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Auschwitz-Prozess in NeubrandenburgVorwand Verhandlungsunfähigkeit?

Die DDR-Justiz hätte den 95jährigen Hubert Zafke schon vor Jahrzehnten anklagen können. Erst jetzt, im Februar 2016, kommt er vor Gericht.

Hubert Zafke war SS-Sanitäter in Auschwitz, hier auf einem undatierten Foto. Foto: Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau via AP

Berlin taz | Mehr als 70 Jahre nach der Tat muss sich der mutmaßliche Auschwitz-Wachmann Hubert Zafke ab Montag vor dem Landgericht Neubrandenburg wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Doch ob es zu einem Urteil kommen wird, ist ungewiss. Das Gericht ist offensichtlich darum bemüht, den Prozess wegen Verhandlungsunfägigkeit des Angeklagten einzustellen.

Die Staatsanwaltschaft hat den 95-Jährigen Zafke der Beihilfe zum Mord in zumindest 3.681 Fällen angeklagt. Er soll als Angehöriger der SS-Sanitätsstaffel in Auschwitz eingesetzt worden sein. Diese Einheit kümmerte sich um das leibliche Wohl der SS-Schergen, soll aber auch Häftlinge gequält und ermordet haben.

Im Vorfeld des Verfahren warfen die Staatsanwaltschaft Schwerin und der Anwalt eines Nebenklägers, Cornelius Nestler, dem Gericht Befangenheit vor. Richter Kabisch bemühe sich einseitig darum, den Angeklagten für verhandlungsunfähig zu erklären, lautete der Vorwurf des Nebenklägers. Zudem habe das Gericht in Neubrandenburg die Nebenklage eines Auschwitz-Überlebenden aus spitzfindigen Gründen abgelehnt.

Die zuständige Kammer des Landgerichts wies den Vorwurf der Befangenheit Mitte Februar zurück. Eine Beschwerde dagegen ist nicht möglich. Im Fall der Nebenklage ordente das Oberlandesgericht Rostock am vergangenen Dienstag auf Beschwerde hin an, dass diese zugelassen werden muss.

Auf die Ladung von Zeugen verzichtet

Peter-Michael Diestel, der Verteidiger des Angeklagten Hubert Zafke und letzter DDR-Innenminister, hat einiges unternommen, um einen Prozess zu verhindern. Ein von ihm bestelltes Gutachten erklärte Zafke aus gesundheitlichen Gründen für verhandlungsunfähig.

Das Gericht folgte dieser Einschätzung und stellte das Verfahren ein. Erst nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft und einem weiteren Gutachten im Herbst 2015, das den 95-Jährigen als eingeschränkt verhandlungsfähig bezeichnete, ordnete das Oberlandesgericht Rostock die Eröffnung des Hauptverfahrens in Neubrandenburg an.

Es scheint, als wolle man dort den Prozess möglichst rasch einstellen. Der Vorsitzende Richter hat auf die Ladung von Zeugen verzichtet und ganze drei Verhandlungstage bis Ende März festgelegt. Es stehe nicht fest, „ob der Angeklagte aktuell reise- und verhandlungsfähig ist“, so eine Mitteilung des Gerichts.

Taten waren der Stasi in den 1960er Jahren bekannt

So soll am ersten Verhandlungstag nach den Plänen des Gerichts auch nicht wie üblich die Anklage verlesen werden. Zunächst steht die erneute Begutachtung der Gesundheit Zafkes auf dem Programm, sagte ein Sprecher des Landgerichts Neubrandenburg der taz. Es wäre die mittlerweile dritte. Dazu sind zwei Sachverständige geladen.

Über Jahrzehnte gingen nicht nur westdeutsche Staatsanwälte und Richter, sondern auch ihre Kollegen in der DDR höchst nachlässig mit der Strafverfolgung ehemaliger Wachmänner des Verichtungslagers Auschwitz um – entgegen der vorgeblich antifaschistischen Haltung der DDR. Das zeigt sich auch am Fall Hubert Zafkes.

Der heute 95-Jährige hätte schon vor Jahrzehnten zur Rechenschaft gezogen werden können. Seine Tätigkeit in Auschwitz war der DDR-Staatssicherheit in den 1960er Jahren bekannt, wie aus Materialien des Stasiunterlagen-Archivs hervorgeht, die der taz vorliegen.

In einem maschinenschriftlichen Hinweis aus einer 1963 angelegten Akte wird Hubert Zafke zunächst als „SS-Rottenführer des KZ Auschwitz“ genannt. Das war sein Dienstrang im Jahr 1942. Weiter heißt es dort: „In einer Aufstellung im Jahre 44 wird der SS-Unterscharführer Zafke mit dem Vermerkt ‚Abgang 14.9. SS-Laz. Au.‘ geführt.“ Dieses in der Anklageschrift genannte Datum, an dem er Auschwitz verließ, stimmt mit den Stasi-Unterlagen überein: Es ist der 14. September 1944.

Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen

Weiterhin taucht Hubert Zafke in einem Papier über „SS-Führer und Unterführer“ im KZ Neuengamme auf. Er wird dort als „SS-Unterscharführer aus Ostpreussen, Häftlingsrevier KL Neuengamme“ bezeichnet.

Diese Akte stammt nach Angaben der Stasiunterlagen-Behörde aus der Frühzeit der DDR. Möglicherweise wurde sie bereits in der sowjetischen Besatzungszeit von der Kripo angelegt. Es geschah – nichts.

Hubert Zafke konnte in einer Schrotmühle seiner Arbeit nachgehen. Er heiratete, bekam vier Kinder und lebte unbehelligt in einem kleinen Dorf im Norden der DDR.

In den derzeit vier laufenden Verfahren wegen Beihilfe zum Mord, begangen in Auschwitz, ist Zafke der einzige ehemalige DDR-Bürger.

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4 Kommentare

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  • Könnte man den noch lebenden Zeitzeugen nicht anbieten, offen und ehrlich ihre Geschichte zu erzählen, und im Gegenzug von einer Strafverfolgung, die wohl ohnehin nicht mehr so sehr viel bringt, absehen? Schade, wenn Hubert Zafke seine Geheimnisse, gross oder klein, nun mit ins Grab nimmt.

  • ZUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUU SPÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄT !

    • @Markus Müller:

      NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN! NIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIE

    • @Markus Müller:

      Dem skandalösem Verhalten der ost- und westdeutschen, ab 1990 der deutschen Justiz - welches darin besteht, angeblichen NS-Verbrechern nicht einem gerichtlichen Verfahren und somit einem gerechten Urteil zugeführt zu haben - kann kein weiterer Skandal hinzugefügt werden.

       

      Dieser bestünde darin, nun diesen vermeintlichen NS-Verbrechern nur auf Grund ihres Alters den notwendigen Prozess nicht zu machen.

       

      Ob das inhuman ist?

       

      Gegenfrage: Wer hat damals, als die Juden abgeholt und in den KL'n getötet wurden, auf das Humane geachtet?

       

      Nach allem, was man dazu weiss, jedenfalls die NS-Schergen nicht.

       

      Aber, darf, soll man Gleiches mit Gleichem vergelten, stellten wir uns heute nicht auf die gleiche inhumane Stufe?

       

      Nach allem, was man dazu weiss, verlaufen die heutigen rechtsstaatlich geführten Prozesse ganz anders als die damaligen, und im Falle einer Verurteilung sieht auch die Strafe heute ganz anders aus als damals. Also: Früher und Heute ist nicht vergleichbar.