Ausgezeichnete Verkehrsentwicklung: „Starke Signale setzen“
Bremen hat den EU-Preis für nachhaltige Verkehrsentwicklung gewonnen – weil man vom Menschen her gedacht hat, sagt Verkehrssenator Lohse.
taz: Herr Lohse, herzlichen Glückwunsch zum Sump-Award. Gab’s guten Champagner in Brüssel?
Joachim Lohse: Danke, nein, leider gab es nur so einen komischen Rosé …
56, ist seit 2011 Senator für Umwelt, Bau und Verkehr und Mitglied von B90/Die Grünen. Zuvor war der promovierte Meeres-Geochemiker Mitgründer des Hamburger Ökopol-Instituts, Geschäftsführer des Freiburger Öko-Instituts und Verkehrsdezernent in Kassel.
Mon Dieu, die EU ist am Ende. Wie groß ist denn die Aussagekraft des Preises angesichts von nur 17 Konkurrentinnen?
Unterschätzen Sie das nicht! Die Bewerberstädte stammen aus zehn Mitgliedsländern, verteilt über die ganze EU, und für diesen Preis bewerben sich ja vor allem diejenigen, die sich als Vorreiterkommunen verstehen wollen und auch dürfen. Da ist schon ein entsprechender Ehrgeiz dahinter.
Der "Sustainable Urban Mobility Plan"-Award wird seit 2011 verliehen. Außer Bremen hatten sich 17 Städte beworben:
Aprilia, Reggio Emilia, Prato und Castellaneta, Italien
Vitoria-Gasteiz, Miajadas und Burgos, Spanien
Birmingham, UK
Olhão und Maia, Portugal
Maribor, Slowenien
Thessaloniki, Griechenland
Gent, Belgien
Limassol, Zypern
Fagaras, Rumänien
Ausgezeichnet wird eigentlich nur der Verkehrsentwicklungsplan …?
Der Akzent liegt auf der systematischen Herangehensweise – und den Entwicklungsvorgaben in Richtung einer nachhaltigen Mobilität …
Und der Status quo spielt gar keine Rolle?
Doch, man musste schon einen guten Stand erreicht haben, um sich zu bewerben. Das ist klar. Aber bewertet wird hauptsächlich die Weiterentwicklung. Dabei wurde als besonders preiswürdig in Bremen unsere breite Einbeziehung der Schlüsselakteure anerkannt, die strukturierten Entwicklungsschritte – also, dass wir bewusst auf Stärken-Schwächen-Analysen setzen bei der Konzeption der verschiedenen Szenarien, eine Evaluation nach vier Jahren fest vereinbart haben, all das – und nicht zuletzt, dass wir gleich eingangs einen Zielekatalog erarbeitet haben.
Auch weil der mit den Nachhaltigkeits-Zielen der EU übereinstimmt?
Der deckt sich weitgehend, das ist richtig, aber: Wir haben den Katalog hier in Eigenleistung mit den AkteurInnen erarbeitet, mit den BürgerInnen und Interessensgruppen. Das ist sehr wichtig, dass der nicht von oben übergestülpt worden ist – sondern aus der Stadtgesellschaft selbst stammt.
Manche Preis-Kriterien wirken, als würden sie die Kritik der Handelskammer nur positiv formulieren, etwa wenn die Verlagerung des Fokus vom Fließen der Verkehre auf ihre Zugänglichkeit als Pluspunkt bewertet wird. Fällt Ihnen der Preis in der innerbremischen Auseinandersetzung gleich wieder auf die Füße?
Im Gegenteil: Wir haben die Verkehrsplanung vom Kopf auf die Füße gestellt – und das unterstreicht der Preis noch einmal. Verkehre und Infrastruktur sind ja nicht fürs Auto da. Man muss sie vom Menschen her denken. Das ist vielleicht eine Zeit lang vergessen worden, gelegentlich sicher auch von der Handelskammer, und deshalb ist es gut, dass uns die EU mit dem Preis wieder an die richtige Reihenfolge erinnert.
Allerdings wird auch er nicht verhindern, dass es bei konkreten Maßnahmen Proteste gibt, sobald der erste Bagger rollt.
Das Spannungsfeld zwischen Maßnahmen aus einer Gesamtverantwortung heraus und individuellen Interessen kann so ein Preis nicht beseitigen. Das wäre ja auch gar nicht wünschenswert. Aber: Er ist eine Ermutigung und Anerkennung nicht nur fürs Ressort, sondern für alle, die an der Verkehrsentwicklungsplanung mitgewirkt haben: Die Verbände, die Kammern und genauso die 100.000 BürgerInnen, die sich im Internet beteiligt haben.
Birgt der Preis nicht die Gefahr, beim Erreichten stehenzubleiben?
Die Gefahr sehe ich nicht. Das ist immerhin schon die vierte Auszeichnung für unseren VEP-Prozess. Wir sehen den Preis als Ansporn, das, was methodisch angelegt ist, auch tatsächlich umzusetzen: Wir wollen die geplanten acht Premium-Radrouten auch tatsächlich realisieren, wir wollen die Pläne für weitere Haltepunkte des Schienen-Personennahverkehrs vorantreiben, die Nahmobilität erleichtern, Bremen eben als Stadt der kurzen Wege weiterdenken. Selbstredend ist das auch eine Frage der Verteilungskämpfe zwischen den Politikfeldern. Aber ich stehe dafür, dass wir hier in der Verkehrsentwicklung auch in der kommenden Legislatur starke Signale setzen.
Aber kaum mit den 10.000 Euro Preisgeld …?
Die sind zweckgebunden – um die Verkehrsplanung weiter zu popularisieren. Wir nutzen das Geld, um eine Fachtagung zu organisieren, auch zum Austausch der Ideen: Denn auf dem Gebiet gibt es in Europa viele gute Ideen. Davon können wir auch in Bremen noch etwas lernen.
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