Ausstellung „Film und Games“: Daddeln als Teilzeitjob
Zocken wir, weil wir unterfordert sind? Eine Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt fragt nach dem Verhältnis von Spiel und Film.
Jane McGonigal ist Spieldesignerin, Wissenschaftlerin und eine der zentralen Stimmen in gegenwärtigen Games-Diskussionen. 2011 verglich sie die Zeit, die wir an Konsolen und Rechnern verbringen, um zu spielen, mit einem Teilzeitjob. In virtuellen Welten erbringen wir regelmäßig enorme Leistungen, weil wir uns dort die Herausforderungen freiwillig aussuchen können.
„Reality is Broken“ nannte sie ihr Buch, das den Kollaps der Leistungsgesellschaft umreißt und nach Alternativen sucht. Ihr Urteil: Wir sind schlichtweg unterfordert. Aus der dem Spiel eigenen Idee von freiwilliger Herausforderung und Motivation durch unmittelbare Belohnung entwickelt sie eine soziale Utopie.
Folgt man McGonigals Argumenten, lassen sich alle Probleme mit ein bisschen mehr Verspieltheit und freier organisierten Arbeitssystemen lösen. Das mag man für naiv halten. Doch fest steht: Die perfekt designten Unterhaltungssysteme von Spielwelten beanspruchen unsere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil sie ein Milliardengeschäft sind.
Das Frankfurter Filmmuseum trägt diesem Umstand mit der Ausstellung „Film und Games – Ein Wechselspiel“ Rechnung und fragt, wie die Entwicklung von Videospielen als kulturellem Unterhaltungsgut mit der Geschichte des Kinos verknüpft ist.
„The public must and will be amused“
Das Verhältnis zwischen Spiel und Film hat seinen Ursprung lange vor dem digitalen Zeitalter. Denn Spaß machte das Daddeln natürlich schon, als sich die Menschen statt mit Bildschirmen nur mit Flipper und Konsorten beschäftigen konnten. „The public must and will be amused“: Die Medienwissenschaftlerin Britta Neitzel zitiert das Billboard-Magazin von 1895 in ihrem Katalogtext, in dem sie auf die gemeinsamen Anfänge von Film und Spielkultur im Zuge der Industrialisierung eingeht.
Sie beschreibt die Zeit um 1900, als Städte neuen Raum für kommerzialisierte Freizeitangebote schufen. Film und automatisierte Spiele erfreuten sich großer Beliebtheit. Und wie Neitzel schreibt, führten sie möglicherweise zu einem neuen Umgang mit den Maschinen in der Fabrik.
Als später auch die Haushalte anfingen, sich zu technisieren, kam das digitale Spielen auf; es verband klassische Automaten mit visuellen Attraktionen zu neuen Varianten des zeitgemäßen Vergnügens. Was wir nun, 40 Jahre später, präsentiert bekommen, erscheint ästhetisch beinahe so ausgefeilt wie das Kino selbst.
Ein Spiel so schön, dass man es nur anschauen will
„Film und Games. Ein Wechselspiel“: bis 31. Januar 2016, Deutsches Filmmuseum Frankfurt. Katalog (Bertz + Fischer) 34,90 Euro.
Dafür muss man sich nicht erst „Beyond: Two Souls“ ansehen, für das die kanadischen Entwickler bei Quantic Dream Willem Dafoe und Ellen Page als Schauspieler verpflichteten. „Ich hätte vor meiner intensiven Beschäftigung mit Games für diese Ausstellung nie gedacht, dass es so schön und interessant sein kann, Games nur zu schauen – ohne sie zu spielen“, sagt Wolfger Stumpfe, der gemeinsam mit Andreas Rauscher die Ausstellung kuratierte und organisierte.
Dass sich Spiele und Filme in ihren Szenarien, Figuren und Erscheinungsformen immer wieder begegnen, ist in der Abhängigkeit von Kassenerfolgen natürlich unvermeidbar: Lara Croft, die sich vom Indiana-Jones-Pendant zur Pop-Ikone mauserte, wurde von Hollywood dankbar für Filmadaptionen vereinnahmt.
Und im aktuellen Reboot der Spielserie erfährt die Heldin ganz im Sinne des neuen Superheldenfilms eine nachträgliche Psychologisierung. Sie ist in Frankfurt vertreten, gleich neben „Star Wars“, dem Paradebeispiel für Erzählungen über alle Mediengrenzen hinweg.
Daneben beleuchtet die Schau auch weniger gelungene Gehversuche: Etwa Ataris fatale „E.T.“-Umsetzung aus den Achtzigern, mit der sich der Spielehersteller einst derart blamierte, dass er die unverkauften Kopien des Spiels in der Wüste verscharrte.
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