Aussöhnungsabkommen mit Namibia: Protest vor Parlament in Windhoek
Am Dienstag sollte das Parlament über die Einigung mit Deutschland abstimmen. Der Deal ist hochumstritten, auch auf der Straße regt sich Widerstand.
Auslöser für die Proteste war die für den Nachmittag vorgesehene Ratifizierung der umstrittenen Einigung durch die Abgeordneten. Bis Redaktionsschluss lag das Ergebnis noch nicht vor. Die Regierungspartei Swapo belegt allerdings im Parlament 63 von 71 Sitzen, weshalb die Opposition die Ratifizierung erwartete.
Mit dem Aussöhnungsabkommen werden die brutalen Verbrechen der deutschen Kolonialtruppen an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Die Deutschen schlugen im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 die Widerstände der Volksgruppen gegen die Kolonialherren nieder. Die Truppen ermordeten mehr als 80.000 Menschen oder vertrieben die Menschen in die Wüste, wo sie verdursteten.
Die Einigung beinhaltet nun eine an die Nachkommen gerichtete Entschuldigung sowie deutsche Wiederaufbauhilfen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung sollen sich daraus aber nicht ableiten lassen – das Abkommen verzichtet auf den Begriff der Reparationen. Diese hatte die namibische Seite gefordert, Windhoek bezeichnete die Geldzahlungen auch bei Abschluss der Einigung dem Parlament gegenüber als „reparations package“.
Kritik an der Höhe der Entschädigungszahlungen
Unter anderem die Höhe der Wiederaufbauhilfen kritisieren Gegner*innen harsch. Sie werden im Abkommen einzelnen Bereichen zugewiesen und sollen über 30 Jahre ausgeschüttet werden. Auch die namibische Regierung hatte auf mehr gepocht: „Wir sind nicht stolz über die Höhe, aber wir können sagen, dass unsere Verhandler unter den ihnen gegebenen Umständen ihr Bestes gegeben haben“, sagte Namibias Vizepräsident Nangolo Mbumba von der Regierungspartei Swapo (South-West Africa People’s Organisation) nach Berichten im Juni bei einer Pressekonferenz und gestand ein, dass diese Geldsumme „nicht genug“ sei.
Zuletzt habe sich auch der Eindruck verstärkt, das Abkommen solle nach den Verzögerungen durch die Coronapandemie schnell durchgebracht werden, schreibt der Soziologe Reinhart Kößler in der Zeitschrift iz3w: „Dabei hat die namibische Seite offenkundig umfassend nachgegeben. Sie hat den innernamibischen Konsens über die Notwendigkeit von Reparationen stillschweigend kassiert und sich mit einer sehr viel geringeren Summe zufriedengegeben, als in ihrer zwischenzeitlich durchgesickerten ursprünglichen Forderung veranschlagt worden war.“
Doch nicht nur die Höhe der Zahlungen sorgt für Unmut, auch kritisieren Nachfahren der Opfer seit Jahren, dass sie nicht an den Entscheidungen beteiligt würden. Die Vertreter, die die Mehrheit der Herero und Nama repräsentierten, seien ausgeschlossen von den Verhandlungen.
Zusätzlich hatte sich die Coronalage in Namibia tragisch zugespitzt. Auch wichtige Akteure im Ringen um Aussöhnung waren einer Covid-19-Erkrankung zum Opfer gefallen: Im Juni starben sowohl einer der erbittertsten Kritiker des Abkommens, Vekuii Rukoro, Chef des traditionellen Rates der Herero, als auch der namibische Chefunterhändler für die Einigung, Zed Ngavirue.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind