Ausstellung im Kunsthaus Dahlem: Selbstüberhöhung mit Barbarossa
Welche ideologischen Spuren stecken in Möbelhinterlassenschaften? Die Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ begibt sich auf Spurensuche.
Nur entfernt erinnert dieser muskulöse Körper aus silbrigem Plastik an jene Idealtypen, die Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker aus Bronze oder Stein schuf. Doch in Brekers ehemaligem Staatsatelier, in dem sich heute das Kunsthaus Dahlem befindet, liegt die Assoziation nahe. Die Künstlerin Henrike Naumann hat den Plastikathleten auf Ebay-Kleinanzeigen erstanden, wie die meisten ihrer Requisiten. Obendrein hat sie ihm Lampen in die Hände gesteckt, wo zuvor Hanteln waren, denn er stand einmal in einem Fitnessstudio – Körperkult gestern und heute.
In ihrer Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ hat Naumann rund um den Plastikathleten Möbelstücke und Wohnaccessoires gruppiert. Neben den Kopien postmoderner Entwürfe, die in den 1990er Jahren zuhauf Einzug in ostdeutsche Wohnzimmer hielten, und die – mitunter ergänzt um Reichsflaggen und andere Nazi-Devotionalien – zu Naumanns Markenzeichen wurden, stehen hier nun auch Originale aus den 1930er Jahren. Sie stammen aus dem Haus der Kunst in München, das nach Plänen von Paul Ludwig Troost gebaut und von ihm und seiner Frau Gerdy ausgestattet wurde.
Auf diesen Leihgaben – etwa einer neoklassizistischen Sitzgruppe, die gleich am Eingang förmlich im Weg steht – darf man sich nicht niederlassen wie sonst üblich in Naumanns Interieurs. Dass darauf einmal Hitler Platz genommen haben könnte, vielleicht zur Eröffnung des Museums im Jahr 1937, als es noch Haus der Deutschen Kunst hieß, mutet ohnehin unbequem an. So wie die Bauernstühle und -tische aus dem „Bierstüberl“ im Keller des Museums, die ebenfalls gut ins völkische Möbelbild passten.
Im Kunsthaus Dahlem, wo allein schon die Deckenhöhe im Verhältnis zur Besucherin nationalsozialistische Überlegenheitsfantasien heraufbeschwört, reinszeniert Naumann eine Auseinandersetzung, die sie schon 2019 mit Recherchen und einer Installation im Haus der Kunst begann. Ein Foto des großen Wohnsalons in Hitlers Landhaus, dem „Berghof“ in Obersalzberg, diente als Ausgangspunkt der Münchner Installation. Als Hitlers Lieblingsinnenarchitektin hatte Troost auch dessen Privatwohnungen eingerichtet.
Rechte Jugendkulturen
Auf einer Galerie im Ausstellungsraum in Dahlem hat Naumann Nachwende-Schrankwände mit dreieckigen Vitrinen – „Modell Toscana“ – zum Alpenpanorama arrangiert. Aus Lautsprechern dringt eine mehrstimmige Komposition wie vom Gipfel herab ins Tal gesungen. Das Lied und dessen Protagonist, „Der alte Barbarossa“, stehen für eine machtpolitische Selbstüberhöhung, wie Hitler sie in Anlehnung an Barbarossa betrieb und an die der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke heute anzuknüpfen versucht, wenn er sich ebenfalls an diesem Mythos bedient. Faschismus gestern und heute.
Henrike Naumann: „Einstürzende Reichsbauten“, Kunsthaus Dahlem Berlin, bis 28. November
Naumann wurde 1984 im sächsischen Zwickau geboren, wo das NSU-Trio lange unentdeckt lebte. Bisher beschäftigte sie sich vor allem mit jenen Wohnräumen im Osten Deutschlands, in denen rechte Jugendkulturen und Reichsbürgerfantasien gediehen. Nun setzt sie diese mit den Möbelhinterlassenschaften des Dritten Reichs in Beziehung. Das lässt Nachforschungen entlang von Linien zu, die über die Postmoderne hinaus und hinein in jene Zeit des Bruchs mit der Moderne reichen, den die Nazis mit Speers Machtarchitekturen, den sie schmückenden Breker-Plastiken und der Institutionalisierung völkischer Kunst auf der einen Seite und der Diffamierung der Avantgarden auf der anderen betrieben. Daran erinnert in der Ausstellung ein Kandinsky-Wandteppich – auch ein Ebay-Fundstück.
Naumanns Praxis ist komplexer geworden, ihre Installation dadurch auch etwas weniger zugänglich als von ihr gewohnt. Ein Glücksfall, dass im Distanz Verlag ein Band mit Bildstrecke erschienen ist, mit deren Hilfe sich viele der gesetzten Analogien dechiffrieren lassen. Den auf Stühlen und Tischen gelegten Kunstfellen etwa stellt sie in einer Fotomontage Materialproben aus dem Gerdy-Troost-Archiv für einen Teppich im Berghof gegenüber und fügt noch Teppichrollen in ähnlichem Roséton aus einem deutschen Möbeldiscounter hinzu. So schlägt sie wieder den Bogen in die Nachwendezeit.
Die Kunsthistorikerin Angela Schönberger hat einen Essay über Speers Ruinenwerttheorie beigetragen. Mit dem Architekten und Designtheoretiker Andreas Brandolini führte Nauman ein Gespräch über das postmoderne „Deutsche Wohnzimmer“, ein Environment aus Sitzgruppe und Nierentisch in Wurstform auf Lagerfeuerteppich, das dieser 1987 auf der documenta 8 zeigte.
Im Buch spitzt Naumann noch einmal jene Zusammenhänge zu, die sie interessieren: wie politische Prozesse den privaten Raum durchdringen, sich umgekehrt an diesem ablesen lassen, welche ideologischen Spuren sich durch die Designgeschichte ziehen und wie diese sich zu einem eklektischen Bild politischer Versatzstücke zusammensetzt. Möbel, sagt Naumann, erzählen uns etwas über uns als Gesellschaft. Oft lässt sich das erst erkennen, wenn man sich mit einem gewissen Abstand darauf niederlässt. Falls man darf.
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