piwik no script img

Außenpolitik der TürkeiErdoğans Schaukelkurs

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der türkische Präsident liefert der Ukraine Waffen, sanktioniert Russlands Präsident Putin aber nicht. Jetzt könnte er den Bogen überspannen.

Maximal flexibel: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan – hier beim Nato-Gipfel in Madrid Foto: Manu Fernandez/ap

E ins muss man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan lassen: Er ist maximal flexibel. Als Nato-Mitglied verurteilt die Türkei unter seiner Führung den Krieg Russlands gegen die Ukraine und liefert der Ukraine Waffen, gleichzeitig unterhält Erdoğan aber auch enge Kontakte zu Putin und nimmt an den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht teil.

Während Putin ukrainische Städte zusammenschießen lässt, erholen sich russische BürgerInnen an türkischen Stränden vom Kriegsstress. Der Westen und der Kreml lassen ihn gewähren, weil Erdoğan verspricht, seine Quasineutralität dazu zu nutzen, einen Rahmen für eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine zu bieten, Verhandlungen, die ja irgendwann kommen müssen. Einen Vorgeschmack bieten die derzeitigen Gespräche über die Lösung der Getreidekrise, die im Moment in Istanbul stattfinden und vom türkischen Militär moderiert werden. Kommt es zu einer Lösung, könnten die Gespräche zur Blaupause für künftige Verhandlungen werden.

Bislang ist Erdoğan mit seiner Schaukelpolitik durchgekommen. Man mag ihn nicht, aber er sorgt dafür, dass man ihn braucht. In Brüssel konnte er sogar die Bedingungen für einen Nato-Beitritt von Finnland und Schweden diktieren. Jetzt überschreitet er aber möglicherweise eine rote Linie: Während Jo Biden, Vormann des Westens, seit Mittwoch durch den Nahen Osten tourt, um eine israelisch-arabische Allianz gegen den Iran auf die Beine zu stellen, will sich Erdoğan am kommenden Dienstag zu einem Treffen mit Putin und dem iranischen Präsidenten Raisi nach Teheran aufmachen. Das könnte für die Amerikaner dann doch etwas zu viel Flexibilität sein.

Dass es Erdoğan dabei vor allem um Syrien geht, kann aus Sicht von Biden auch keine Entschuldigung sein. Denn die kurdischen YPG-Milizen, die der türkische Präsident dort mit russischer Billigung bekämpfen will, sind US-Verbündete im Kampf gegen den IS. Erdoğans Obsession,eine kurdische Autonomie in Syrien verhindern zu wollen, könnte ihn außenpolitisch den Kopf kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Genau!

    Wo ist der "Hirnvergabefehler"?

    Sanktionen als teuflischer Bummerang und obendrauf karren griechische Tanker tonnenweise Putins Öl durch die Weltgeschichte.



    DieSaudis liebäugeln schon mit den BRICS-Staaten, derweil Deutschland & Co. sich selbst abschaffen...

    Habeck, Bearbock, Lindner teilen sich dabei den "Zepterschwung". Ist Scholz denn schon "Altkanzler" oder oder spielt der weiter "au-weia-card"?

  • falls Erdogan nicht abgewählt wird liegt ein Ausschluss der türkei aus der NATO nahe. Erdogan ist auch ein alter Mann in seinem Palast. Wie all die anderen Idi.. eh ich meine starken Männer.

  • RS
    Ria Sauter

    Glauben Sie das wirklich bezüglich Erdogan?



    Gerade hat die Nato ohne Zögern Menschen zur Verhandlungsmasse gemacht und seinen Forderungen zugestimmt.

    • @Ria Sauter:

      Hier geht es den USA ja um ihre sicherheitspolitischen Machtinteressen und die wiegen (für die NATO) deutlich schwerer als Menschenleben...

  • Solange es die NATO gibt, wird gar nichts



    ErdoğansKopf kosten.



    Denn im Zweifelsfall braucht ihn die EU,



    zumindest wenn es um die NATO geht,



    wie auch das letzte Beispiel um den NATO Beitritt von Schweden und Finnland zeigt.

    • @Bu-Be:

      Sehe ich genauso!