Tokyo International Film Festival: Mut zum No-Budget-Film

Der beschwerliche Weg in die westlichen – und heimischen – Kinos: neue japanische Independentfilme beim Tokyo International Film Festival.

Sieben Menschen, stehend und sitzend

Die besonderen Codes japanischer Sprechweisen und Umgangsformen sabotieren: „At the Terrace“ Foto: Geek Pictures

„Es gibt keinen einfachen Weg“, erklärt Yoshi Yatabe. Beim Tokyo International Film Festival betreut er seit mittlerweile zehn Jahren einen Programmschwerpunkt für unabhängige und ästhetisch ambitionierte Produktionen: „Japanese Cinema Splash“. Yatabe versucht mit seinem Wirken beim Publikum einen Sinn für ästhetische und kulturelle Vielfalt zu wecken. Ambitioniert ist das vor allem deshalb, weil der Trend in Japans Filmindustrie aktuell massiv zum Bewährten und zur Anbiederung an das heimische Popcorn-Publikum geht.

Das junge Publikum, das sich in japanischen Kinos gerade „Shin Godzilla“ oder Makoto Shinkais Überraschungshit „Your Name“ ansieht, ist nicht das Publikum für japanische Independentfilme. Zwischen verschiedenen Ideen von Filmsprache zu vermitteln, ist daher eine Herausforderung.

Außerhalb des Festivals greift die Blockbuster-Logik um sich: Es gibt mehr und mehr Leinwände (derzeit rund 3.500), doch die kleinen Häuser machen zunehmend dicht. Große Studios und Produktionskomitees aus Fernsehen und Investoren diktieren mit Adaptionen von TV-Formaten und Mangas die Tagesordnung des japanischen Kinobetriebs.

Wer Miete zahlt, wird gespielt

Unabhängige Regisseure mieten sich mittlerweile selbst kleinere Leinwände an. Sie bezahlen, um Freunden und Bekannten für eine Woche ihren neuesten Film zu zeigen. Da kleinere Kinos von derlei Pauschaleinnahmen mehr und mehr abhängig sind, lässt das die Maßstäbe verschwimmen. Wer Miete zahlt, wird gespielt – die Qualität steht nicht selten an zweiter Stelle. Das hinterlässt sowohl bei Filmemachern als auch beim Publikum ein falsches Bild. Statt Vielfalt schafft das Beliebigkeit.

Kuratorische Arbeit bleibt bei einer Jahresproduktion von rund 600 japanischen Filmen schlichtweg eine Notwendigkeit. Acht bis zehn Filme schaffen es jährlich in Yatabes Auswahl, die potenziell als Türöffner für internationale Festivalkarrieren wirken kann. Neugierige aus Cannes, Rotterdam oder Venedig treiben sich seit Jahren hier herum, und ab und zu stimmt die Chemie.

Das japanische Kino kennt viele Routinen der westlichen Filmsprache überhaupt nicht

„Hospitalité“ von Kôji Fukada taugt immer wieder als Beispiel: Aus der Indie-Sektion in Tokio reiste der Film 2011 nach Rotterdam und zu europäischen, asiatischen und amerikanischen Festivals. Erst durch den Erfolg im Ausland sicherte sich der Film einen heimischen Kinostart. Kiki Sugino, die Produzentin des Films, wird mittlerweile zur Ikone des unabhängigen japanischen Kinos stilisiert. Fukadas letzter Film „Harmonium“ wurde im Mai in der Nebensektion „Un Certain Regard“ von Cannes ausgezeichnet.

Ästhetisch und erzählerisch wagemutig

Im Kino verbirgt sich stets eine grenzüberschreitende, verbindende Perspektive globaler Sichtbarkeit. Während die japanischen Produzenten das westliche Publikum derzeit selten mitdenken, bleiben die Festivals für die kulturelle Vermittlung ausgesprochen wichtig. Denn ästhetisch und erzählerisch wagemutig sind dort vor allem diejenigen Filme, die mit minimalen Mitteln entstehen und selten ein internationales Publikum erreichen können.

Handlungsfähige Indie-Filme im Mittelfeld zwischen No-Budget und Mainstream sind in Japan kaum noch zu finden. Dass unter Minimalbedingungen nicht immer völlig ausgereifte Arbeiten entstehen, erklärt sich dabei von selbst. Einige Branchenjournalisten, Verleiher und Programmmacher kommen seit Jahren nach Tokio, sie mussten mit dem japanischen Kino harte Proben durchstehen. Die Urteile sind manchmal vernichtend.

Doch ungebrochen sind die Geduld und das Interesse an der Experimentierfreude, die sich in diesen Filmen ausdrückt. Das japanische Kino kennt viele Routinen der westlichen Filmsprache nicht, entfaltet sich in Figuren und Erzählweisen gerne frei von psychologischem Realismus, der den europäischen Autorenfilm immer wieder erdet, mitunter trocken und wenig beweglich erscheinen lässt.

Vergleichsweise Gutes

In Tokio gibt es dieses Jahr vergleichsweise Gutes zu sehen. „At the Terrace“ von Kenji Yamauchi etwa. Der Filmemacher bringt in seiner dritten Regiearbeit Theater und Kino zusammen. Eine wohlhabende Partygemeinde sitzt gemeinsam auf der Terrasse, als die meisten Gäste schon das Haus verlassen haben. Alle sind besoffen, einer hat einen schwachen Kreislauf.

Eigentlich geht es nur um den letzten Drink und eine höfliche Verabschiedung. Man spricht über Verstrickungen untereinander, darüber, wie gemeinsame Jobs und frühere Begegnungen gegenwärtige Beziehungen beeinflussen. Dann geht es um Arme und warum diese erotisch sein können. Schönheit liegt schließlich im Auge der Betrachtenden! Bald werden Grenzen überschritten, man konfrontiert sich, fällt sich ins Wort, schreit herum.

Die besonderen Codes japanischer Sprechweisen und Umgangsformen schärfen hier ein universelles Feingefühl für das Soziale als anarchistisches Spielfeld. Denn sie werden erst sorgfältig beachtet und dann mit diebischer Freude über den Haufen geworfen.

„Going the Distance“ von Yujiro Harumoto erinnert an den Sozialrealismus des neuen rumänischen Kinos. Ein entschlackter Film, der sich von der Tendenz des japanischen Filmschauspiels zu Overacting und Melodramatik in der Tat „distanziert“. Diese Filme müssen im Westen auftauchen, nicht nur Godzilla. Meistens muss man sich selbst drum kümmern.

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