Auslandseinsatz: "Alle fürchten die Taliban"

Bevor der Bundestag über die Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents abstimmt, reiste die grüne Bremer Abgeordnete Marieluise Beck nach Afghanistan.

Grünen-MdB Marieluise Beck vergangene Woche in der afghanischen Stadt Herat. Bild: privat

taz: Die holländische Sozialdemokratie will den Afghanistan-Einsatz im Sommer beenden. Bei dem Stichwort holländische Soldaten denke ich immer an Sebrenica in Bosnien.

Marieluise Beck: Oft hieß es, die Holländer würden recht taff vorgehen in Afghanistan, weil Sebrenica ihnen in den Knochen steckt. 1995 waren 600 holländische Blauhelme verantwortlich für den Schutz von 45.000 Menschen und ließen zu, dass rund 8.000 Männer und Jungen von Tschetniks ermordet wurden.

Gerade die Holländer sagen nun: Wir wollen in Afghanistan nicht mehr Schutzmacht sein.

Die Bush-Regierung hat in verantwortungsloser Weise den Irak-Krieg begonnen, statt Afghanistan aufzubauen. Vor wenigen Jahren waren 30.000 Soldaten in diesem riesigen Land, jetzt sind es 130.000. Die Mittel für den zivilen Bereich haben sich unter Obama mindestens verdoppelt. Vor Ort ist zu spüren, dass die Obama-Administration verstanden hat, dass der zivile Aufbau Priorität haben muss. Dass nun in Holland diese Entscheidung fällt, ist fatal.

Gibt es afghanische Politiker, die sagen, die Truppen sollten schnell abziehen?

Nein. Ich habe mit vielen Vertreterinnen von Frauenprojekten gesprochen, alle fürchten eine Rückkehr der Taliban und einen neuen Bürgerkrieg.

Können sich Frauen in Afghanistan frei bewegen?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ein extremes Stadt-Land-Gefälle. In Kabul gibt es Akademikerinnen, auf dem Land müssen Frauen sich sehr vorsichtig bewegen. Ganz wichtig ist das Werben in den Familien dafür, dass Mädchen zur Schule gehen dürfen, und die Aufklärung gegen den Verkauf von Mädchen an ältere Männer in arrangierte Ehen.

Warum geschieht dies?

Oft spielt die extreme Armut eine Rolle. Jede achte Frau stirbt im Kindbett wegen mangelhafter medizinischer Versorgung. In Afghanistan sterben heute 150 von 1.000 Kindern, bevor sie Fünf werden. Vor einigen Jahren lag die Rate bei 261. Ich habe eine US-Iranerin getroffen, die den Frauen erklärt, dass sie nicht erst acht Tage nach der Geburt anfangen sollen zu stillen.

Ist das dort Tradition?

Ja. Die Frauen wissen nicht, dass das Stillen in den ersten Tagen für den Säugling und die Mutter sehr wichtig ist.

Wird der Chador getragen?

In Herat tragen viele Frauen noch den schwarzen Chador Namaz, der nur die Augen unbedeckt lässt. Sie sagen, das gebe ihnen einen Schutz. Ich habe dort erlebt, wie hunderte Männer warteten, bis die Frauen aus dem für sie reservierten Warteraum in ein Flugzeug einstiegen. Es gibt Respekt, sofern sich Frauen den traditionellen Regeln anpassen. Die Rückkehr der Taliban würde sie aber zurückdrängen in dunkelste Zeiten ohne Schulzugang oder Gesundheitsversorgung. Keine Frau dürfte ohne einen Mann das Haus verlassen. Sie würden wieder zu Objekten der Männer werden.

Ein Gesetz regelt die Verfügbarkeit der Frauen in der Ehe?

Die Verfassung sieht die Gleichheit vor. Unter der Überschrift Minderheitenschutz gibt es jedoch jetzt ein Gesetz für Schiiten, dass die Frau ihren Mann glücklich und zufrieden halten soll. Was das heißt, muss nicht näher ausgeführt werden. Viele Frauen sorgen sich, dass die Konservativen an Einfluss gewinnen. Wer diese Frauen alleine lässt, der verrät sie.

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