraner Provokateurs Kurt Schwitters und seines Merzbaus. Auch er frönte der thematischen Kombinatorik: Göthegrotte nebst Beinreliquie, Lutherecke, Lustmordhöhle, Hundezwinger mit Abort und anderes Skurriles verschmolzen zur „Kathedrale des erotischen Elends“. Er machte in selbstironischer Distanz aus seinen bildungsbürgerlichen Anspielungen eine romantische und autonome Gesamtheit, erhob diese Kunstform zum individuellen ästhetischen Prinzip, denn: „Alles, was ein Künstler spuckt, ist Kunst.“

The House of Horrors: bis 2. Februar 2014, Sprengel Museum Hannover

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