Ausstellung über Bauernkriege in Halle: Der Morgenstern ist nachgebaut
Computerspiele über Feldarbeit, Agrarroboter und Waffen: Die Ausstellung „Planetarische Bauern“ in Halle fragt nach der heutigen Bedeutung der Bauernkriege.

Es sei nicht übertrieben, die Ausstellung „Planetarische Bauern“ im Halleschen Kunstmuseum Moritzburg als „Kleine Documenta“ zu bezeichnen. Ob sich Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich diesen Verweis beim Eröffnungs-Pressetermin gut zurechtgelegt hatte?
Die Ausstellung ist Teil der Landesausstellung Sachsen-Anhalt „Gerechtigkeyt 1525“ – und zugleich ein ambitioniertes, mit über zwei Millionen Euro von Bund und Land gefördertes Projekt. Ziel ist es, die Forderungen und Ereignisse des Bauernkriegs vor 500 Jahren mit den Mitteln zeitgenössischer Kunst ins Heute zu überführen.
Mit aktuellen, erdumfassenden Themen sollen die historischen Begebenheiten in Bezug zur Gegenwart und zu denkbaren Zukünften gesetzt werden. Stichworte der Ausstellung mit dem Untertitel „Landwirtschaft, Kunst, Revolution“ sind Biodiversität, Extraktivismus, Freiheit oder Bodenbesitz.
Bauer-Friedrich fungiert, gemeinsam mit dem Direktor der auch in Halle ansässigen Werkleitz Gesellschaft, Daniel Herrmann, als Künstlerischer Leiter der Ausstellung. Als er von ihrer Größe spricht, von dem internationalen kuratorischen Team, dem aufwendigsten Vorhaben der zurückliegenden Jahrzehnte für die Moritzburg und davon, dass für die 30, teils eigens für die Schau geschaffenen Exponate, die Räumlichkeiten des auf Kunst des 20. Jahrhunderts spezialisierten Hauses komplett umgeräumt werden mussten.
Der Documenta-Vergleich hält nur bedingt
In diesem Moment dürfte ihm der Documenta-Vergleich gekommen sein. Dem auch beim Pressetermin anwesenden Ministerpräsidenten, Reiner Haseloff (CDU), könnte da kurz der Atem gestockt haben: Zeigte nicht auch die Weltkunstschau in Kassel vor drei Jahren nicht wenige „planetarische Bauern“ – und geriet auch dadurch zwischen die kulturpolitischen Mühlsteine von Universalismus und Identitätspolitik, die Antisemitismus-Diskussionen obendrein?
Wer sich so sensibilisiert die Ausstellung „Planetarische Bauern“ in Halle ansieht, wird nur sehr bedingt fündig: Die sechs Kurator*innen erzeugten mit der Auswahl der Arbeiten – jedoch fast ausschließlich ohne direkte Bezugnahme auf die jüngsten Bauernproteste in Deutschland – eine zugängliche Vielfalt künstlerischer Perspektiven auf landwirtschaftliche Themen.
Da gibt es durchaus die Dokumentationen zu und Arbeiten von indigenen Gruppen – etwa die handgemalten Kalenderbilder der peruanischen NGO Waman Wasi mit Darstellungen von Agrargemeinschaften aus dem Amazonasgebiet. Zu sehen gibt es aber auch im europäischen Mittelalter spielende Szenen aus einem Computerspiel mit Frauen bei der Feldarbeit.
Waffen, Computerspiele und Agrarrobter
Im Original stumm, hat die Künstlergruppe Total Refusal den Figuren in dieser Version Stimmen gegeben. Sie reden über Widerstand gegen die Pfaffen oder fordern Rechte ein – ein Computerspiel als alternative historische Doku.
Antje Majewski hingegen unterhält sich in ihrem Video „Humus“ mit einem Landwirt über autonome Agrarroboter und das Konzept eines staatlichen Gehalts an Bauern – statt Subventionen. Einen Morgenstern als Waffe der Bauern um 1525 zeigt Ulrike Kuschel. Allerdings handelt es sich wohl um eine historische Nachbildung der Schlagwaffe, die vom Museum für Deutsche Geschichte in Ostberlin erworben wurde und bis 2021 im Deutschen Historischen Museum zu sehen war.
Ein Film Kuschels gibt dann auch Auskunft darüber, wie üblich es in der DDR war, derlei Waffen nachzubauen. Denn es gab schlicht nicht genügend originales Veranschaulichungsmaterial für die Museen damals, nahmen doch die Bauernkreige in der DDR-Geschichtsschreibung des Klassenkampfes ein wichtiges Kapitel ein. Der Film ist nicht nur ein Kommentar zur Musealisierung des Bauernkriegsgedenkens, indirekt richtet er sich auch an seine Inszenierung in dieser Schau.
Und da ist dann noch die Filminstallation des exilrussischen Kollektivs „Chto Delat?“, in der eine Muse „ein Ende der Zensur der Solidarität mit Palästina“ in Deutschland fordert. Für einen Kleine-Documenta-Skandal reicht letzteres wohl nicht. Zusätzlich zur Ausstellung in der Moritzburg sind als Teil des diesjährigen Werkleitz Festivals im nahen „Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen“ am Domplatz künstlerische Interventionen zwischen den Schauschränken mit den eingelegten, präparierten oder skelettierten Tieren zu finden.
Kunstmuseum Moritzburg, Halle, bis 14. September 2025, Künstlerische Interventionen im „Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen“ und Werkleitz Festival bis 3. Juni 2025
Tierischem Leben zugewandte Fotografien von Jochen Lempert etwa oder das Kurzporträt einer solidarischen Landwirtschaft bei Dresden, die auf dem Prinzip „beharrlicher Handarbeit“ beruht. Irgendwo zwischen solidarischem Kärrnern und revolutionären Agrarrobotern scheint sie in Halle zu liegen, die Zukunft der planetarischen Bauern.
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