Ausstellung in München: Die Farc-Frauen
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl hat den Übergang kolumbianischer Ex-Guerilleras der Farc in den Alltag dokumentiert.
„Ich wollte raus aus meinem trostlosen Leben“, sagt Sandra. Die Familie in ihrem kolumbianischen Dorf war bitterarm. Am frühen Morgen musste sie loslaufen und Milch holen, tagsüber half sie dem Vater auf dem Feld, die Mutter musste sich um ihren schwer behinderten Sohn kümmern. Einen Lehrer gab es nicht, abends brachte ihr die Mutter notdürftig Lesen und Schreiben bei. „Nachts schlich ich mich aus unserem Wellblechhäuschen und war weg.“ Im Alter von 16 Jahren ging sie zur Farc-Guerilla, den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“. Vor 18 Jahren war das.
Für das erste Foto zog sich Sandra noch einmal die alte graugrüne Kampfuniform an, schnallte sich den Rucksack auf den Rücken und blickte unverwandt in die Kamera. Das zweite Bild zeigt ihr Gesicht, die braune Haut, die schwarzen Haare in Nahaufnahme, sie schminkt sich gerade die Lippen grell rot.
Vor drei Jahren ist Sandra ausgestiegen bei den Kämpfern, musste sie aussteigen, denn die Farc kam nach dem Friedensschluss mit der Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos raus aus dem Dschungel, runter von den Bergen und gab ihre Waffen ab.
Mit 11.000 Kämpferinnen und Kämpfern war die links-revolutionäre Farc zeitweise die größte Guerillatruppe der Welt und kontrollierte erhebliche Teile des Landes. Doch der Krieg war vorbei, und seine ehemaligen Krieger waren plötzlich da.
„Ich möchte mich mitteilen“
Eine Ausstellung im Münchner „Museum Fünf Kontinente“ zeigt nun in Fotos und Texten, was aus Sandra und fünf weiteren Farc-Frauen geworden ist; sie werden in der Schau nur beim Vornamen genannt. Wie sie sich in den für sie völlig neuen – und weiterhin brüchigen – Frieden einleben. Wie sie erst einmal mit nichts beginnen – gab es für sie doch keine andere Realität als die Guerilla. Die Münchner Fotografin Ann-Christine Woehrl und die Journalistin Cornelia von Schelling begleiteten sie über zwei Jahre hinweg. Titel: „Der Frieden trägt den Namen einer Frau – Kolumbien im Wandel.“
Entstanden sind zurückhaltende und gerade deshalb so eindrückliche Farbfotos von den Ex-Kämpferinnen in ihren verschiedensten neuen Lebenssituationen, in ihrem Wandel.
In den Texten wird ihnen weitgehend selbst das Wort gelassen, was sich mal sehr revolutionär-verklärend liest, mal nüchtern-dokumentarisch, immer wieder aber vor allem beklemmend. Über Sandras Vergangenheit heißt es etwa: „Sie lernt den Umgang mit Karabinern, Schnellfeuergewehren, Maschinenpistolen und Handgranaten.“
Auch die Familie von Milena Reynes war arm und kaputt, deshalb schloss sie sich mit 14 Jahren der Farc an. Der biografische Hintergrund ist bei allen Frauen ähnlich. Milena stieg auf, hatte am Ende eine hohe Position. Sie war Pressesprecherin der Guerilla und die Frau eines Hauptkommandanten. Jetzt ist sie 30 Jahre alt und von Bogotá, wo sie lebt, nach München zur Ausstellungseröffnung gekommen. „Es geht mir um das Sichtbarmachen“, sagt sie, „ich möchte mich mitteilen.“
Zurück in den Dschungel
Milena erscheint als hippe junge Frau mit rosafarbenen Haaren, grauem Mützchen, grellen Ohrringen und massiver Schminke im Gesicht. Auf einem Foto umhüllt sie vor einem Empfang ihren Kopf mit einem bunten Tuch, auf einem anderen hält sie bei einer Pressekonferenz der ehemaligen Farc ihre fast noch neugeborene Tochter auf dem Arm und lacht sie an. Auf einem dritten sitzt sie wie eine ganz und gar unspektakuläre Frau auf dem Sofa.
In München erzählt Milena von ihrem heutigen Leben: Vom Mann ist sie getrennt, zu ihrer Familie hat sie nach 13 Jahren als Guerillera wieder Kontakt aufgenommen. Sie wohnt nun mit ihrer Schwester und dem Kind in einer Wohnung in der Hauptstadt, studiert Soziologie an der Universität und sieht sich als „Aktivistin“.
