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Ausgleich zum Arbeits-AlltagSPD träumt von Auszeit

SPD Generalsekretär Lars Klingbeil schlägt ein bezahltes Sabbatical-Jahr alle zwölf Jahre vor. Das klingt gut, schließt aber viele Menschen aus.

Unter gebildeten Bes­ser­verdie­nern beliebt: das Sabbatjahr Foto: dpa

BERLIN taz | Am Wochenende lädt die SPD zum „Debattencamp“ nach Berlin. Die SPD will querdenken, kontrovers diskutieren. Generalsekretär Lars Klingbeil hat damit schon einmal angefangen. Am Dienstag hat er vorgeschlagen, wie eine sozialdemokratische Antwort auf die Veränderung der Arbeitswelt aussehen könnte.

Klingbeil regt an, dass alle Erwerbstätigen die Möglichkeit haben sollen, auch mal eine Pause einzulegen. Das, was als „Sabbatical“ bereits bekannt ist, heißt in Klingbeils SPD-Sprech nun ganz down-to-earth: „Grundeinkommensjahr“.

Alle Arbeitnehmer*innen sollen im Tausch gegen ein Jahr Arbeit Anspruch auf einen Monat Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro plus Krankenversicherung bekommen. Nach sechs Jahren Arbeit könnte man dann sechs Monate Grundeinkommen beziehen, nach 12 Jahren schon ein ganzes Jahr aussetzen. Bedingungslos und ohne staatliche Vorgaben, wie diese freie Zeit zu nutzen ist.

Zwei kleine Bedingungen gibt es dann aber doch: Die wöchentliche Mindestarbeitszeit muss 20 Stunden betragen, um vollständig auf das Grundeinkommenskonto angerechnet zu werden. Und man darf erst nach sechs Jahren zum ersten Mal aussetzen. Klingbeil erwartet, dass jährlich immerhin etwa 2 Prozent der 35 Millionen Anspruchsberechtigten das Grundeinkommen nutzen werden. Anhaltspunkte dafür liefern Erfahrungen, die man in Belgien mit einem ganz ähnlichen „Zeitkredit“-Modell gemacht hat.

Klientelpolitik für Lehrer*innen

Klingt erst mal ziemlich super. Überhaupt ist es erfreulich, dass die SPD das gute alte sozialdemokratische Thema Arbeit wieder ins Gespräch bringt. Entscheidend aber ist die Frage, wessen Bedürfnisse Klingbeil mit seinem Vorstoß bedient.

Für wen wäre es interessant, alle zwölf Jahre einfach mal auszusteigen? Arbeit hat für Menschen sehr unterschiedliche Bedeutungen. Für die einen ist sie einfach notwendig, um die Miete zahlen zu können. Für die anderen ist sie Mittel der Selbstverwirklichung. Wie Menschen Arbeit und Erholung sehen, hat unter anderem etwas mit ihrer Klassenposition zu tun.

Wer bekommt vom eigenen Umfeld am ehesten Bestärkung darin, dass es okay ist, sich eine Auszeit zu nehmen und nichts zu tun?

Wer bekommt vom eigenen Umfeld am ehesten Bestärkung darin, dass es okay ist, sich eine Auszeit zu nehmen und „nichts zu tun“ – oder sogar die Auszeit zur Fortbildung zu nutzen, um die Produktivität und Kreativität beim Wiedereinstieg in die Berufswelt zu steigern? Und wer braucht die Auszeit eher, um sich um Familienmitglieder zu kümmern oder sich von schwerer körperlicher Arbeit zu erholen?

Für viele migrantische Communitys zum Beispiel steht die Arbeit in ein, zwei oder drei schlecht bezahlten Jobs, auch nach vielen Jahren in Deutschland, für eine erfolgreiche „Integration“. Keine Probleme zu machen und sich nicht zu beschweren wird zum Zeichen des Anstands. Letzteres gilt nicht nur für Migrant*innen. Der Klingbeil-Vorschlag orientiert sich an dem unter gebildeten Bes­ser­verdie­ner*innen beliebten „Sabbatjahr“, wie es auf Internetseiten wie Sabbatjahr.org oder von Weltreise-Blogs beworben wird. Stichworte: Selbstfindung, Spiritualität, Horizonte erweitern. Die meisten können sich damit nicht identifizieren. So bekommt der Vorstoß des Generalsekretärs den Beigeschmack von Klientelpolitik für Lehrer*innen.

Klingbeil nennt es die Aufgabe der SPD, „das Gute der Arbeit zu stärken und Freiheit und Selbstbestimmung der Beschäftigten zu fördern“. Dazu gehört aber, das dringende Thema Arbeitszeitverkürzung aus allen gesellschaftlichen Perspektiven heraus zu betrachten.

