Außenseiter überrascht Real Madrid: Sheriff in der Champions League
Sheriff Tiraspol gewinnt bei Real Madrid. Was Sie über den wundersamen Neuling der Königsklasse aus Transnistrien alles wissen müssen.
Wie groß ist das Wunder?
Außenseitersiege gibt es in der Champions League immer seltener. Als größte Überraschung ist zuletzt der Erfolg der Feierabendkicker vom luxemburgischen Meister F91 Düdelingen gegen den Konzernklub RB Salzburg in der Qualifikation zur Gruppenphase der Champions League in Erinnerung geblieben. Das ist allerdings auch schon wieder fast zehn Jahre her. Der 2:1-Auswärtstriumph von Sheriff Tiraspol bei Real Madrid ist eine ähnlich krasse Umkehrung der Machtverhältnisse im europäischen Fußball. Der geschätzte Marktwert des Kaders des derzeitigen Tabellendritten der ersten moldauischen Liga liegt mit 12,38 Millionen Euro knapp unter dem vom Zweitligisten SV Sandhausen (12,4 Millionen Euro). Dass sich der Verein in vier Qualifikationsrunden gegen Teuta Durres (Albanien), Alashkert Erewan (Armenien), Roter Stern Belgrad (Serbien) und Dinamo Zagreb (Kroatien) durchsetzen konnte, galt schon als Wunder. Bis dahin war der größte internationale Erfolg vom FC Sheriff ein 2:1-Europa-League-Sieg bei Lokomotive Moskau im Jahr 2017. Am Montag gab die Uefa noch bekannt, dass sie das juristische Verfahren gegen die abtrünnigen Super-League-Gründungsmitglieder Real Madrid, FC Barcelona und Juventus Turin einstellen wird. Im Nachhinein könnte man fast glauben, dass man bei der Uefa wusste: Die Höchststrafe für Real kommt noch mit dem FC Sheriff.
Wer ist der Held des Spiels?
Freilich werden alle 14 beteiligten Spieler in die Geschichtsbücher des Vereins eingehen. Besonders heraushebenswert war aber der griechische Torhüter Georgios Athanasiadis, der sich in seiner Heimat nirgends richtig durchsetzen konnte und etliche Großchancen von Real Madrid vereitelte. Und zum Helden der Partie wurde der Luxemburger Sebastien Thill, der in der 89. Minute aus der Distanz den Ball per Dropkick wunderschön in den Torwinkel beförderte. Was für ein Glück, dass der FC Sheriff sich den Mittelfeldspieler vom luxemburgischen Klub FC Progrés Niederkorn für diese herausfordernde Champions-League-Saison ausleihen konnte.
Was ist das für ein Klub?
So wundersam wie der Erfolg gegen Real ist der ganze Verein. Der noch junge Fotbal Club Sheriff Tiraspol (Gründungsjahr 1996) wird von Sheriff, dem größten Unternehmen in Transnistrien, finanziert. Transnistrien wird völkerrechtlich zwar der Republik Moldau zugerechnet, ist aber ein eigenständiges Gebilde mit eigener Währung, Verwaltung und Militär mit dem Anspruch auf Unabhängigkeit. Der Konflikt mit Moldau wird als „eingefrorener Konflikt“ bezeichnet. Sheriff agiert im Stile eines Staatsunternehmens, soll 60 Prozent der Wirtschaft kontrollieren und wird mit dem hohen Maß an Korruption in dieser Region in Verbindung gebracht. Gegründet wurde das Unternehmen von zwei ehemaligen Sicherheitskräften, die wohl auch mit dem Firmennamen ihren Machtanspruch untermauern wollten. Neben dem Fußballverein kümmert sich der Konzern um Supermärkte, Tankstellenketten, Getränkehersteller und Großbäckereien, das Mobilfunknetz sowie Fernsehsender und andere Medien. Der FC Sheriff, der in der moldauischen Liga spielt und in den letzten 21 Jahren 19 Meistertitel gewann, soll auf größerer Bühne die transnistrische Überlegenheit demonstrieren.
Wie arbeitet der FC Sheriff?
In die Infrastruktur des Vereins hat man so viel Geld fließen lassen, dass man in der einheimischen Liga der Konkurrenz weiter voraus ist als das etwa bei Real Madrid der Fall ist. Etwa 200 Millionen Euro soll der Stadionkomplex mit diversen Trainingsplätzen gekostet haben. Bislang investiert der Verein vor allem in die Gehälter, um ausländische Spieler nach Tiraspol zu locken, die sich dann auf internationaler Ebene für andere Klubs interessant machen wollen. Im Spiel gegen Real Madrid standen in der Startelf ein Usbeke, ein Malier, ein Ghanaer, zwei Griechen, zwei Kolumbianer, zwei Brasilianer, ein Peruaner und ein Luxemburger.
Liebenswerter Underdog?
Der FC Sheriff Tiraspol mag unter den europäischen Konzernvereinen niedlich erscheinen. Das Geschäftsmodell mit Hang zu kriminellen Strukturen ist indes nichts für Fußballromantiker. Nüchtern betrachtet kann man es so sehen wie Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Zeit sagte er, wenn man eine WM an Katar vergebe, könne man auch Champions League in Transnistrien schauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten