Ausstellung zu Polizei und Holocaust: Freund, Helfer, Massenmörder
Nein, sie regelte nicht nur den Verkehr. Die Polizei beteiligte sich maßgeblich am NS-Massenmord, zeigt jetzt eine Ausstellung.
Wenn man den Ausstellungssaal des Museums Fürstenfeldbruck bei München betritt, kommen sie einem schon entgegen: ein Schutzpolizist und ein SS-Mann. Gemeinsam auf Patrouille. In Lebensgröße. Zwischen ihnen ein Hund mit Maulkorb.
Das Bild auf der ersten Stellwand der Ausstellung „Ausbildung – Enthemmung – Verbrechen“ wurde am 5. März 1933 in Berlin aufgenommen, dem Tag der Reichstagswahl. Es illustriert schon in diesen frühen Tagen des Nazi-Regimes das, was es nach Meinung vieler Deutscher nie gegeben hat: die unheilige Allianz zwischen Polizei und Nationalsozialismus. Denn kaum eine der nach dem Krieg eilig zusammengestrickten Legenden hat so lange überdauert, wie die der „sauberen Polizei“.
„Das fing schon in den Nürnberger Prozessen an“, erzählt der Historiker Sven Deppisch. „Da hat es geheißen, die Polizei hat ja nur den Verkehr geregelt oder allenfalls mal gegen Partisanen gekämpft. Und diese Legende ist dann auch von Politik, Medien, Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht hinterfragt worden.“
Eigentlich skurril, findet Deppisch, dass alle NS-Deutschland für einen Polizeistaat gehalten hätten, aber niemand darauf gekommen sei, dass zu einem Polizeistaat ja auch eine Polizei gehört. „Die Polizei des Dritten Reichs war in vielen Köpfen die Gestapo. Damit hat man sich zufrieden gegeben.“
Wo Nazis Kruzifixe schänden
Deppisch hat 2017 das Buch „Täter auf der Schulbank“ veröffentlicht, eine bearbeitete Fassung seiner Dissertation. Darin hat er sich mit der Rolle der Polizei im Dritten Reich beschäftigt und erstmals ihre bedeutendste Schule unter die Lupe genommen. Und diese war genau hier untergebracht, im ehemaligen Zisterzienserkloster Fürstenfeld. Hier, in diesem Komplex, wo noch heute junge Polizisten unterrichtet werden, wo auch das Museum seine Ausstellungen zeigt und wo der 37-Jährige jetzt gerade im Klosterstüberl vor einer Rhabarberschorle sitzt. In eben jenem Klosterstüberl, in dem Polizeischüler in den Dreißigern das Kruzifix abgehängt und darauf ihre Notdurft verrichtet haben.
„Ohne die Polizei wäre der Holocaust nicht möglich gewesen.“ So beginnt der Verlag seine Kurzbeschreibung von Deppischs Buch. Der Satz findet sich in dem Werk an zentraler Stelle wieder und auch in der Ausstellung zum Buch, die nebenan noch bis zum 7. Juli gezeigt wird.
Und ihre Ausbildung zum Massenmörder haben die jungen Männer in Fürstenfeldbruck erhalten. Knapp 1.700 Absolventen gingen zwischen 1937 und 1945 aus der Schule hervor, übten den Bandenkampf und wurden in weltanschaulichen Fächern unterrichtet, also beispielsweise antisemitisch indoktriniert.
Danach schickte man einen Großteil der jungen Führungskräfte in den „auswärtigen Einsatz“, wo sie an den schlimmsten Verbrechen der Nazis beteiligt waren. Sie beaufsichtigten Deportationen von Juden in die Vernichtungslager, brannten Dörfer nieder und übernahmen Massenerschießungen. Die Schule bezeichnet Deppisch als einen wichtigen „Knotenpunkt im Koordinatensystem des Holocausts“.
Browning und Goldhagen
Und dann eben diese Legende. Es ist der Verdienst der amerikanischen Historiker Christopher Browning und Daniel Goldhagen, das Thema in den Neunzigern auf die akademische Agenda gesetzt zu haben. Beide hatten das Reserve-Polizei-Bataillon 101 aus Hamburg untersucht, das 1942 in Polen wütete, und so der Legende von der sauberen Polizei das Fundament entzogen.
Zum Einsturz kam sie aber nicht. Als Sven Deppisch 2003 im ersten Semester seines Studiums an der LMU München eine Veranstaltung zum Thema Polizeigeschichte im 20. Jahrhundert belegte, konzentrierte sich der Dozent für die Jahre des Dritten Reichs ganz auf die Gestapo. „Die Rolle der Ordnungspolizei war kein Thema“, erzählt Deppisch.