Von zwei Leibwächtern wird sie rund um die Uhr bewacht, denn Farc-Leute sind bei vielen Kolumbianern weiterhin verhasst. 170 frühere Kämpfer sind schon ermordet worden“, erzählt sie. Ein Foto von ihr wurde für das Ausstellungsplakat und das Titelbild des Buchs genommen. Darauf trägt sie ein knappes schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „WANTED AND WILD“.
Sie hätten die Frauen bei einem „entscheidenden historischen Moment begleitet“, erzählt die Fotografin Woehrl. „Davor waren sie versteckt, unsichtbar.“ Nach dem hoffnungsvollen Frieden von Ende September 2016 wird Kolumbien nun von dem neuen rechtsgerichteten Präsidenten Iván Duque regiert, verfällt – gerade jüngst erst wieder – in Gewalt und wird von verschiedenen Gruppen terrorisiert. Einige wenige Farc-Kämpfer sind zurückgegangen in den Dschungel.
Schwierig ist die Lage auch, weil die Bevölkerung in einem – nicht bindenden – Referendum den Vertrag mit knappen 50,23 Prozent abgelehnt hatte. Weiterhin gibt es andere linke Rebellen, die Drogenkartelle, die Paramilitärs.
„Der Frieden trägt den Namen einer Frau". Museum Fünf Kontinente, Maximilianstraße 42, München, bis 29. März 2020
Katalog: Ann-Christin Woehrl/Cornelia von Schelling: „Der Frieden trägt den Namen einer Frau“, Edition Lammerhuber, 49,90 Euro
Nach der Abgabe ihrer Waffen sind die Farc-Kämpfer in sogenannte Übergangszonen gekommen, wo sie behelfsmäßig untergebracht wurden. Viviana, 40 Jahre alt, lebt immer noch dort. Sie setzt sich für Kooperativen wie einen Käseladen ein, sie kocht im Camp. Auf einem Foto schleppt sie, inmitten von viel Grün, schwere Holzpfähle – die Felder werden für den Bohnenanbau vorbereitet. Ein weiteres Bild zeigt sie beim Waschen im Freien am Gemeinschaftsbecken, hinter sich eine Hauswand mit den aufgemalten Porträts von Fidel Castro und Ché Guevara in jungen Jahren.
In der Ausstellung sind die Bilder der Frauen in ihren alten Uniformen nur auf fast durchsichtigen Stoff gedruckt, verblichen. Das geht. Im Buch aber sind sie farbenstark auf großen Fotos zu sehen, stilisiert als romantische Heldinnen. Das ist Macho-Guerilla-Geprotze auf weiblich. Viele Bürger machen die Farc für Terror, Mord, Erpressung und die skrupellose Zusammenarbeit mit den Drogenbanden verantwortlich. Der Bürgerkrieg führte zu geschätzt 300.000 Toten und 6 Millionen Binnenflüchtlingen. Die fotografierten Frauen wurden, als sie mit 14 oder 16 Jahren einstiegen, als Kindersoldatinnen missbraucht.
Drei Abtreibungen
Die Farc-Nachfolgepartei wird von der Bevölkerung offenkundig nicht unterstützt, bei der Wahl kam sie auf unter 2 Prozent. Der Fotografin und der Journalistin ist hoch anzurechnen, dass sie die Erzählungen der Frauen dokumentieren und nicht bewerten, dass sie ihre Realität abbilden.
Frauen seien bei der Farc fast gleichberechtigt gewesen, werden diese etwa zitiert, 40 Prozent der Kämpfer waren weiblich. Doch war es verboten, Kinder zu bekommen. So musste die Kämpferin Nasly dreimal abtreiben, nun wird sie glücklich mit einem Babybauch fotografiert. Drei der sechs Frauen haben nach der Guerilla-Zeit rasch Kinder geboren.
Eine Frage an die Ex-Pressesprecherin Milena Reynes, auf deren Sweatshirt der Spruch steht: „Viva Fidel.“ Was wäre, wenn die Farc diesen Krieg gewonnen hätte und nun herrschen würde? „Ein Traum“, sagt sie. „Es gäbe keinen Kapitalismus mehr, sondern Sozialismus.“ Die Fotografin Woehrl meint: „Sehr vieles ist noch nicht verarbeitet.“
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