Ausstellung über die „verbotenen Kinder“: Einer von ihnen heißt Volkmar „Hannes“ Harwanegg
Im NS-Regime sollten Deutsche keine Beziehungen mit Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen eingehen. Doch mindestens 20.000 Kinder kamen zur Welt.
Es hängt da ein Bild, darauf ein Herr in rotem Hemd. Volkmar Harwanegg, genannt Hannes, steht in der Ausstellung als Beispiel für einen Menschen, den es nicht hätte geben dürfen, wäre es nach den Vorstellungen der Nazis gegangen. Denn Harwanegg ist das Kind einer österreichischen Mutter und eines ausländischen Zwangsarbeiters. So etwas war verboten. Auf den Tafeln neben seinem Foto wird Harwaneggs Geschichte erzählt.
Kaum beginnt man zu lesen, wird das Foto daneben höchst lebendig. Harwanegg ist nämlich in persona zur Ausstellungseröffnung nach Berlin-Schöneweide in die Baracke Nummer fünf gekommen und steht in seiner eigenen Schau. Wozu noch lesen, wenn der Mann da ist? Und Harwanegg beginnt zu erzählen.
Die Ausstellung „Trotzdem da! Kinder aus verbotenen Beziehungen zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeiter*innen“, ist im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Str. 5, in Berlin-Schöneweide bis zum 26.4.2026 zu sehen, Eintritt frei.
Der 81-Jährige ist aus Wien angereist, wo er auch geboren wurde, damals 1944, als Österreich Teil des „Großdeutschen Reiches“ war. Als Volkmars Erinnerungen beginnen, ist der Krieg aus. Einen Vater hat er nicht, und die Mutter Elisabeth verbietet jedes Gespräch zu dem Thema, fängt an zu weinen. Aber warum hat er so dunkle Haare?
Irgendwann, da ist der Bub zehn Jahre alt, rutscht es einer Tante heraus, dass der kleine Volkmar sehr wohl einen Vater hat. Aber der sei ein Zwangsarbeiter aus Griechenland gewesen und längst wieder in der Heimat. Thema beendet.
Kinder, die auf der Suche nach ihren Vätern sind
„Trotzdem da!“ heißt die Ausstellung, die die Gedenkstätte im niedersächsischen Sandbostel erstellt hat und die nun im Berliner Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zu Gast ist. Es geht um das lange beschwiegene Thema der unehelichen Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und deutschen Frauen in der NS-Zeit – und um die Folgen: Kinder, die auf der Suche nach ihren Vätern sind.
4,6 Millionen ausländische Zwangsarbeiter und 8,5 Millionen Kriegsgefangene mussten ab 1940 die zur Wehrmacht eingezogenen deutschen Männer bei der Arbeit ersetzen. Entsprechend seiner rassistischen Logik unterschied das NS-Regime zwischen ihnen. Niederländer etwa galten als dem deutschen Volk „rassisch“ ähnlich. Polen und Menschen aus der Sowjetunion wurden als slawische „Untermenschen“ qualifiziert.
Eine Beziehung zu einer Deutschen war in jedem Falle verboten, doch waren die Konsequenzen höchst unterschiedlich. Die Frauen wurden bei einer Entdeckung in ein KZ eingewiesen. Allerdings ließ man im Fall eines holländischen Mannes auch einmal Milde walten.
Männern aus Osteuropa drohte die Todesstrafe – und wurde auch vollstreckt. „Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt oder sich ihnen sonst unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft“, warnte ein Handreichung zu den „Polen-Erlassen“ 1940. „Ein Butterbrot – ein Jahr Gefängnis, ein Kuss – zwei Jahre Gefängnis, Geschlechtsverkehr – Kopf ab“, fasste der Präsident des Kölner Landgerichts Walter Müller die Strafandrohungen zusammen.
Die Fragen bleiben
Volkmar Harwanegg fragt wieder und wieder nach dem Vater und erhielt keine Antwort. Als Erwachsener geht er für die Sozialdemokraten in die Politik. Die Fragen bleiben. Er kontaktiert die griechische Botschaft in Wien, fragt bei den Bürgermeistern von Wien und Thessaloniki nach – ohne Ergebnis.
Mindestens 20.000 solch „illegitime“ Kinder wurden bis 1945 geboren. Etwa 3.500 deutsche Frauen sind für ihre Liebe in das KZ Ravensbrück eingewiesen worden. Viele Frauen hat man zur Abtreibung gezwungen. Viele Männer wurden gehenkt, oft in den letzten Kriegstagen.
Die Liebe der Mutter von Volkmar Harwanegg zu dem Zwangsarbeiter blieb unentdeckt, obwohl sie über drei Jahre lang dauerte. Er musste wie alle „Displaced Persons“ nach Kriegsende in seine Heimat zurückkehren. Nach dem Tod der Mutter findet Harwanegg Reste von Briefen des einst Geliebten aus den 1950er Jahren. Die Mutter hatte fast alle vernichtet. Aber es gibt einen Umschlag – und darauf ein Name: Georgios Pitenis.
Andere Kinder suchen bis heute nach ihren Vätern. Die Ausstellung ist biografisch orientiert und zeigt die Schicksale von Familien, die keine werden durften. Manche Väter verweigerten den Kontakt. Andere blieben unauffindbar. Wieder andere waren von den Nazis ermordet worden. Viele Geschichten gingen nicht so gut aus wie die von Volkmar Harwanegg.
Der macht 2006 gerade Urlaub auf der Insel Korfu, als sich ein Mitarbeiter der griechischen Botschaft meldet. Man habe den Vater in der Nähe von Thessaloniki gefunden, erfährt Harwanegg. Er macht sich auf der Stelle auf den Weg. Vater und Sohn treffen sich. Sie verstehen sich. Zweimal hatte Pitenis nach dem Krieg versucht, zurück nach Wien zu kommen, um seine Geliebte und seinen Sohn zu besuchen, erfährt Volkmar Harwanegg, genannt Hannes. Die Suche ist beendet.
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