Ausstellung über jüdische Presse: Warnung vor Fallingbostel
Die Synagoge Celle zeigt die Geschichte der deutschsprachigen jüdischen Zeitungen zwischen Gleichstellung und Diskriminierung.
HAMBURG taz | Die Zeitschrift Im deutschen Reich führt 1915 Clausthal (Hotel und Pension Voigtlust) und Hahnenklee (Villa Bocksberg und Pension Burgfriede) in der Rubrik „Hotels und Pensionen, die antisemitischen Charakter haben“ auf. In der Spalte „Erholungsorte, die antisemitischen Charakter haben“, findet man diverse ostfriesische Inseln, Sylt, Braunlage und Herzberg im Harz und die Ostseebäder Heiligenhafen, Nienhagen und Bansin.
Auch vor Fallingbostel in der Heide wird gewarnt, wo die Pension Kersten mit dem Slogan „Lungenkranke und Israeliten werden nicht aufgenommen“ wirbt. Im Hamburger Israelitischen Familienblatt, mit einer Auflage von über 30.000 Exemplaren eines der großen jüdischen Regionalblätter, erfahren die Leser 1929, dass nun auch in Bad Bentheim, in Prerow sowie auf Helgoland in der Villa Mohr Juden unerwünscht sind.
Zu finden sind diese Meldungen in einer erstmals gezeigten Ausstellung in der Synagoge in Celle. Unter dem Titel „Aufklärung. Widerstand. Selbstbehauptung. Die Geschichte der deutschsprachigen jüdischen Presse 1750 bis heute“ wird ihre Entwicklung anhand von zahlreichen Originalexemplaren und erläuternden Texten dargestellt. Sie stammen von Franz Josef Wiegelmann aus Siegburg, der über eines des größten deutschen Zeitungs-Privatarchive verfügt und Teile seiner Sammlung schon häufiger in Celle ausgestellt hat.
„Es gab in der jüdischen Presse drei Richtungen, die teilweise im Widerstreit miteinander lagen: die konservativen Zeitungen, für deren Leser ihre deutsche Staatsbürgerschaft wichtiger war als ihr Judentum, die orthodoxen Zeitungen sowie die zionistischen Presseerzeugnisse, deren Ziel die Propagierung der Auswanderung nach Palästina war“, sagt Wiegelmann. Als Beispiele dafür werden die 1832 in Altona gegründete liberale Zeitschrift Der Jude. Periodische Blätter für Religion und Gewissensfreiheit sowie Der Treue Zions-Wächter aus Hamburg vorgestellt, der sich als Kampfblatt gegen die Reformjuden bezeichnete.
Mit der formalen rechtlichen Gleichstellung der Juden nach der Reichsgründung 1871 erreicht die jüdische Presse ihre größte Auflage. Religiöse Themen spielen meist keine Hauptrolle, es geht vor allem um Politik und Kultur. Dabei wird der Werbung für die Auswanderung nach Palästina oft mehr Platz gewidmet als der Auseinandersetzung mit dem aufziehenden Nationalsozialismus.
Holocaust-Überlebende publizieren in Celle
Die Reichspogromnacht 1938 bedeutet das Aus für die 65 jüdischen Blätter, deren Auflage damals bei über 100.000 Exemplaren lag. Mit dem Massenmord an den Juden scheint auch die jüdische Presse in Deutschland vernichtet worden zu sein. Doch schon kurz nach Kriegsende geben Überlebende des Holocaust regelmäßig erscheinende Periodika wie Unzer Sztyme in Celle heraus. Einst miteinander im Streit liegende Redakteure sind sich nun einig: Es gilt, alle überlebenden Juden auf die baldige Ausreise aus Deutschland nach Palästina vorzubereiten.
In dieser Zeitung gibt es auch Fußballberichte. In Bergen-Belsen wird 1946 eine Fußballliga für jüdische Vereine der britischen Zone gegründet, mit neun Mannschaften aus Belsen sowie Maccabi Hannover, Maccabi Neustadt-Holstein, J.S.K. Goslar und Stern Hamburg.
Bei einem Freundschaftsspiel zwischen Hatikvah (Hoffnung) Belsen und Hakoach Kaunitz aus dem ostwestfälischen Verl setzen die Kaunitzer polnische Spieler ein und gewinnen 3:1. Dazu schreibt Unzer Sztyme: „Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Kaunitzer arische Spieler hinzuzogen, um die jüdischen Spieler besiegen zu können. Sie haben kein Recht, sich ’Jüdischer Sportclub‘ zu nennen, und es war nur gerecht, dass man sie zu den jüdischen Liga-Meisterschaften nicht zugelassen hat.“ Hintergrund für dieses Urteil ist der Antisemitismus, der unter etlichen polnischen KZ-Überlebenden verbreitet war.
Die ausschließlich deutschsprachigen Leser erfahren von diesem Artikel allerdings nichts: Unzer Sztyme erscheint auf Jiddisch in hebräischen Schriftzeichen. Die jüdische Presse als Mittler zwischen Juden und Nicht-Juden existiert nicht mehr. An die einstigen Auflagen kann die heutige deutschsprachige jüdische Presse nicht mehr anknüpfen: Mit rund 6.000 verkauften Exemplaren ist die Jüdische Allgemeine die größte Wochenzeitung.
Eine informative Ausstellung, die allerdings wichtige Fragen offen lässt, wie zum Beispiel, ob die jüdische Presse überhaupt von nicht jüdischen Lesern wahrgenommen wurde.
bis 13. Januar, Synagoge Celle, Im Kreise 24
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