Ausstellung in Hannover: Ein neuer Blick auf alte Verbrechen
Mit Verhüllungen, Markierungen und sparsamem Nippes-Einsatz: Das Historische Museum Hannover sucht nach einer Bildsprache fürs Thema Kolonialismus.
Hannover taz | Sie haben sie eingepackt. Der ganze Welfenprunk und -protz, an dem man sonst die Kinder an Regentagen vorbeischleift, die Gemälde und Paradekutschen des Historischen Museums Hannover, haben die Kurator*innen der Ausstellung „Von Goldenen Kutschen und kolonialer Vergangenheit“ verhüllt: Nur kleine Ausschnitte in der Papierverpackung erlauben zu sehen, was sich dahinter verbirgt.
Das ist vielleicht naheliegend für ein Haus im Dauerumbau. Es ist aber auch eine ziemlich clevere Lösung für ein Problem vieler Kolonialismus-Ausstellungen: Am Ende triumphiert doch schnell die optische Opulenz der siegreichen Herrscher oder der hübsche Exotismus der gesammelten Beutegegenstände. Das Blut und Leid, das an diesen Gegenständen klebt, wird zur farblosen Fußnote auf irgendeiner Texttafel.
Oder, fast schlimmer, man sieht sich gezwungen, es gewaltpornografisch zu reproduzieren, um dem goldenen Schein etwas entgegensetzen zu können. Diese Klippe haben sie in Hannover erfolgreich umschifft. Die Ausstellung ist dadurch zwar ein bisschen textlastig geworden, dafür aber bietet sie ein paar sehr eindrückliche Denkanstöße.
Es geht hier vor allem um die Epoche der Personalunion, also die 123 Jahre zwischen 1714 und 1837, in denen „Hanovarians“ auf dem britischen Thron saßen. Es sind – nicht ganz zufällig – auch jene Jahre, in denen Großbritannien zum Imperium aufstieg und mehr und mehr Territorien in Afrika, Asien, Nordamerika, in der Karibik und in Indien kolonisierte. Nur ist dieser Aspekt der Geschichte in Hannover bisher nie erzählt worden.
Die Partnerstadt Bristol hilft die Lücken zu füllen
Nun geht es also, sehr zeitgemäß, um Nutznießer und Profiteure, um das Ende der Sklaverei – ebenfalls unter einem hannoverschen König – aber auch um die koloniale Geschichte, die an diesem Punkt noch lange nicht endet und ihre Schatten bis heute wirft. Das alles konkret und anschaulich zu machen, ist kein leichtes Unterfangen, es gibt da noch viele blinde Flecken, Lücken in den Sammlungen und der Forschung.
In Hannover haben vor allem die Kolleg*innen aus der Partnerstadt Bristol ausgeholfen, die in dieser Sache einen gewissen Vorsprung haben: Nicht zufällig war es in dieser Stadt im Südwesten Englands, wo Black-Lives-Matter-Demonstranten 2020 die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Hafenbecken versenkten.
„Von goldenen Kutschen und kolonialer Vergangenheit“, Historisches Museum Hannover, bis 13. 11.
Bristols Reichtum stammt ganz unmittelbar aus Sklavenhandel und Sklavenarbeit, zumal auf den Zuckerplantagen. Das Bewusstsein dafür ist dort schon länger geweckt: Bristol, erzählt Museumsdirektor Thomas Schwark bei der Ausstellungseröffnung, habe schon vor 30 Jahren eine eigene Abteilung zum Thema Sklaverei in die ständige Ausstellung des Stadtmuseums integriert. Allerdings werde sie gerade überarbeitet.
Trotz des reichen Fundus, aus dem die Hannoveraner da schöpfen durften, bleiben die direkten Bezüge manchmal dürftig. Ganze zwei Hannoveraner – einen Arzt und einen Bänker – hat man gefunden, die eindeutig und direkt vom Sklavenhandel profitiert haben und in koloniale Verbrechen dieser Zeit verwickelt waren.
Anschluss an aktuelle Debatten
„Es gibt sicher mehr, aber die müssen wir erst noch finden“, sagt Schwark. Vieles tickt die Ausstellung auch nur an. Die Geschichten der Revolten und des Widerstandes beispielsweise sind hier nur durch ein paar Schwarze Köpfe repräsentiert. Das reicht nur als Hinweis auf ihre Perspektive, aber nicht, um sie zu vermitteln.
Andere Bezüge überraschen: Wer hätte gedacht, dass Sklaven auf amerikanischen Plantagen „true born Osnaburghs“, Leinen aus dem Osnabrücker Raum trugen? Der wachsende Bedarf an robustem und günstigem Stoff wurde durch bäuerliche Heimarbeit in dieser Region gedeckt. Andersherum spielten koloniale Luxuswaren wie Kaffee, Tee, Kakao, Zucker und Tabak in vielen adeligen und großbürgerlichen Haushalten bald eine große Rolle – natürlich auch in Hannover.
Man legt Wert darauf, an aktuelle Debatten anzuschließen. Ein Glossar am Eingang erklärt, warum auf bestimmte Begriffe verzichtet wird. Und kleine, rote Warnaufkleber zieren manche Gemälde. Auf ihnen steht „Vorsicht Aneignung“ oder „Vorsicht Rassismus“ und der Zusatz „handle with care. price: high. made in hanover“.
Wo einfach so Schwarze oder andere Angehörige kolonialisierter Völker aufs Klischee reduziert in die Szenerie gepinselt wurden – kleben diese Sticker. Das ist clever, weil die Irritation nötigt, tatsächlich einen anderen Blick auf diese Ausstellungsstücke zu werfen.
Weitere, kurze Kapitel der Ausstellung widmen sich außerdem der Zeit, als Deutschland dann als Reich und eigenständige Kolonialmacht auftrat – sowie der langen Trauer, als es damit vorbei war. Hier bemüht sich die Ausstellung, an gegenwärtige Debatten um Straßennamen oder das Carl-Peters-Denkmal in der Südstadt anzuknüpfen. Auch auf Nachwehen in der heutigen Handelswelt und Konsumgesellschaft wird hingewiesen.
Alles in allem ist das ein beeindruckendes Projekt – aber erkennbar noch work in progress. Es gibt ein üppiges Rahmenprogramm aus Vorträgen, Filmen und Podiumsgeprächen, auch ein Workshop mit Aktivist*innen zur Frage, wie Kolonialismus künftig im Museum dargestellt werden soll, steht noch aus.