Außenminister mit Doppelstrategie: Zweierlei Maas
Der geschäftsführende Justiz- und künftige Außenminister Heiko Maas kann beides: Tempo und Entschleunigung. Das braucht er auch.
Als Heiko Maas in die Hauptstadt kam, machte er sich ungewöhnlich schnell bemerkbar. Vielleicht setzen sich andere Neulinge artig ins Wartezimmer. Maas trat die Tür ein.
Das neue Kabinett war kurz vor Weihnachten 2013 vereidigt worden, als Justizminister hatte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel überraschend Heiko Maas präsentiert. Kurz nach Neujahr 2014, der Berliner Betrieb schlummerte noch, gab der Neue ein Interview im Spiegel. Die Vorratsdatenspeicherung, die Union und SPD eben erst in den Koalitionsverhandlungen abgemacht hatten, werde er nicht einführen.
„Geschäftsgrundlage entfallen.“ Wumms. „Liegt für mich auf Eis.“ Klirr. „Ganz neu reden.“ Boing.
Das war bemerkenswert, denn ausgerechnet jener Mann, der nun vier Jahre später Außenminister wird, kam damals erst aus Saarbrücken – als eigentlich schon aufgegebene Provinzhoffnung der SPD. Die Politik im Saarland ist nicht verschnarcht, aber sie tickt schon ein wenig gemächlicher zwischen Wallerfangen und St. Ingbert.
Maas suchte sich in Berlin erst mal keine Wohnung, sondern kampierte in einem Nebenzimmer des Justizministeriums. Wichtiger war ihm, dass die anderen merkten, dass da einer was will. So ließ er seine erste Attacke in den Januar krachen, es ging gleich gegen den Innenminister von der Konkurrenz, gegen Thomas de Maizière. Wumms. Klirr. Boing.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Aber nur ein bisschen später gingen die beiden essen, der Innen- und der Justizminister. Sie erzählten sich aus ihrem Leben, Maas sprach von Lafontaine, an dem er sich im Saarland abgearbeitet hatte. De Maizière thematisierte die alte Rollenteilung. Dass der Innenminister den harten Hund gibt und der Justizminister den bedächtigen Mahner, so simpel müsse es ja nicht sein. Wenn sie sich seither stritten, dann gepflegt, und bevor ein Interview erschien, wurden SMS ausgetauscht. Dem Sozialdemokraten gefiel diese strategische Verbindung in den anderen Teil der Koalition. Denn so ist der andere Maas: ruhig, vorsichtig, beobachtend.
Dass der Politikbetrieb unablässig lärmt und rast wie im Rausch, ist ein Klischee. Berlin lebt von Tempi und Timing, es zählen Dosis und Momentum. Klar, wer schnell zuschlägt, kann eine Debatte beeinflussen. Aber ein Politiker kann sich auch alles kaputt quatschen, wenn er zu schnell ist. Wie Martin Schulz, der zu früh und zu viel redete, als Jamaika geplatzt war. Oder Ursula von der Leyen, die einen Skandal um rechte Umtriebe in der Bundeswehr abräumen wollte, bevor überhaupt klar wurde, was passiert war. Manchmal hört man auch gar nichts. Nur die Stille, wenn Fraktionskollegen einen angeschlagenen Politiker alleinlassen. Kleine Scheindebatten und vorsichtige Testballons. Oder die gemütliche Sattheit des Sommers.
Dass Maas nach vier Jahren Berlin, mit 51, Außenminister wird, liegt daran, dass er beides kultiviert hat: Tempo und Entschleunigung. Er hat Tweets verschickt und Interviews rausgehauen. Pegida hat er früh eine „Schande für Deutschland“ genannt, seitdem hetzen die Rechten mit Vorliebe gegen ihn. Maas meldete sich zum Fußball und zum Strafrecht, zu Erdoğan und zur Ehe für alle, und als Jamaika platzte, behauptete er, dass Lindner die Demokratie beschädigt.
Er machte Vorschläge und stellte Forderungen. „Politik muss auch den Mut besitzen, Themen anzupacken, bei denen man zu Beginn der Diskussion noch nicht weiß, wie die Diskussion endet“, hat er mal gesagt. Einen heißen Reifen ist er gefahren in den vier Jahren, aber aus der Kurve flog er nicht.
Der andere Maas sitzt ruhig am Tisch, bewegt sich ruhig und spricht ruhig. Er ist dermaßen sparsam mit seinen Worten, dass man zwischen zweien seiner Sätze die Zeitung lesen könnte. Auf die Idee käme aber niemand, weil der Minister sich um Gesprächspartner bemüht. Er fragt, hört zu, beobachtet. Ein wenig zu wenig redet dieser Maas. Wenn er sein Gegenüber mustert, wirkt das etwas übertrieben, wie eine pantomimische Aufführung von Autorität, fast wie ein Minimerkel.
Ruhe und Reaktionsgeschwindigkeit – das Außenministeramt verlangt beides: die stille, besonnene Diplomatie und das klare, schnelle Sprechen. Aber Justiz und Außen, die beiden Ämter unterscheiden sich. Das Justizministerium, einst geräuschloses Notariat der Regierung, in dem Maas’ Vorgängerinnen Brigitte Zypries und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kaum auffielen, hat er mit aller Kraft zur PR-Plattform gepimpt. Auf das Auswärtige Amt richtet sich die Aufmerksamkeit dagegen fast von selbst.
Wenn da einer überdreht, kann es auch schiefgehen. Wumms. Klirr. Boing.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite