Ausstellung in Düsseldorf: Jeder Schluss ein neuer Anfang

In der Ausstellungsreihe „Horizontal Vertigo“ in der Julia Stoschek Collection zeigt Rindon Johnson, wie unendliches Geschichtenerzählen aussehen kann.

Kunstinstallation: Fetzen hängen von der Decke

Stil aus der Ausstellung Foto: Julia Stoschek Collection

In Alfred Hitchcocks „Vertigo“ ist es die Höhe, die beim ruheständischen Ordnungshüter Scottie Schwindel erzeugt – aber auch Weite kann schwindelerregend sein. Mit dem Begriff „Horizontal Vertigo“ beschreibt die Autorin, Künstlerin und Filmemacherin Trinh T. Minh-ha den Schwindel, der einen angesichts der unendlichen Weiten pluraler Identitäten und Narrative überkommt. In ihrem Essay „Cotton and Iron“, dem der Ausdruck entstammt, hinterfragt sie die in westlichen Kulturen dominante Erzählweise von Geschichten: Narration wird als eine passive Reflexion der Realität dargestellt, Sprecherposi­tio­nen werden negiert und Identitäten fein säuberlich kategorisiert.

Jener rationalisierten Form des Erzählens stellt Minh-ha ein involviertes Modell gegenüber: Wer Geschichten erzählt, schreibt sie, verschmilzt durch den Akt des Sprechens mit ihnen, er gibt sie nicht bloß wieder, sondern spricht zu ihnen. Abgeschlossene Werke gibt es bei dieser Erzählform nicht, denn immer bestehen Anknüpfungspunkte für weitere Narrative – jeder Schluss ein neuer Anfang, jede Arbeit ein work-in-progress.

Wie derartige Formen des Geschichtenerzählens aussehen können, untersucht die Ausstellungsreihe „Horizontal Vertigo“, die bis April 2020 an den zwei Standorten der Julia Stoschek Collection in Düsseldorf und Berlin stattfindet. Das von Lisa Long kuratierte Programm umfasst die Werke von neunzehn Künstler*innen, unter ihnen Trinh T. Minh-ha, die erstmals in der Geschichte der Institution nicht bereits Teil der Sammlung sind und deren Arbeiten restriktive Konzepte von Identität, Geschichte und Repräsentation hinterfragen.

Den Anfang in Düsseldorf macht Rindon Johnson. Im gedimmten Licht des Ausstellungssaals wirken die Skulpturen des US-amerikanischen Künstlers wie Exponate eines Naturkundemuseums: Getrocknete Kuhhäute hängen, von Spots beleuchtet, von der Decke, aus einer Pumpe heraussprudelndes Wasser wirft pulsierende kreisförmige Schatten auf die Serpentinsteine, die auf dem Grund mehrerer Aquarien ruhen. Die Steine, denen nachgesagt wird, sie beschleunigen seelische und körperliche Heilungsprozesse, stammen aus Simbabwe, das stetig sprudelnde Wasser aus dem Rhein nebenan.

Rindon Johnson: Circumscribe, bis 28. Juli, Julia Stoschek Collection, Düsseldorf

Mit der Zeit löst sich eine dunkle Erdkruste von den Steinen und setzt sich am Wasserrand ab. Die zurückbleibende Oberfläche ähnelt mit ihrer natürlichen Maserung dem Kuh­leder, das Johnson auf Leinwände spannt oder wie eine erstarrte Rauchschwade von der Decke hängen lässt. Ähnlich wie die Steine verändert sich auch das Rohleder mit der Zeit: Johnson behandelt es mit Erde, Vaseline, Rost, Bleichmittel und ebonisiertem Farbstoff, der geläufigerweise dafür verwendet wird, Holz dunkler einzufärben. Mit der Zeit können die Poren des Leders den aufgesaugten Farbstoff nicht mehr halten, erschlaffen und verlieren ihre Farbe.

Der getöteten Kuh ans Leder

Jener Verfall ist essenzieller Bestandteil der zeitbasierten Skulpturen. Das Rohleder, ein Abfallerzeugnis der Fleischproduktion, ist wie die bei der Erdölgewinnung entstehende Vaseline ein Produkt einer erschöpfenden Ausbeutung der Natur. In Johnsons Arbeiten werden die Materialien zur Metapher für den Umgang mit schwarzen Körpern in der US-amerikanischen Gesellschaft. Johnson färbt das Leder, bis die Hautfarbe der toten Kuh mit seiner eigenen übereinstimmt, er hüllt es um den eigenen Körper, legt sich gemeinsam mit ihm in die Sonne, versenkt es monatelang in Teichen, salbt es und verpasst ihm Narben. Es geht darum, Spuren zu hinterlassen, wahrnehmbare und unsichtbare gleichermaßen.

In dem die Ausstellung begleitenden Buch „Not Quite“ schreibt Johnson, er trauere bei der Arbeit an seinen Werken um Ana Mendieta, eine weitere Meisterin der subtilen Spuren und des horizontalen, involvierten Geschichtenerzählens. Johnsons Texte fluktuieren zwischen Tagebucheinträgen, Essays und Gedichten, er schreibt über Josua, den Nachfolger Moses’, über den Marvel-Film „Black Panther“ und über die Kühe, denen sich der Künstler zwar tief verbunden fühlt, deren Fleisch er dennoch gelegentlich konsumiert. Josua trifft nach der Überquerung des Jordans auf einen Engel, der ihm auf die Frage, ob er für oder gegen ihn sei, die Antwort „weder noch“ gibt. „It is not easy to be honest because it is impossible to be complete“, schreibt Johnson. Es geht darum, Pluralitäten zu akzeptieren, Widersprüche auszuhalten.

Johnsons Arbeiten sind rhizomatisch miteinander verbunden, Zitate aus „Not Quite“ tauchen als Titel der Skulpturen, Videos und Soundinstallationen wieder auf. In einer Virtual-Reality-Arbeit treibt man, dem Serpentinstein gleich, in einen Glaskubus eingeschlossen einen von einem düsteren Wald gesäumten Fluss entlang. An beiden Ufern traben Kühe vorbei, die nach und nach ineinanderstolpern und sich zu einer amorphen Masse verbinden. Egal in welche Richtung man den Kopf dreht, im Sichtfeld bleiben stets zwei ausgestreckte schwarze Arme, die sich immer wieder auf unnatürliche Weise verdrehen. „Ok Objectivity, let’s see who you really are“, schreibt Johnson. „Subjectivity! It was you all along.“

„Circumscribe“ ist der Titel der Ausstellung, ein Verb, das sich gleichermaßen mit „umschließen“ und „eingrenzen“ übersetzen lässt und somit sowohl eine Manifestation von Fürsorge als auch von Beschränkung sein kann. In dem Video „It Is April“ verbildlicht Johnson diesen Begriff durch einen schwarzen Hinterkopf, der von einem Paar weißer Hände in einer zwischen Liebkosung und Vereinnahmung oszillierenden Geste betastet wird. Die Überwachungskameras, die Johnson über den Serpentinaquarien aufgehängt hat, die Livestreams von draußen im Garten platzierten Steine und die Babyphone-Aufnahmen in der Videocollage „Among other things“ liefern weitere Bilder für diesen vieldeutigen titelgebenden Akt des Umschließens.

Auch Trinh T. Minh-ha scheint jenen Akt zu umschreiben, wenn sie analysiert, wie im westlich-akademischen Diskurs plurale Identitäten in die „other“-Kategorie einsortiert werden und ihnen eine subjektive untergeordnete Sprecherrolle zugeteilt wird. Eine Gegenstrategie sieht Minh-ha in einem kreativen Handeln, das mit unvereinnahmendem Staunen auf die Welt blickt. Es geht darum, den Schwindel auszuhalten. Mit dem Blick auf die Projektion eines führerlosen Motorbootes, das endlos über vier hinter einer Plexiglasscheibe schwebende Kuhhäute kreist, lässt sich das wunderbar üben.

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