Ausnahmezustand in Südkorea: Rätselraten um Yoon Suk Yeol
Der südkoreanische Präsident hatte das Kriegsrecht ausgerufen. Nun wird wegen Hochverrats gegen ihn ermittelt. Er klammert sich weiter an sein Amt.
Ohne Frage: Präsident Yoon Suk Yeol steht derzeit mit dem Rücken zur Wand. Die nationale Polizeibehörde hat am Donnerstag Ermittlungen wegen Hochverrat eröffnet; ein Strafbestand, der mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Bereits am Samstag wird im Parlament über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon abgestimmt. Es bräuchte nur acht Abweichler aus den eigenen Reihen, damit dieses die Legislative passiert.
Die naheliegendste Lösung wäre, dass Yoon von sich aus das Amt niederlegt. Selbst der Economist, dessen wirtschaftsliberale Blattlinie durchaus mit der Politik des Präsidenten übereinstimmt, titelt ganz offen: „Yoon Suk Yeol sollte zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden“. Doch der 63-Jährige denkt gar nicht daran.
Am Donnerstagmorgen gab Yoon erstmals gegenüber der Öffentlichkeit ein indirektes Lebenszeichen: Er habe das Rücktrittsgesuch seines ehemaligen Verteidigungsministers Kim Yong Hyun akzeptiert und bereits einen Nachfolger ernannt, heißt es aus dem Präsidentenbüro.
Yoon nutzt Sündenbock
Kim und Yoon sind alte Freunde, kennen sich noch aus der Oberschule. Es besteht kein Zweifel daran, dass Kim das Ausrufen des Kriegsrechts offen befürwortet hat. Doch laut Yoons Lager soll er nun gar der alleinige Strippenzieher gewesen sein, der den Präsidenten dazu gedrängt habe. Kritiker werfen allerdings ein: Yoon Suk Yeol nutzt einen Sündenbock, um die eigene Verantwortung abzuwälzen.
Auch mehrere Tage nach dem spektakulären Ausnahmezustand rätselt die südkoreanische Öffentlichkeit über das Warum. Yoon hatte seinen Schritt mit einem Verweis auf „nordkoreanische Kräfte“ begründet. Doch an der Demarkationslinie, so heißt es vom Militär, sei die Lage den Umständen entsprechend ruhig.
Leute, die Yoon persönlich begegnet sind, zeichnen von ihm das Bild eines bisweilen cholerischen Mannes, der einen Hang zu Esoterik und Verschwörungstheorien hat. Er war möglicherweise dem öffentlichen Druck des Politikerlebens nicht gewachsen, mutmaßen sie, und habe in einer Kurzschlussreaktion zum Äußersten gegriffen.
Viele Indizien sprechen dafür, dass sein versuchter Coup nicht von langer Hand geplant war. Der Chef der südkoreanischen Marine etwa hat sich zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht im Lande befunden. Dabei wäre es von essenzieller Bedeutung gewesen, dass Yoon die vollständige Kontrolle über sein Militär innegehabt hätte.
Pistolen demonstrativ leer
Doch dies war offensichtlich niemals der Fall. Kurz nachdem Yoon das Kriegsrecht verhängt hatte, gelang es Dienstagnacht 190 Abgeordneten, den Plenarsaal der Nationalversammlung zu erreichen, wo die Politiker schließlich unisono die Rücknahme des Kriegsrechts forderten – unter ihnen mindestens ein Dutzend Mitglieder der Regierungspartei.
Zeugen sagen, dass die Soldaten beim Sturm auf die Nationalversammlung ihre Gewehre und Pistolen demonstrativ mit leerem Patronenlauf führten und es mit Absicht nicht geschafft hätten, das Parlament vollständig abzuriegeln.
Innerhalb der breiten Öffentlichkeit hat Yoon seinen Rückhalt ohnehin mehrheitlich verloren. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten sieben von zehn Koreanern, dass der Präsident seines Amtes enthoben wird.
Breite Proteste dürften nur eine Frage der Zeit sein. Am Donnerstagabend haben sich erstmals die Studierenden der renommierten Seouler Nationaluniversität versammelt, um den Yoons Rücktritt zu fordern.
Brennende Kerzen wie vor acht Jahren
Sie und ihre Generation haben in der Nacht auf Mittwoch in den Fernsehnachrichten gesehen, was sie sonst nur aus Dokumentarfilmen oder Geschichtsbüchern über die Zeit der Militärdiktatur kannten: Dass die Armee die Kontrolle über die Politik zu übernehmen versucht.
Als Zeichen ihres Protestes tragen die Demonstrierenden brennende Kerzen bei sich – eine Anspielung auf die Kerzenscheinmärsche vor acht Jahren. Damals zogen über Monate hinweg hunderttausende Menschen in die Seouler Innenstadt, um den Rücktritt der damaligen Präsidentin Park Geun Hye zu fordern.
Für diesen Samstag haben die Gewerkschaften, Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen zu Massendemonstrationen aufgerufen.
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