Und mitzudenken, aus welchen Gründen sich Menschen Auszeiten wünschen. Was gutes Arbeiten, aber eben auch „gutes Ausspannen“ ist, hängt davon ab, welche Lebenskonzepte man kennenlernen durfte. Selbstverwirklichung muss man lernen und sich leisten können.

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6 Kommentare

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  • Hallo, Ihr SPD-V...pfosten, Ihr verdient euch eure "9%" bundesweit wirklich redlich, Kompliment!

  • Klingt ja erstmal ganz sympathisch und so. Ist aber leider nur denkbar für Doppelverdiener-Haushalte bzw. solche, die die Möglichkeit haben, während des regulären Alltags Geldreserven anzulegen. Denn mit 1000€/Monat lässt sich für die allermeisten realistisch kein Leben finanzieren, geschweige denn eines, in dem man sich von den Zumutungen des Erwerbslebens erholen kann oder irgendwelche Dinge erledigen kann, zu denen man sonst neben dem Erwerbsleben nicht kommt.

    Ich hielte es für deutlich sinnvoller, die Debatte um eine flächendeckende Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei weitgehendem bis möglichst vollem Lohn- und Personalausgleich zu führen. Dies würde deutlich mehr Menschen entlasten und den Arbeitenden tatsächlich etwas physisch-psychischen Druck nehmen.

    Kritisch sehe ich auch, dass beim "Grundeinkommensjahr" die Allgemeinheit den Arbeitgebern die Erholung ihrer Beschäftigten finanzieren würde, mit denen die Unternehmen ja schließlich ihre Gewinne erwirtschaften. Denn die Beschäftigung, also das Gewinne-für-die-Arbeitgeber-erwirtschaften ist ja gerade erst das, was den Erholungseffekt, den das Grundeinkommensjahr haben soll, überhaupt erst nötig macht.

    @Knorkem:



    Bei Ihrer Kritik daran, dass in diesem Artikel der Klassenbegriff überhaupt verwendet wird, übersehen Sie im Rahmen eines sehr weitverbreiteten Reflexes etwas:



    Der Milieu-Begriff der modernen Soziologie ist primär auf Lebensstile und -orientierungen bezogen, der Begriff der Klasse, z.T. auch noch unterteilt in Schichten, beschreibt schon immer primär die ökonomische Position (im makroökonomischen Sinne: die Stellung im Produktionsprozess, im Kleinen die sozioökonomische Position von Individuen). Beide Begriffe haben in verschiedenen Kontexten absolut ihre Berechtigung.

  • Einer Luxusidee Weniger hinterherzulaufen für alle.



    Hilflos, peinlich, uninspiriert!



    Wen will man ansprechen...den überdurchschnittlich verdienenden Durchschnitts-Grünen-Wähler?

  • Mit Verlaub, ich fühle mich beleidigt und ausgeschlossen!



    Ich kann mich nicht mit Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung identifizieren, weil ich wenige Stunden für kleinen Lohn arbeite und darüber hinaus vorwiegend für meine Familie da bin?



    Crazy shit.



    Die urbane Intellektuelle entlarvt sich als elitäre Clique und widerlegt, quasi en pasant, die Klassentheorie.



    Es ist eine Frage der Bildung und des Umfeldes. Diese Fragen korrelieren zwar mit der nach wirtschaftlicher Absicherung, sind aber bei weitem nicht dasselbe.



    Die moderne Soziologie verwendet den Begriff Milieu anstelle von Klasse um die Realität zu beschreiben.



    Ganz ehrlich, ich bin seit über zehn Jahren taz-Leser und habe mich für diese (e-)Zeitung entschieden, um linke Texte ohne kommunistisches Jargon zu lesen.



    Übrigens geht es doch bei so einem Sabbat -Jahr darum, sich mal gegen sein Umfeld zu emanzipieren und was anderes zu machen.



    Durch den Pauschalbetrag ist das Angebot natürlich umso attraktiver, desto kleiner das Regeleinkommen ist.



    Bei Haus- und Autokrediten und hohen Nebenkosten für den Otto-Normal-Spießer kaum vorstellbar. Auch Inhaber kleiner Betriebe werden sich das kaum leisten können oder zB wegen der Rentenversicherung oder hohen Vertretungskosten nicht wollen. Teilzeitbeschäftigte, Geringverdiener und Lebenskünstler, deren Einkommen zu 80-100% aufgefangen werden, sind die prädestinierten Gewinner. Darunter sind dann sicherlich eine ganze Menge urbane Intellektuelle - und für manchen wäre es bestimmt auch Anreiz, mal längerfristig zu arbeiten.

  • Ist das ein Erholungsplan für den öffentlichen Dienst? Aber auch dann ist es eine unausgegorene Idee, die in etwa den gegenwärtigen intelektuellen Zustand der SPD widerspiegelt.

    • @agerwiese:

      Nicht frech werden! :-) Der öD ist schlechter dran, als Sie denken.