„Ausländerregel“ im Basketball: Zu lange Letten
Vor 75 Jahren führte der deutsche Basketball eine „Ausländerregel“ ein. Grund war die Meisterschaft des BC Degerloch 1950.

Einerseits ist Basketball keine deutsche Sportart. Sie ist in den USA erfunden worden, und vorwiegend Amerikaner haben sie auch in der ganzen Welt populär gemacht. Andererseits hatte der Deutsche Basketballbund Ende September 1950 dies entschieden: „Nur noch zwei Ausländer dürfen künftig innerhalb jeder deutschen Basketball-Vereinsmannschaft Meisterschaftsspiele bestreiten.“
Der Beschluss hat eine Vorgeschichte, die sich erst wenige Monate zuvor ereignet hatte. Am 21. Mai 1950 war der Ballspielclub Degerloch deutscher Basketballmeister geworden. Es waren, wie die Zeitung Der Neue Sport. Frankfurter Wochenzeitschrift für Sport und Jugend mit unüberlesbarem Ressentiment schrieb, „Pseudo-Degerlocher“ auf dem Platz, nämlich „sieben DP’s aus Lettland“. Die Abkürzung DP steht für Displaced Persons, Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland kamen, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft hatten und als staatenlos galten. Bemerkenswert ist, dass Der Neue Sport von dem Kommunisten Otto Grossmann gegründet worden war.
Im 15-köpfigen Kader des BC Degerloch fanden sich sieben lettische Spieler. Im entscheidenden Spiel gegen den TB Heidelberg liefen sogar ausschließlich Ausländer auf, und die spielten sehr modern. „Die Letten brachten durch ihren ‚Fünferblock‘ ihre Gegner einfach nur zur Verzweiflung“, schrieb die Zeitung Alb-Bote. Auf der Website der PKF Titans, wie der BC Degerloch jetzt heißt, steht, es seien auch amerikanische GIs im Team gewesen, aber dafür findet sich kein Hinweis. Immerhin, beim Gegner aus Heidelberg spielten drei US-Amerikaner, dazu noch ein Slowake, ein Ungar und ein Kroate.
„Alb-Bote“, 27. Mai 1950
Am stärksten aber triggerten die „Zwei-Meter-DPs“ (Der Neue Sport) aus Degerloch. Ein Journalist jammerte, nur der Schiedsrichter sei Deutscher gewesen, und dann war noch zu lesen, die Trikots der Degerlocher liefen „deutlich auf ‚Harlem Globetrotters‘ hinaus“, eine von Afroamerikanern gebildete Showtruppe, gegen die der BC Degerloch später auf dem Stuttgarter Schlossplatz ein Spiel absolvieren sollte und die als „Wochenschau-Neger“ angekündigt wurden.
Presseberichte betonen, dass die lettischen Spieler alle sehr lang waren, zwischen 1,89 und 2,04 Metern, die meisten waren um das Jahr 1930 geboren, sie wohnten alle in der Gottfried-Keller-Straße 28 in Stuttgart-Zuffenhausen, und sie arbeiteten angeblich bei einer „Wachabteilung Zuffenhausen“. Auf der PKF-Titans-Website ist von „Wachsoldaten“ die Rede. Thomas Pfleiderer, Abteilungsleiter des BC-Nachfolgevereins, vermutet, dass sie wohl bei der US-Army beschäftigt waren. Nach der Meisterschaft zerfiel die Mannschaft. Wohin die Letten gegangen sind, ist kaum zu rekonstruieren. Einer, der 1930 geborene Heinrich Baikštis, wanderte vermutlich nach Amerika aus, wo er 2004 in Virginia starb. Das ergibt eine Internetrecherche. Auf seinem Spielerpass war er als Student eingetragen.
„Wie in einem fremden Land“
„Es gab verschiedene Gruppen von Displaced Persons“, sagt der Historiker Tillmann Tegeler. Weil aus dem Baltikum nicht so viele kamen, wurden DPs aus Lettland, Estland und Litauen organisatorisch als baltische DPs zusammengefasst. Zu den Motiven lässt sich nichts sagen: Es waren teils NS-Verfolgte, teils Menschen, die mit dem NS-System kollaboriert hatten, teils auch Menschen, die vor der Einverleibung ihrer Heimatländer durch die Sowjetunion geflohen waren. Was also konkret die jungen sportlichen Männer zu DPs machte und warum sie nach Deutschland kamen, ist unklar.
Sportlich verschafften die Letten dem BC, der mittlerweile als PKF Titans in der Regionalliga Baden-Württemberg spielt, den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Und nebenbei sorgten sie ungewollt für die „Ausländerregel“ im deutschen Basketball. „Wieso kommt es, dass einfach ganze ‚Ausländermannschaften‘ einen deutschen Klub in einer Deutschen Meisterschaft vertreten?“, erregte sich der Alb-Bote. Ein anderer Journalist empörte sich, als er in die Frankfurter Halle kam, in der das Finale gespielt wurde, er sei wohl „in ein fremdes Land“ gereist.
Der Deutsche Basketballbund versuchte zu beruhigen und erklärte, „dass man erst einmal unseren Spielern im brüderlichen Kampf mit Ausländern Gelegenheit geben sollte, reife Basketballkunst zu lernen“, wie es der Alb-Bote zusammenfasste. Lange hielt diese offizielle Haltung aber nicht. Ende September 1950, also vor 75 Jahren, wurde die „Ausländerregel“ beschlossen.
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