Ausstellung „Die Tänzerin von Auschwitz“: Die Ungebrochene
Roosje Glaser war eine jüdische Tänzerin, die Auschwitz überstand. Das Städtische Museum Braunschweig zeigt eine Ausstellung über ihr Leben.
Als „bizarr“ bezeichnet der Niederländer Paul Glaser die Geschichte seiner 1914 geborenen Tante Rosa Regina, genannt Roosje, Glaser. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 in Schweden, und lange kannte er den jüdischen Hintergrund seiner Familie nicht: Er wurde katholisch im katholischen Teil der Niederlande aufgezogen. Sein Vater, Bruder von Roosje, verschwieg das Schicksal der Großeltern, die im Krieg verstarben, „an Altersschwäche“, wie es hieß.
Erst als Glaser 2002 in der Gedenkstätte Auschwitz einen Koffer mit dem Namen der Familie entdeckte, beschloss er, ihrer Geschichte nachzugehen. Das Ergebnis: ein Buch zum Leben von Roosje Glaser sowie eine Wanderausstellung. Diese ist nun im Städtischen Museum Braunschweig zu sehen.
Roosje Glaser war Tänzerin, Musikerin und Tanzlehrerin, unterhielt ab 1937 mit ihrem Ehemann, nach der Scheidung von 1940 bis 1942 dann allein eigene, erfolgreiche Tanzschulen, zum Schluss illegal auf dem Dachboden ihres gut situierten Elternhauses. Dank ihrer perfekten Deutschkenntnisse gelang es ihr, sich lange den Besatzungsbehörden zu entziehen. Ihren Tanzschüler:innen empfahl sie: Hamstern Sie Lebensfreude – auch in dunklen Tagen!
Mehrfach – von ihrem Ex-Mann, aber auch von einem Geliebten – an die NS-Behörden verraten, wurde sie Ende 1942 inhaftiert, nach Westerbork, Vugh und 1943 nach Auschwitz deportiert. In dem Grauen dieser Lager traf sie immer wieder auf Menschen, mit denen sie Sketche und selbstgeschriebene Lieder aufführen und tanzen konnte. In Auschwitz ließ sie medizinische Experimente, auch eine Sterilisation, über sich ergehen, arbeitete in den Gaskammern, in Fabriken.
„Die Tänzerin von Auschwitz“: Städtisches Museum Braunschweig, bis 2. 1. 22
Sie ging Verhältnisse mit SS-Kommandanten ein – und gab allabendlich SS-Personal Tanz- und Benimmunterricht. Roosje Glaser überstand den Todesmarsch Richtung Westen, er endete für sie am 30. April 1945 im Großraum Hamburg, wo das Schwedische Rote Kreuz sie als vermeintliche Skandinavierin gegen deutsche Kriegsgefangene austauschte und nach Malmö brachte.
Noch Ende 1945 lernte sie ihren schwedischen Ehemann kennen und heiratete 1946. In die Niederlande, aus denen prozentual mehr Jüdinnen und Juden ermordet wurden als aus anderen Ländern, kehrte Roosje Glaser nicht mehr dauerhaft zurück.
Buch und Ausstellung beruhen auf Originaldokumenten und Filmen, die Roosje Glaser in den Niederlanden verstecken konnte, sowie einem aus der Erinnerung rekonstruierten Tagebuch. Geschönt? Selbst wenn: Eine ungebrochen lebensfrohe und -kluge Frau wird daraus erkennbar, die selbst in erniedrigendsten Situationen nicht ihre Haltung verlor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste