Ausstellung „Fluxus“ in Dortmund: Der Damenschuh, Größe 38
Den Anweisungen der Künstler ist Folge zu leisten. „Fluxus – Kunst für Alle“ im Museum Ostwall in Dortmund: „REINIGT DIE WELT VOM ’AMERIKANISMUS‘!“
Vor 100 Jahren wurde John Cage geboren und vor 50 Jahren gab es in Deutschland die ersten Fluxuskonzerte. Die Idee, diese Jubiläen zusammen zu feiern, hat in Dortmund zu zwei parallelen Veranstaltungen geführt. Das Museum Ostwall, jetzt im Dortmunder U, präsentiert „Fluxus – Kunst für Alle“. Am gleichen Ort besinnt sich der HartwareMedienKunstVerein mit „Sounds Like Silence“ auf das „stille Stück 4’33“ von John Cage.
„REINIGT die Welt von der bourgeoisen Krankheit ’intellektueller‘, professioneller und kommerzialisierter Kultur, REINIGT die Welt von toter Kunst, Nachahmung, künstlicher Kunst, abstrakter Kunst, illusionistischer Kunst, mathematischer Kunst, REINIGT DIE WELT VOM ’AMERIKANISMUS‘!
Fördert lebendige Kunst, Anti-Kunst, fördert Nicht-Kunst-Realität, so dass sie von allen Menschen verstanden wird, nicht nur von Kritikern, Stümpern und Fachleuten.“ Es war George Maciunas, amerikanischer Künstler litauischer Abstammung, der sich 1962 mit seinem Fluxusmanifest als Wortführer der Bewegung empfahl.
Internationalität verband sich mit Intermedialität, Gattungsgrenzen hatten ausgedient. Als der Amerikaner John Cage bei seinen Kompositionen für „präpariertes Klavier“ das Klavier mit Metall, Holz und Gummi so bearbeitete, dass sich das Tasteninstrument in ein Perkussionsinstrument verwandelte, bewegten sich bildende KünstlerInnen in Richtung geräuschvolle Kunst. Nur an einer Vorschrift hielt man fest: Der Alltag muss in allem spürbar sein. Ein Affront gegen Museumskunst, die zur stillen Kommunikation einlädt.
Hommage an zwei Fluxus-Sammler
Im sechsten Stock des Dortmunder U vereinigt die Fluxus-Retrospektive rund 300 Werke aus dem eigenen Bestand des Museums. Einzige Leihgabe sind von Fluxusakteuren produzierte Filme aus dem Pariser Centre Pompidou.
Die Schau ist zugleich eine Hommage an zwei Sammler aus Remscheid, die dem Museum kontinuierlich geholfen haben: Der Unternehmer Wolfgang Feelisch hat seit 1968 bis heute Dauerleihgaben und Schenkungen zum Schwerpunkt Fluxus gegeben. Der 2009 verstorbene Ingenieur Hermann Braun begleitet die KünstlerInnen auch mit eigener Recherche zum Thema Fluxus und einem dokumentarischen Archiv.
Im ersten Teil der Ausstellung kann sich der Besucher einen Überblick verschaffen über die verschiedenen Spielarten der Aktionskunst, über Ideen, Konzepte und neue Distributionsformen. Präsentiert wird das zumeist kleinteilige und oft empfindliche Material in hölzernen Kästen. Ein System, das höchsten Fluxustugenden wie Gleichwertigkeit, Flexibilität und Alltäglichkeit gerecht wird. Es gibt Hörproben aus Fluxuskonzerten, bei denen Cage und seine Schüler auf jede traditionelle Klang- und Rhythmusbildung verzichten.
Einer von ihnen ist der vielseitige George Brecht, der von Cage den Begriff „event“ für Stücke mit kurzen Aktionsanweisungen übernahm. Ein beachtlicher Teil der Ausstellung besteht daher aus Eventpartituren, neben Fotografien und Relikten von Aufführungen. Die prinzipiell unbestimmt gelassenen Wortpartituren ließen den Fluxusakteuren viel Freiheit bei der Realisierung. Besuchern, auf die das Fluxusvirus übergesprungen ist, können einige der ursprünglichen Mitmachangebote nutzen.
Mullbinden und Pflaster
Den zweiten Teil der Ausstellung dominieren herausragende Fluxuskünstler mit ihren Arbeiten. Relikt des Happenings „Taking a shoe for a walk“ ist ein mit Mullbinden und Pflaster verarzteter Damenschuh, Größe 38. Allan Kaprow hatte folgende Regel für den Spaziergang aufgestellt:
„Einen Schuh an einer Schnur durch die Stadt ziehen. / Von Zeit zu Zeit untersuchen, ob der Schuh sichtbar abgenutzt ist. / Ihren eigenen Schuh nach jeder Kontrolle in der Stärke mit Mullbinden oder Pflaster umwickeln, in der der Schuh an der Schnur Ihrer Ansicht nach abgenutzt ist. / Wiederholen: den eigenen Schuh weiter mit Mullbinden oder Pflaster bandagieren, bis am Ende des Spaziergangs der Schuh, den Sie ziehen, völlig verbraucht aussieht.“ Beim Spaziergang am 13. August 1989 in der Bonner Innenstadt war einer der Akteure der Sammler Wolfgang Feelisch.
Das „Nadelkissenschach“ und andere auf unseren Spieltrieb zielende Objekte der Japanerin Takako Saito können selbst einen hartgesottenen Ausstellungsflaneur dazu bringen, stehen zu bleiben, um dieses oder jenes in die Hand zu nehmen. Um einiges deftiger ist da schon Wolf Vostells Aufforderung „Umgraben“.
Es gibt einen riesigen, mit Torferde gefüllten Trog, viele Gummistiefel und Spaten. Wer den Spaten so tief in die Erde haut, dass ein Ton hörbar wird, kann an anderen Stellen andere Töne erzeugen. Wenn viele gleichzeitig auf diese Weise Torf stechen, dürfte ein Fluxuskonzert zu hören sein.
„Fluxus – Kunst für Alle“, Muse- um Ostwall im Dortmunder U, bis zum 6. Januar 2013. Katalog ist in Vorbereitung.
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