Ausländerwahlrecht erwünscht: „Triebfeder für meine Einbürgerung“
In Zukunft sollen auch Ausländer aus Nicht-EU-Ländern bei Kommunalwahlen wählen dürfen, haben SPD, Grüne und FDP im niedersächsischen Landtag beschlossen. Dafür müsste jedoch das Grundgesetz geändert werden.
taz: Herr Pantazis, warum sollen Ausländer bei Kommunalwahlen wählen dürfen?
Christos Pantazis: Weil es gut ist für unsere Demokratie und eine Form der Willkommens- und Anerkennungskultur. Außerdem ist dieses Wahlrecht schon in 16 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelebte Praxis.Das Bundesverfassungsgericht hat 1990 entschieden, dass das Wahlrecht Privileg von Staatsangehörigen ist. Was ist falsch daran?
Ich bin Arzt, kein Jurist. Allerdings wählen wir bei Kommunalwahlen keine Parlamente, sondern Organe der örtlichen Selbstverwaltung. Es geht darum, dass Menschen ihr unmittelbares Lebensumfeld mitbestimmen möchten – das schließt auch Drittstaatsangehörige ausdrücklich mit ein. Außerdem ist das Kommunalwahlrecht seit dem Vertrag von Maastricht nicht mehr auf deutsche Staatsangehörige beschränkt. Seither dürfen auch EU-BürgerInnen auf kommunaler Ebene in ihrem Wohnsitz wählen.
Ihr Vorschlag bezieht sich nur auf das Kommunalwahlrecht. Warum sollen Migranten, deren Kinder hier in die Schule gehen, nicht auch über Bildungspolitik mitentscheiden dürfen?
Das Bundesverfassungsgericht entschied 1990, dass der Versuch der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, das Kommunalwahlrecht auf Nicht-EU-Ausländer auszuweiten, verfassungswidrig ist: Das Wahlrecht sei an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft.
In Bremen kassierte der Staatsgerichtshof 2014 einen ähnlichen Vorstoß des Senats. Die Begründung: Weil laut Grundgesetz alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe, dürften nur deutsche Staatsbürger wählen.
Ausnahme Europa: Der Vertrag von Maastricht regelt, dass EU-Bürger an ihrem Wohnort an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen –unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
39, ist SPD-Landtagsabgeordneter in Niedersachsen und Sprecher für Migration und Teilhabe seiner Fraktion.
Meine persönliche Sicht ist, dass alle Menschen, die in unserem Land dauerhaft leben, an Wahlen teilhaben können müssen. Teilhabe bedeutet, dass die Menschen, die hier leben auch darüber befinden, wie ihre Steuern ausgegeben werden. Politisch gesehen, ist eine Änderung des Kommunalwahlrechts zudem am einfachsten umzusetzen, weil nur Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes verändert werden müsste.
Allein entscheiden können Sie das allerdings nicht. Haben Sie Unterstützung aus anderen Ländern?
Schon im Juni hat sich die niedersächsische Landesregierung einer Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz angeschlossen. Auch Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen signalisieren Zustimmung. In Niedersachsen ist der Versuch bisher dreimal an der schwarz-gelben Mehrheit gescheitert. Auch diesmal stimmte die CDU dagegen.
Die CDU-Fraktion kritisiert, dass durch ein kommunales Wahlrecht für Ausländer jeglicher Anreiz verloren ginge, sich einbürgern zu lassen.
Dagegen bin ich das beste Beispiel. Ich war bis 2002 griechischer Staatsangehöriger und meine erste Wahl, die niedersächsische Kommunalwahl 1996, war eine Art Triebfeder für meine Einbürgerung. Das Gefühl im unmittelbaren Lebensumfeld plötzlich gleichberechtigt zu sein und mitentscheiden zu dürfen, hat mich politisiert.
Warum ist es ausländischen Mitbürger nicht zumutbar, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, wenn sie wählen wollen?
Hier geht es um die grundsätzliche Frage, wie man Migrationspolitik begreift. Ich bin der Ansicht, dass politische Teilhabe auch gesellschaftliches Engagement fördert, weil Menschen sich mit ihrer Umgebung auseinandersetzen, Verantwortung übernehmen und Kontakte knüpfen. Der Anreiz, sich gänzlich zu dieser Gemeinschaft zu bekennen ist doch dann viel größer. Die Krönung dieses Prozesses kann dann die Einbürgerung sein.
Inwiefern können sich Ausländer schon heute beteiligen?
Sie können sich in Parteien, Verbänden und Vereinen engagieren. Das Wahlrecht für EU-Bürger ist auf die kommunale Ebene begrenzt, auf Landes- und Bundesebene dürfen sie nicht wählen. Dabei gibt es viele Menschen, die politische Prozesse auch hier mitbestimmen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP