Ausbildung in der Pflege: Noch immer kein Tarif für alle
Ver.di und die „Tarifgemeinschaft Bremen“ wollen einen allgemeinverbindlichen Tarif für Altenpflege-Azubis. Dafür ernten sie Gegenwind.
Lange Arbeitszeiten, miese Bezahlung – der Pflegeberuf hat ein schlechtes Image. Um eine Ausbildung in der Altenpflege attraktiver zu machen, hat im März die „Tarifgemeinschaft Pflege Bremen“ in Zusammenarbeit mit Ver.di den ersten Tarifvertrag für Azubis unterzeichnet. Der soll nun nach deren Willen allgemeinverbindlich werden – doch die Sitzung des Tarifausschusses endete am Mittwoch ohne Ergebnis.
Dabei gibt es Handlungsbedarf: Bis zum Jahr 2030 werden im Land Bremen rund 3.000 zusätzliche Kräfte in der Altenpflege benötigt. 15 Bremer Träger von Pflegeheimen und -diensten haben deswegen den Tarifvertrag unterzeichnet. Weitere Träger sind zwar nicht Mitglied des Tarifverbundes, folgen ihm aber.
„Der größte Teil sieht die Notwendigkeit für die Aufwertung der Ausbildung, aber noch immer zahlt ein Teil ihren Pflegeschülern bis zu 20 Prozent weniger“, sagt Ver.di-Sekretär Uwe Schmid. Deswegen haben die Tarifgemeinschaft und Ver.di die sogenannte Allgemeinverbindlichkeit (AVE) beantragt: Wird die gewährt, gelten die für die Azubis ausgehandelten Vergütungs- und Urlaubsregelungen auch für alle bisher nicht tarifgebundenen Bremer Altenpflegeeinrichtungen.
Um die AVE vom Arbeitssenator zu erhalten, muss ihr eine Mehrheit des Tarifausschusses zustimmen – und der tagte am gestrigen Mittwoch. Paritätisch besetzt mit jeweils drei Arbeitgeber- und drei Arbeitnehmervertretern, konnte er sich aber nicht einigen: Die Entscheidung ist auf den ersten Dezember vertagt worden.
Andrea Hugo, Pflegedienst-Chefin
Wichtigste Voraussetzung für eine AVE ist das öffentliche Interesse: Das liegt laut Tarifvertragsgesetz vor, wenn durch sie die „Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung gesichert werden soll“ und wenn „die Mehrheit die Minderheit strukturiert“. Letzteres ist der Fall, da der größte Teil der Bremer Pflegeeinrichtungen dem Tarifvertrag mindestens folgt, aber sowohl dieser Punkt als auch die Frage nach der Sicherung der Funktionsfähigkeit wurde kontrovers diskutiert.
Denn die Arbeitgebervertreter argumentierten, dass eine AVE genau deswegen nicht notwendig sei, weil ohnehin nahezu alle Azubis nach Tarif bezahlt würden: Ohne eine angemessene Vergütung sei es ohnehin zu schwer, Auszubildende zu bekommen. Eine AVE ginge lediglich zu Lasten kleiner Betriebe, die sich auf dem Markt noch nicht behaupten könnten.
Während diese Argumentation von Seiten der Arbeitgeber zu erwarten war, überraschten im öffentlichen Teil der Ausschusssitzung zwei Wortmeldungen: So bezeichnete ein Vertreter des ambulanten Pflegedienstes „Zentrale Pflege Bremen“ eine AVE als „überflüssig“ – obwohl das Unternehmen selbst Mitglied der Tarifgemeinschaft ist.
Und auch Andrea Hugo, die einen Pflegedienst betreibt, sprach sich gegen die AVE aus: „Warum muss etwas geregelt werden, das in Bremen hervorragend funktioniert?“, fragte sie. Dabei ist Hugo Mitinitiatorin des Bündnisses „Pflege steht auf“, das immer wieder auf das angeschlagene Image der Pflegeberufe und Fachkräftemangel hinweist.
Von momentan rund 300 AltenpflegeschülerInnen in Bremen erhalten nur 181 den ausgehandelten Tarif. Warum also sogar aus den „eigenen Reihen“ eine AVE abgelehnt wird, kann Schmid sich nicht erklären. Er ist aber optimistisch: „Dass sie nicht abgebügelt, sondern die Beratung vertagt wurde, ist ein gutes Zeichen.“
Und ein Wichtiges für die Zukunft: Denn ein Tarifvertrag für Azubis soll nur der erste Schritt gewesen sein. Die Tarifgemeinschaft möchte auch einen für Pflegekräfte – und der sollte in einem nächsten Schritt ebenfalls allgemeinverbindlich werden.
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