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Was zur Hölle ist hier los?

Das portugiesische Bilderbuch „Hier kommt keiner durch“ erhält den diesjährigen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Bilderbuch. In „Plötzlich war Lysander“ inszeniert Antje Damm sehr lebendig eine komplexe Geschichte im Schuhkarton

Illustration aus: „Hier kommt keiner durch!“ Foto: Klett

Von Eva-Christina Meier

Halt! Es tut mir leid, aber es ist nicht gestattet, die rechte Buchseite zu betreten.“ Den Autoren Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho ist mit „Hier kommt keiner durch“ ein Geniestreich gelungen. Das Bilderbuch beginnt mit einer weißen Doppelseite, auf der ein uniformierter Aufpasser in der Mitte verloren Wache schiebt. Er kontrolliert den Buchfalz-Anweisung des Generals. Doch immer mehr der von Carvalho mit Filzstift humorvoll gezeichneten Gestalten bevölkern die linke Seite. Am Aufpasser kommt niemand vorbei. Ein Basketballteam, ein Gespenst, die schöne Isabel, zwei Monteure, Fahrradtouristen, ein Hund. Bald wird es richtig eng. Doch der Wachmann weigert sich stoisch die bunte Menge auf die rechte Seite passieren zu lassen. Murren macht sich in Sprechblasen breit. Auch gutes Zureden hilft nicht weiter. Bis plötzlich zwei Jungen, „Lionel“ und „Cristiano“ der Fußball auf die andere, noch leere, weiße Buchseite rollt.

Rasant entwickelt sich die Geschichte zu einer virtuosen Auseinandersetzung über den Sinn von Grenzen, Autorität und zivilem Ungehorsam. Schauplatz und Austragungsort ist das Buch selbst. Irgendwann kommt der General hoch zu Ross auf die Seite geprescht: „Was zur Hölle ist hier los?“

Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho, Texterin und Illustrator dieser frechen Bildgeschichte, die auch als charmantes Wimmelbuch funktioniert, sind Mitbegründer des portugiesischen Bilderbuchverlags Planeta Tangerina. Gemeinsam mit der Übersetzerin, Franziska Hauffe, die für die deutsche Ausgabe sprachlich genau den richtigen Ton getroffen hat, wurde ihnen nun hoch verdient in der Kategorie Bilderbuch der Jugendliteraturpreis verliehen.

Isabel Minhós Martins/Bernardo P. Carvalho: „Hier kommt keiner durch!“. Übersetzung von F. Hauffe. Klett Kinderbuch, Leipzig 2016, 40 S., 13,95 Euro. Ab 4 Jahre

Antje Damm: „Plötzlich war Lysander da“. Moritz Verlag, Frankfurt/Main 2017, 36 S., 12,95 Euro. Ab 4 Jahre

Für ihr neuestes Bilderbuch „Plötzlich war Lysander da“ entwarf die Architektin und Kinderbuchautorin Antje Damm wieder einmal eine dreidimensionale Kartonkulisse. In dem detailreichen, räumlichen Szenario inszeniert sie sehr lebendig die Geschichte einer Zwangseinquartierung. Dora, Luis und Kathinka, die drei Mäuse, haben es sich in ihrer Erdhöhle auf mehreren Etagen gemütlich eingerichtet. Plötzlich trifft ein Brief vom Bürgermeister ein. Sie sollen jemand aufnehmen, der habe kein Zuhause mehr. Die Nachricht begeistert die Mäuse keineswegs. Werden die Kartoffeln reichen? Wo soll er schlafen? Doch schon steht der rote Lurch mit Rucksack in ihrer Wohnung und stellt sich freundlich vor: „Ich heiße Lysander und komme von weither aus dem Moor.“

Also machen sie notgedrungen Platz für den erschöpften Neuankömmling, beäugen aber fortan misstrauisch, was er tut. Trotzdem sind sie einverstanden, als der Lurch um einen Platz in der von ihnen kaum benutzten Badewanne bittet. Auf unprätentiöse Weise erzählt die Autorin von der schwierigen Begegnung der Mäuse mit dem fremden Lurch. Mit ihrer eigenen Technik – nicht perfektionistisch, aber ausdrucksstark – entwickelt die Architektin Damm die Geschichte wie eine Bühne im Schuhkartonformat. Visuell sehr gelungen in Szene gesetzt, überrascht die kleine Bilderzählung von einem großen Thema mit einer Wendung, die alle Feindseligkeiten und Vorurteile gegenüber Lysander beendet.