Ausstellung zu US-Künstler Oscar Tuazon: Aktivismus als Vorschlag
Der Künstler Oscar Tuazon nimmt Rundkuppelbauten einer US-Aussteigerstätte als Vorbilder für polygonale Pavillons. Sie sind in Bielefeld zu sehen.
Die Drop City und ihre „hand-built houses“: Um 1960 begann dieses utopische Aussteigerprojekt in Colorado, dem Südwesten der USA. Künstler:innen erprobten alternative Formen des Zusammenlebens, aber auch neue Bauformen, die sich mit vorgefundenem Material oder Ausgemustertem zu behelfen wussten.
Das ist recht lang her, bevor Maximen nachhaltigen Bauens, der Achtsamkeit gegenüber der Umwelt oder das Re- und Upcycling in Mode kamen. Pilgerscharen besuchten den Ort, Kunstkolleg:innen, Hippies, die Medien.
Nach rund zehn Jahren war Schluss, Drop City nur noch eine Geisterstadt aus verlassenen Rundkuppelbauten, sogenannten Domes. Diese, im Fachterminus, „geodätischen Kuppeln“ waren das Markenzeichen der Drop City, durchaus ein starkes Sinnbild ihrer Gemeinschaftsambitionen, aber explizit keine formale Attitüde. Sie waren vielmehr kluge statische Minimalkonstruktionen, nutzten die auch im militärischen Bauen erprobte Stabilität zweiachsig gekrümmter, leichter Stab- oder Flächentragwerke.
Die Drop City inspirierte Nachfolgegemeinschaften, Experimente kalifornischer Hochschulen oder eine alternativ bewegte Publikation wie „Shelter“, die in den 1970er Jahren eine historische wie globale Genealogie vernakulären Selbstbauens lieferte.
Anregende Kraft in den Genen
Die anregende Kraft solch einer Lebens- und Baugemeinschaft kann offensichtlich auch in die Gene einer nachfolgenden Generation überfließen – bestes Beispiel: der Künstler Oscar Tuazon aus Los Angeles. 1975 geboren, hat er prägende Kindheitserfahrungen in einem elterlichen Kuppelbau erlebt. Fotos dieser mittlerweile heruntergekommenen Experimentalbehausung bilden nun die stille Referenzgröße in einer Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld, die einen Auszug der multiplen Praxis Tuazons aus Bauen, Minimal Art und politischem Aktivismus zeigt.
Oscar Tuazon: „Was wir brauchen“. Kunsthalle Bielefeld, bis 12.11. Begleitpublikation „Building“ für 35 Euro in der Ausstellung
Dieses Finale ist der dritte Teil eines gemeinsamen Vorhabens mit der Bergen-Kunsthall und dem Kunstmuseum Winterthur und will unter dem Titel „Was wir brauchen“ den Blick auf grundlegende gesellschaftliche wie materielle Belange richten.
Seit langen Jahren die erste Einzelausstellung Tuazons in Deutschland, ist der Künstler hier dennoch nie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden: Für die letzte Ausgabe der Skulptur Projekte in Münster schuf er 2017 eine noch existente kreisrunde Feuerstätte als Treffpunkt im Niemandsland des Stadthafens.
Prozessuales, Raues, Provisorisches
So „monumentalisierte“ er, in seinen Worten, das für ihn neuartige, hierzulande omnipräsente sommerliche Grillen im öffentlichen Raum. Unter der Aufforderung „Burn the Formwork“ lieferte Tuazon auch gleich das initiale Brennmaterial mit: die Schalung der Betonplastik. Stufen, Sitzflächen, ein Ausguck und die umschließende Wand animierten schnell die örtlichen Sprayer: eine handfeste Inbesitznahme durchaus im Sinne des Künstlers, ebenso die Vergänglichkeit, hat diese Stätte doch über kurz oder lang einer Überplanung des Areals zu weichen.
Prozessuales, Raues, Provisorisches, die einfach verständliche und zur Interaktion auffordernde Form: Das sind die Kernqualitäten der Arbeiten Tuazons. Am intensivsten und überzeugendsten kommen sie in neueren Projekten zum Tragen – dann, wenn sie die engen Konventionen der Kunst verlassen und mehr zu bieten haben als architektonische Skulpturen im Raum.
Tuazons Serie der „Water Schools“ etwa ist mit zwei Exemplaren in Bielefeld vertreten, je auf ein Drittel der Originalgröße verkleinert und aus Karton statt stabilem Sperrholz gefertigt. Diese Pavillons in polygonaler, in der Dimension variabler Zellenstruktur dienen als pädagogische Zentren, anwachsende Themenbibliotheken und Versammlungsstätten, selbst in ihrer musealen Modellversion.
Vorschläge, die misslingen dürfen
Sie wollen vermitteln, welch lebenswichtiges und wertvolles Gut das Wasser darstellt, dass es der Allgemeinheit gehört und nicht kommerziellen Ausbeutungsinteressen unterworfen werden darf. Indigene Gruppen in den USA sehen im Wasser und seinen Quellen gar etwas Heiliges.
Für das „Cedar Spring Project“ stellte sich Tuazon in die Dienste der politischen und kulturellen Forderungen des Goshute-Reservats, mit Erfolg: Eine geplante Wasserleitung nach Las Vegas scheiterte vor Gericht, wohl erstmals floss indigenes Verständnis ökologischer Zusammenhänge in die Rechtsprechung ein.
Die Bielefelder Kunsthalle setzt Tuazons Arbeiten, von ihm stets als „Proposals“ aufgefasst, also als Vorschläge, die durchaus misslingen dürfen, in den Dialog mit Werken ihrer exquisiten Sammlung. Ein Mobile von Alexander Calder, ein Table Piece von Anthony Caro, eine monochrome Seminole von Richard Serra oder die leuchtend gelbe, mehrteilige Arbeit von Charlotte Posenenske: So gelingt ein befeuernder künstlerischer Assoziationsraum zu den teils skizzenhaften, grob gefügten Artefakten Tuazons. Aber erreicht man so sein tieferes Anliegen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!