Ausstellung NS-Reichsarbeitsministerium: In den Mühlen des Nazi-Terrors

In der Berliner Gedenkstätte Topographie des Terrors informiert eine Ausstellung über Menschenjagd im Reichsarbeitsministerium.

Ein Mann steht vor Ausstellungstafeln, auf denen die NS-Politiker Werner Mansfeld und Wilhelm Börger zu sehen sind

Die Ausstellung präsentiert die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der NS-Zeit Foto: dpa

Zum Beispiel Ottmar Heiligenthal: Der Mann war einer der Fälle, bei dem heute die Hartz-IV-Bezüge gekürzt würden, weil er angebotene Arbeitsstellen mehrfach ablehnte. Nichts anderes geschah mit Heiligenthal im nationalsozialistischen Staat. 1938 stellte das Arbeitsamt die Unterstützung für den 1913 Geborenen ein.

Hier aber enden auch schon die Parallelen zwischen NS-Regime und der Bundesrepublik. Denn Heiligenthal geriet im selben Jahr in die Hände der Gestapo. Der Mann galt als „arbeitsscheu“. „Als Parasit im Volkskörper ist seine Absonderung und Erziehung zur ernsten Arbeit angezeigt“, heißt es in der Begründung der Staatspolizei Würzburg für seine Inhaftierung. Ottmar Heiligenthal kam im Mai 1938 in das KZ Buchenwald, so wie mehr als 10.000 weitere Männer. Erst im Januar 1940 wurde die „Schutzhaft“ für ihn aufgehoben.

Das Schicksal von Heiligenthal ist in einer bemerkenswerten Schau der Berliner Gedenkstätte Topographie des Terrors über das Reichsarbeitsministerium zwischen 1933 und 1945 dokumentiert. „Beamte im Dienst des Nationalsozialismus“ lautet die Überschrift der Sonderausstellung. Denn es war keineswegs so, dass diese Staatsdiener, wie lange behauptet, nach der NS-Machtübernahme an Einfluss verloren. Ganz im Gegenteil: Sie konnten ihre Befugnisse erweitern. Es war kein Zufall, dass Heiligenthal in die Mühlen des Nazi-Terrors geriet. Es war Programm.

Individualität galt nichts im NS-Staat, stattdessen triumphierte dort die rassistisch definierte „Volksgemeinschaft“. Entsprechend entstand statt eines freien Arbeitsmarkts der „Arbeitseinsatz“ zugunsten des Staates als Teil der Entmenschlichung der Gesellschaft. Federführend dabei war eben das 1919 gegründete Reichsarbeitsministerium.

System der Zwangsarbeit

Die Konsequenzen dieser staatlichen Allmacht zeigt die Ausstellung an Einzelschicksalen: Elfriede R. etwa entschied sich Ende 1942 dazu, ihre Arbeitsstelle zu wechseln. Doch weil sie dazu keine Erlaubnis besaß, ließ das Regime sie zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilen. Oder der vollständig gehörlose Julius Danner. 1938 entzog man ihm seine Invalidenrente. Er sollte wegen der gesteigerten Nachfrage nach Arbeitskräften wieder der „Volksgemeinschaft“ dienlich sein.

Dem Arbeitsministerium unterstand auch die Rentenversicherung, die die Judendeportationen klaglos hinnahm. Zwar wurden Juden nicht gänzlich aus der Versicherung ausgeschlossen, aber sie verloren schon vor Kriegsbeginn die Möglichkeit zur Teilnahme an Kuren. Nachdem die ersten Deportationen begonnen hatten, stellte die Versicherung ihre Zahlungen an die Empfänger wie selbstverständlich ein – so wie bei Anna Fetterer aus dem badischen Gegenbach, die 1940 ins französische Lager Gurs verschleppt wurde.

„Das Reichsarbeitsministerium 1933–1945. Beamte im Dienst des Nationalsozialismus“. Bis zum 8. 10. 2019. Topographie des Terrors, Berlin, täglich 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der Katalog (310 Seiten) kostet 16 Euro

Nach Kriegsbeginn entwickelte sich aus der zwangsweisen Arbeit ein System der Zwangsarbeit, das Millionen Menschen umfasste. Menschen aus den besetzten Gebieten mussten zur Sklavenarbeit antreten und in Ghettos gesperrte Juden in Osteuropa arbeiteten bis zu ihrer eigenen Deportation in den Tod, ebenso wie die im Reich verbliebenen Juden, die in der Kriegswirtschaft eingesetzt waren, bis man sie durch osteuropäische Zwangsarbeiter ersetzen konnte – und die nun „Überflüssigen“ ebenfalls ermordete.

Immer dabei: Das Reichsarbeitsministerium und die ihnen unterstellten Arbeitsämter. Selbst in entlegenen Gebieten der Sowjetunion etablierten sich diese Menschenjäger. Die Ausstellung thematisiert dieses Kapitel am Beispiel der Ukraine. Die zur Zwangsarbeit gepressten Menschen aber mussten Jahrzehnte warten – und viele erlebten den Zeitpunkt nicht mehr –, bis sich die Bundesrepublik dazu herabließ, ihnen eine Rente zukommen zu lassen.

Kontinuität zum Bundesarbeitsministerium

All diese Tatsachen sind seit einigen Jahren bekannt, ebenso wie die in der Ausstellung breit dokumentierte personelle Kontinuität zwischen dem NS-Ministerium und dem westdeutschem Bundesministerium für Arbeit, wo in den Spitzenpositionen zeitweise mehr als die Hälfte der Beamten eine einschlägige Vergangenheit besaß. Die Rolle des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus ist, ebenso wie bei weiteren Institutionen, von einer unabhängigen Historikerkommission untersucht worden, die 2017 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Die von Swantje Greve kuratierte Ausstellung fußt auf den Ergebnissen dieser wissenschaftlichen Untersuchung. Dieses Novum betont auch Andreas Nachama, Leiter der Topographie des Terrors. Es wäre zu wünschen, wenn die Ausstellung nicht das letzte Projekt dieser Kooperation bliebe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.