Videospiele mit philosophischem Überbau: Trotzki im Weltall

Knappes Personal, Überfälle fremder Mächte – und das alles in der stalinistischen Phase der Sowjetunion: Wer „Spacebase DF-9“ spielt, hat zu tun.

Ganz egal, ob die toten Kollegen noch herumliegen – die Arbeit auf der Raumstation geht weiter. Bild: Hersteller

Sinowjew ist tot. Kamenjew auch. Smirnow, Bucharin, Rykow – alle tot. Die einen niedergemetzelt von feindseligen Aliens, die anderen bei Unfällen verbrannt, erstickt, erschlagen. Die überlebenden Bewohner der „Spacebase DF-9“ kümmert das nicht. Gleichmütig gehen sie ihrer Beschäftigung als Techniker, Bergarbeiter oder Sicherheitsleute nach, während die Leichen ihrer früheren Kollegen noch in den langen Korridoren des Raumschiffs blutend herumliegen.

Nicht selten bieten Computerspiele die Möglichkeit, den Figuren Namen nach eigenem Geschmack zu geben. Hier standen die Mitglieder der Führungsspitze der bolschewistischen Partei Pate, starben doch auch sie unter dramatischen Bedingungen – und zwar von Henkers Hand in der stalinistischen Konsolidierungsphase der Sowjetunion.

„Spacebase DF-9“ ist die Welt eines Aufbauspieles für Windows PCs und Macs, das in der sogenannten Early-Access-Phase Interessierten einen ersten Einblick in das Projekt gibt. Und Interessierte gibt es so einige, nicht nur an dieser Simulation. So markiert auch die Popularität des schwedischen Spiels „Rymdkapsel“ (diverse mobile OS, PCs und Playstation Mobile) einen Trend.

„Was soll ich mich engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts“, sagt Olympia-Teilnehmer Maximilian Arndt. Viele Sportler sehen das wie er und schweigen zu Putins Politik. Welche Gründe sie haben und wer den Mund aufmacht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014 . Außerdem: Die EU-Staaten überlegen, wie sie in der Zentralafrikanischen Republik intervenieren können. Eine schnelle Eingreiftruppe hätten sie: die EU Battle Group trainiert seit fast zehn Jahren, eingesetzt wurde sie noch nie. Ein Besuch bei Europas vergessener Armee. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Dem Spieltyp entsprechend ist die Ausgangslage prekär. Geringe Ressourcen, wenig Personal und äußere Bedrohungen wie Überfälle fremder Mächte verlangen ein expansionistisches Spielprinzip: mehr Leute anwerben, mehr Industrien bauen, die Verteidigung stärken – und das möglichst zügig.

„Die Menschen bleiben hinter der Technik zurück“

Leo Trotzki, neben Stalin der letzte Überlebende des alten Politbüros, wusste um die Probleme des Wirtschaftens unter solch drückenden äußeren Umständen: „Dies fieberhafte Wachstum hat auch seine negativen Seiten; die verschiedenen Elemente der Wirtschaft harmonieren nicht miteinander, die Menschen bleiben hinter der Technik zurück. All das zusammen äußert sich in ungemein hohen Gestehungskosten bei niedriger Produktionsqualität.“*

In der Spacestation hat wie überall das nackte Überleben absoluten Vorrang. Lebensmittelreplikatoren, Energiebasis und Sauerstoffrecycler wollen schnell installiert sein. Wenn aber schließlich genug Atemluft produziert wird, was dann? Sozialismus im Weltraum?

Herr Trotzki? „Die historische Aufgabe besteht jedoch keineswegs darin, nicht zu ersticken …, sondern eine machtvolle, ganz und gar rationelle Wirtschaft zu schaffen, worin größtmögliche Zeitersparnis und infolgedessen höchste Entfaltung der Kultur gewährleistet sind.“*

Nun gut, das Essen wird besser, es gibt bescheidene Unterhaltungsangebote, und doch teilt die Statusanzeige der Namensvetter russischer Revolutionäre häufig Stimmungslagen mit, die zwischen „irgendwie traurig“, „traurig“ und „tieftraurig“ (kinda sad, sad, deeply sad) changieren.

Keine Option zur Revolte

Wie könnten sie auch anders fühlen? Gefangen irgendwo im All, permanent zum Arbeiten gezwungen, dabei regiert von einer ihnen unzugänglichen Macht, ist ihre Melancholie leicht nachvollziehbar. Die ökonomischen Erfolge des Ganzen finden derweil keinen angemessenen Niederschlag im Alltag der Figuren.

Das hat System, zumindest bei Trotzki: „Ein der Sowjetindustrie eigenes Gesetz kann man so formulieren: das Erzeugnis ist in der Regel umso schlechter, je näher es dem Massenverbraucher ist.“* Dass das Spiel dem „Verbraucher“ dabei keine Option zur Revolte einräumt, ist zutiefst unfair und – unrealistisch.

Generell haben jene Spiele eine entscheidende Schwäche, in denen der Spieler selber keine angreifbare Repräsentation in der virtuellen Welt hat: Sie sind im ideellen Kern unrealistisch und werden somit schnell uninteressant: Jede noch so fantastische Welt muss Lebendigkeit abbilden können und nicht nur triviale Buntheit. Schon in der ersten Version des legendären Spiels „Simcity“ musste sich der Bürgermeister der öffentlichen Meinung seiner virtuellen Stadt stellen, die sich im Zweifelsfalle auch mit Brandschatzung, Mord und Totschlag Bahn brach. So etwas motiviert den Spieler.

Am Ende der Geschichte seiner Welt

Ist er hingegen nicht nur unsterblich, sondern nicht einmal in der Spielwelt „anwesend“ – wie viel Herzblut kann er entwickeln für die Pixelhaufen, deren Wohl und Wehe ihm dort anvertraut sind? Sie sind dann austauschbare Verschiebemasse einer mehr oder weniger herausfordernden Übung im Durchschauen rein mechanischer Abläufe der Programmierung. Der Spieler kann so (im besten Fall) seine Repräsentation als die Raumstation selbst finden, was beim Beispiel „Rymdkapsel“ mit seiner minimalistischen Gestaltung gewolltes Spielprinzip ist.

Die Figuren sind dann willenlose Handlanger in einer totalitär organisierten Welt, analog zur stalinistischen Verschmelzung von Staat und Regierung. Selbst wenn der Spieler den Wunsch haben sollte, ein politisches Experiment zu wagen, scheitert er stets an der unterkomplexen und völlig linearen Spielführung und der eigenen Unantastbarkeit. Hoffentlich wissen das die Entwickler von „Spacebase DF-9“ und haben für die Betaversion und den letztendlichen Release noch ein paar interessante Ideen auf Lager, die den Figuren eigenständiges Leben einhauchen. Das freut dann auch den Trotzki.

„Der Sozialismus ist undenkbar ohne Selbsttätigkeit der Massen, ohne Aufblühen der menschlichen Persönlichkeit.“** Und das anregende Aufbauspiel ist nicht denkbar ohne die Möglichkeit des Scheiterns am Widerstand der „Masse“. Gibt es dann noch nicht einmal ein konkret formuliertes Spielziel, wie zum Beispiel das Erreichen einer bestimmten Produktivität oder Bevölkerungszahl, befindet sich der Spieler von der ersten Minute an am Ende der Geschichte seiner Welt. Leben, Sterben, einerlei. Irgendwie traurig.

Zitate: Leo Trotzki, *„Verratene Revolution“, **„Stalins Verbrechen“

Update: Zahlreichen Hinweisen aus der Bevölkerung, dass im Namen der Spacestation eine Kopplung fehle (also DF-9, nicht DF9) ist die Kontrollkommission nachgegangen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einwand seine Berechtigung habe. Nach ausführlichen Beratungen mit der Zentralen Plankommission hat diese eine größere Anzahl Bindestriche aus dem Reservevorrat freigegeben, und damit den Helden der Arbeit die Möglichkeit eröffnet, diese an geeigneter Stelle einzufügen. Das ist inzwischen geschehen, und so dürfen wir mit Stolz vermelden, dass auch hier der Plan zu mindestens 114 Prozent übererfüllt ist.

Update 2: Weitere Eingaben unserer Menschen weisen darauf hin, dass die Spacestation gar keine Spacestation, sondern eine Spacebase sei. Nach eingehender Prüfung konnte auch dieser Sachverhalt bestätigt werden. Die Mitglieder von Kontroll- und Zentraler Plankommission sind wegen konterrevolutionärer Umtriebe in einen längeren Zyklus von Kritik und Selbstkritik überführt worden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.