„Ich wusste zwar, dass die Ordnungspolizei an NS-Verbrechen beteiligt war, aber die Dimension war mir nicht klar.“ Erst ein paar Jahre später wurden dazu Studien vorgelegt. Demnach war die Ordnungspolizei an der Ermordung von über zwei Drittel der jüdischen Opfer beteiligt und erschoss selbst rund eine Million Menschen. Deppisch unterfütterte diese Erkenntnisse schließlich, indem er die Ausbildung der Mörder beleuchtete.
So wurde nun historisch aufgearbeitet, was juristisch so gut wie nicht geahndet wurde. Meist seien die Haupttäter zu Gehilfen degradiert worden, erklärt Deppisch. „Weil man gesagt hat: Die eigentlichen Täter waren Hitler, Himmler und Co. und die Polizisten, die an den Erschießungsgruben standen und wirklich abgedrückt haben, das waren nur ihre Gehilfen.“ Und so kam es, dass immer mehr belastetes Personal in den Polizeidienst zurückkehrte – auch in den Schuldienst.
Nazi, Mörder und Mundartdichter
Bestes Beispiel: Hans Hösl. Der Münchner, Jahrgang 1896, unterrichtete Strafrecht an der Polizeischule Fürstenfeldbruck. Im Krieg befehligte er das SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18, eine Einheit, die in Griechenland ganze Dörfer ausradierte und 1944 entscheidenden Anteil an der Deportation von 1.700 Athener Juden nach Auschwitz hatten. Nach dem Krieg setzte Hösl seine Polizeikarriere nahtlos fort, war sogar wieder im Schuldienst tätig.
Nach seiner Pensionierung gab es zwar Ermittlungen, diese wurden aber schnell wieder eingestellt – aus „Mangel an Beweisen“. Der Pensionär fand ein neues Betätigungsfeld und wurde Mundartdichter. In der Ausstellung in Fürstenfeldbruck hat er nun einen eigenen Schaukasten. Seine Werke „D Stangerltrambahn“ und „Die Kindstauf“ sind darin zu sehen. Die renommierte Literatenvereinigung „Die Münchner Turmschreiber“ nahm Hösl in ihre Reihen auf und verlieh dem Mitglied sogar den Poetentaler. Die Medaille am weiß-blauen Band liegt neben den Büchern. Angesehen und friedlich starb der Mörder 1987.
Natürlich beteiligten sich nicht alle Polizisten aus Lust am Holocaust. „Es gibt aber auch Fälle, die zeigen, dass die Täter richtig Spaß daran hatten“, erzählt Deppisch. So habe eine Kompanie des Polizeibataillon 61 im Warschauer Getto eine Kneipe unterhalten. „Dort haben die Polizisten ordentlich gezecht, und dann sind sie häufig in Zweierteams, einer auf dem Motorrad, einer im Beiwagen, durchs Getto gefahren und haben aus der Fahrt heraus mit dem Gewehr auf Menschen geschossen. Als sie dann wieder zurückgekommen sind, haben sie verglichen, wer die meisten Juden umgebracht hat.“
Ein Absolvent der Schule, der es besonders pervers getrieben hat, war Hans Gaier. „Der war Leiter der Polizeistation im polnischen Kielce und ist zum Beispiel mit seiner polnischen Freundin durchs Getto spaziert und hat dann mal links, mal rechts vor allem Kindern in den Kopf geschossen. Oder er hat orthodoxen Juden die Bärte bis zum Fleisch rausgerissen.“ Einmal habe er sich amüsiert, wie zwei jüdische Mädchen im Alter von 10 und 14 Jahren auf dem Polizeirevier zu sexuellen Handlungen mit den Polizeihunden gezwungen und danach erschossen worden seien.
Die eine Ausnahme
Deppisch macht eine Pause. Als Historiker sei man ja sehr viel mit Zahlen konfrontiert, sagt er dann, Einzelschicksale würden verschwimmen. „Wenn ich dann aber auf solche Fälle gestoßen bin, gab es schon Tage, da konnte ich nicht mehr weiterarbeiten.“
Typen wie Gaier und Hösl waren keine Ausnahmen. Die Ausnahme, die heißt Fritz Schade. Der leitete die Schule von 1936 bis 1939, gehörte aber seit 1941 einer Widerstandsgruppe an und war sogar in die Stauffenberg-Attentatspläne eingeweiht. Gegen Kriegsende rettete er als Polizeikommandeur in Nürnberg mehrere Menschen vor dem KZ und schritt ein, als der Gauleiter im April 1945 befahl, Nürnberg gegen die nahenden Amerikaner zu verteidigen.
„Sonst“, sagt Deppisch, „bin ich in meinen Recherchen auf keine Leute gestoßen, die Nein gesagt haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe