Ausstand der Lokführer: Vorsicht an der Bahnstreik-Kante
Die Lokführer im Ausstand treffen sich im Streik-Café am Ostkreuz. Die Strategie ihrer Gewerkschaft kritisieren sie kaum - die Zentrale wird's schon wissen. Kritisch beobachten sie dagegen die Medien
Wie fast jeden Tag seit 23 Arbeitsjahren legt S-Bahn-Führer Peter Gamsch (42) am Donnerstag früh die blaue Dienstkleidung an und fährt zum Ostbahnhof. Dort geht er in seine Dienststelle, die er "Wellblechpalast" nennt: "Da habe ich mich zum Dienst gemeldet und gleich wieder abgemeldet." Vom Bahnhofsgelände muss er darum verschwinden. Aber das will er ja auch.
Eigentlich sollte Gamsch zwischen 12:14 Uhr und 21:35 Uhr "ein Stückchen Ring und ein Stückchen S5" in seiner kleinen Fahrkabine abtingeln. Stattdessen sitzt er zusammen mit 30 S-Bahn-Kollegen in einem muffigen Zimmer am Ostkreuz - und streikt. Vor der Tür stehen nochmal so viele und streiken rauchend. Die Stimmung ist gut, Gesprächstoff und Kekse reichlich vorhanden. 30 Stunden, von Donnerstag 2:00 Uhr bis Freitag 8:00 Uhr, hat die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) angekündigt, werde keines ihrer Mitglieder die Hand an den Steuerknüppel legen. Die Deutsche Bahn meldet, zwei Drittel der S-Bahnen in Berlin und Brandenburg seien ausgefallen und praktisch alle Regionalzüge .
Damit niemand behauptet, er mache sich zuhause einen Lokführer-Lenz, trägt sich Gamsch, der wie viele andere erst "kürzlich" der Gewerkschaft beitrat, in eine Anwesenheitsliste ein. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen: Die Schichtzeiten sind verschieden und die Neuankömmlinge nicht von den Rauchern vor der Tür zu unterscheiden, die zur Kaffeemaschine wandern. Überhaupt sehen alle ziemlich gleich aus in ihren blauen Zweiteilern. Und sie sind ziemlich einer Meinung: Aufgeben ist nicht.
Die meisten finden die Streik-Strategie der GDL richtig. Kritik kommt nicht und wenn, dann mit größter Vorsicht. Einer, der nicht genannt werden möchte, findet es ungeschickt, jetzt die Fahrgäste zu ärgern. Besser wäre es gewesen, meint er, das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz abzuwarten. Könne man dann den Güterverkehr bestreiken, sei das ein effektiveres Mittel, um den Arbeitgeber unter Druck zu setzen. An seiner Unterstützung ändere das jedoch nichts. Enrico Forchheim, Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe S-Bahn-Berlin, äußert sich noch diplomatischer: Zur Strategie könne er nichts sagen. "Wir haben hier nicht den globalen Überblick wie die Zentrale in Frankfurt. Aber wir vertrauen ihr rückhaltlos."
Ein Lokführer-Pärchen, das an seinem freien Tag zur Unterstützung ins Streik-Büro kommt, klagt, "dass die Unterstützung von den Fahrgästen langsam schwindet". Aber, sagt die Frau, "die Leute wissen gar nicht, worum es uns wirklich geht. Wenn es nur das Geld wäre, hätten sich Bahn und Gewerkschaft schon längst geeinigt. Uns geht es um den eigenen Tarifvertrag." Groß ist der Ärger über einen aktuellen Zeitungsartikel. Er berichtet von einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, derzufolge ein Lokführer mit rund 20 Euro pro Stunde weit mehr verdiene als in der Verkehrsbranche üblich. "Keine Ahnung, wie man auf solche Gehälter kommt. Das wäre ja richtig gut. Wenn das stimmte, bräuchten wir hier nicht herumzustehen", kommentiert Peter Schiller (40). "Ich bekomme 12 Euro."
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