Ausbau der Kinderbetreuung: Baupläne für die Buddelkiste
Der Ausbau der Kita-Plätze für kleine Kinder schleppt sich. Woran das liegt? Ein Kita-Betreiber und der Chef des Städte- und Gemeindebundes haben unterschiedliche Antworten.
BERLIN taz | Hartmut Horst faltet einen Bauplan auseinander. „Dort soll der Spielplatz hinkommen und hier der Weg.“ Er tippt auf Striche, Schraffierungen, Zahlen. Hartmut Horst ist Geschäftsführer von „Hanna“, einem Kita-Träger in Berlin: fünf Einrichtungen mit 626 Kindern. Jetzt will Hartmut Horst ein neues Haus bauen, mitten im Park, Platz für 180 weitere Kinder. Der Bauplan dafür ist zurzeit Horsts wichtigstes Dokument.
Der Mann weiß, wie dringend Kita-Plätze gebraucht werden, die Anmeldelisten sind lang bei „Hanna“. Und ab August 2013 soll es bundesweit insgesamt 750.000 Kita-Plätze geben, jedes Kind unter drei Jahren hat dann einen Rechtsanspruch auf eine aushäusige Betreuung. So hat es die Bundesregierung 2007 beschlossen. Das ist lange her.
Aber so, wie es aussieht, ist das nicht zu schaffen. Allein in Berlin, wo es schon mehr Kitas gibt als anderswo in der Republik, fehlen noch etwa 6.000 Plätze, bundesweit sollen es rund 200.000 sein, hat der Städte- und Gemeindebund ausgerechnet. Das Bundesfamilienministerium, das für den Ausbau zuständig ist, spielt das Problem herunter: Es sollen nur 130.000 Plätze fehlen.
Bürokratie „bis zum Exzess“
Hartmut Horst, 60, ist Erziehungswissenschaftler, er weiß, dass es gut ist für Kinder, wenn sie mit Gleichaltrigen spielen. Er plant, rechnet, verhandelt mit dem Berliner Senat, mit dem Bauamt, mit der Bank. Aber manchmal, stöhnt Horst, vergehe ihm die Lust daran. Gesetze, Verordnungen, Beamte, kurz: Die deutsche Bürokratie mache ihm das Leben schwer. „In der Verwaltung werden Kitas leider nicht bevorzugt“, sagt er, „trotz der überall beklagten Dringlichkeit.“
Seine neue Kita wollte er Ende 2011 eröffnen, aber er hat noch keinen Stein verbaut. Stattdessen sei er „Dauergast auf dem Bauamt“. Es geht um Zuwege, Hygienevorgaben, Bauvorschriften. „Alles sinnvoll“, sagt Horst. „Aber sinnvoll heißt in Deutschland ja häufig ’bis zum Exzess‘.“
■ Plätze: Ab August 2013 haben alle Kinder unter 3 Jahren das Recht auf einen Kita-Platz. Aber es fehlen nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes noch rund 200.000 Plätze.
■ Politik: Manuela Schwesig (SPD) fordert einen Krippen-Gripfel. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angekündigt, im Juni oder Juli mit den Ministerpräsidenten über den Kita-Ausbau zu reden.
■ Betreuungsgeld: Merkel pocht darauf, der Kita-Ausbau laufe unabhängig vom Betreuungsgeld. Der Gesetzentwurf für die 100 bis 150 Euro für die Erziehung zu Hause will Familienministerin Schröder am 6. Juni ins Kabinett einbringen. Am 14. Juni soll er in erster Lesung im Bundestag beraten und am 29. Juni beschlossen werden. (sis)
Sein Zeigefinger rutscht über den Architektenplan und stoppt an einer schraffierten Fläche. „Allein das hier: der Weg von der Straße bis zur geplanten Kita. Der muss geradlinig und frei sein“, sagt Horst. „Aber momentan steht da noch ein altes WC herum.“ Drum herum laufen? „Ist verboten“, sagt Horst. Was nun? Das Häuschen muss abgerissen und ein paar Meter weiter wieder aufgebaut werden. Horst schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn: „Wozu?“
Lösungsvorschlag: pädagogische Standards senken?
Bei Gerd Landsberg findet Hartmut Horst ein offenes Ohr. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DSTGB) findet den Vorschriftenwahn hierzulande „vollkommen überzogen“. Um den Kita-Ausbau rasch voranzutreiben, fordert Landsberg, „da, wo es geht, bauliche und pädagogische Standards zu senken“. Warum muss ein Garderobenplatz 0,4 Quadratmeter groß und belüftbar sein, fragt er.
Warum darf der Abstand von Garderobenhaken nicht geringer als 20 Zentimetern betragen? Und warum müssen Kinderbetten die DIN-Norm EN 716-1 erfüllen und Küchen unterteilt sein in Gar- und Spülbereich, Vorrats- und Tiefkühllager, Lager für Leergut und Lager für erdhaltige Lebensmittel? So steht es in der Berliner Bauordnung und im Kindertagesstättenforderungsgesetz (KitaFöG).
„Vieles ist unangebracht“, sagt der DSTGB-Chef: „Da kann man einfach mal den gesunden Menschenverstand sprechen lassen.“ Landsberg fürchtet, dass ab nächstem Jahr viele Eltern, die keinen Kita-Platz bekommen, klagen werden. Vor einigen Tagen ist das schon das erste Mal geschehen. Das Verwaltungsgericht Mainz hat einer Mutter Schadenersatz zugesprochen, weil ihr die Kommune trotz Rechtsanspruch keinen Kindergartenplatz anbieten konnte. Landsberg fordert auch, die Gruppen zu vergrößern: „Da müssen Eltern auch mal Abstriche machen.“
Der DSTGB ahnt Schlimmes für nächsten Sommer: Gerade hat er vom Meinungsforschungsinstitut Forsa ausrechnen lassen, dass etwa 60 Prozent aller Mütter und Väter eine aushäusige Betreuung für ihre Kinder benötigen. Bei den Planungen für den Kita-Ausbau ist man von 35 Prozent ausgegangen. „Eine willkürliche Zahl“, sagt Landsberg.
Es mangelt aber nicht nur an Kita-Plätzen, es fehlen auch rund 20.000 ErzieherInnen. Ginge es nach Gerd Landsberg, würde er sofort eine Ausbildungsinitiative starten: HelferInnen sollten den ErzieherInnen zur Seite stehen, und manche „Bufdis“ vom Bundesfreiwilligendienst könnten speziell in Kitas eingesetzt werden. Auch die formalen Anforderungen für Tagesmütter könnten gesenkt und der Zuverdienstgrenze von Hartz-IV-Empfängerinnen, die Kinder betreuen, könnte erhöht werden.
All das hat Landsberg vor einiger Zeit ausführlich mit Kristina Schröder besprochen. Die Familienministerin steht stark unter Druck, sie wird von vielen Seiten dafür kritisiert, dass das mit dem Kita-Ausbau nicht so richtig klappt. Jetzt reagiert die CDU-Politikerin, am 30. Mai will sie ein Zehnpunkteprogramm für einen schnelleren Kita-Ausbau vorlegen. Es dürfte sich dabei vor allem um Landsbergs Ideen handeln.
„Wir hören immer wieder insbesondere von Großstädten, dass vielerorts überhöhte Baunormen den Ausbaufortschritt behindern“, sagt eine Sprecherin des Familienministeriums. „Das reicht von Denkmalschutzvorschriften über zu niedrige Raumhöhen bis zum Fehlen von getrennten Sanitäreinrichtungen für weibliche und männliche Erzieher.“ Ein „besonderes Problem“ seien die Vorschriften für Außenflächen: „Selbst wenn eine Kita direkt neben einem Spielplatz liegt, braucht sie nach Vorschrift zusätzlich einen eigenen Spielplatz.“
„Sportliche Fristen“ und „ideologische Hürden“
Aber ist es überhaupt möglich, Standards zu senken? Jan Große, 47, zweifelt daran. Er ist Architekt und baut seit Jahren in Berlin und Brandenburg Kitas. Er kennt die Gesetze, und er weiß, dass Kinder eine bestimmte Fläche zum Spielen, Basteln und Toben brauchen: „Die festgelegten Vorgaben beruhen auf Erfahrungen, die über eine lange Zeit gewachsen sind.“
Das KitaFöG schreibt vor, dass jedes Kind in „pädagogisch genutzten Räumen“ 3 Quadratmeter Platz haben muss, das ist Mindeststandard. „Anzustreben“ sind 4,5 Quadratmeter, aber die meisten Kitas bieten ohnehin nur den Mindeststandard. „Man könnte darüber nachdenken, diesen Raum noch stärker zu verkleinern“, sagt Jan Große. „Pädagogisch ist das sicher nicht sinnvoll.“
Andere Standards wiederum, darunter Bau- und Sicherheitsvorschriften für Verglasungen, Treppen, Hygiene und Brandschutz können gar nicht ohne Weiteres geändert werden. „Da gibt es strenge Gesetze“, sagt der Architekt. „Schließlich geht es um die Sicherheit der Kinder.“
Allerdings weiß Jan Große genau, wie langwierig manche Genehmigungsverfahren für einen Neubau sein können. Er erlebt das bei jedem Projekt. Bis alle Pläne vorliegen, dauert es rund ein Jahr, erst dann kann sein Büro bauen. Bis die Kita endlich steht, vergehen noch einmal zwölf Monate. Jan Große bezeichnet diese Frist als „sportlich“: „Oft dauert es länger.“
Und dann sind da noch ideologische Hürden. So zumindest bezeichnet Antje Bostelmann die Schwierigkeiten, die sie vor allem in den alten Bundesländern erlebt. Wenn die Geschäftsführerin des bundesweit agierenden Kita-Betreibers Klax im Westen ihr Bildungs- und Erziehungskonzept vorstellt, vermeidet sie das Wort „Krippe“. „Das klingt offensichtlich immer noch nach Osten“, sagt Antje Bostelmann, 51. Nach gemeinsamen Töpfen, nach autoritären Methoden, nach Indoktrination. „Das ist natürlich alles Quatsch“, sagt Antje Bostelmann.
Keine Fördermittel, keine Kredite
Klax betreibt sogar zwei Kitas in der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Die Skandinavier sind bekannt für ihr geschlechtergerechtes Familienbild: Frauen und Männer sind gleichermaßen erwerbstätig, Männer nehmen Elternzeit, fast alle Kinder gehen in eine Kita. Das 2008 eingeführte Betreuungsgeld für Eltern, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen, soll demnächst wieder abgeschafft werden.
Als Antje Bostelmann in einer Kommune in Baden-Württemberg für ihr Modell warb, soll ihr der Bürgermeister geantwortet haben, sie könne ruhig eine Kita aufmachen, aber die dürfe die Kommune nichts kosten. Denn schließlich zahle der Westen schon so viel Soli-Beitrag. Thomas Metze, zweiter Klax-Geschäftsführer, 50, ist auf seinen Rundreisen durch die Republik vor allem in Bayern und in Niedersachsen gescheitert: „Wir sollten uns katholisch ausrichten. Aber wir sind konfessionslos.“ Bostelmann und Metze fragen sich seitdem: Was ist wichtiger, das Beharren auf Traditionen oder Wahlfreiheit für Eltern?
2,15 Milliarden Euro hat der Bund für den Kita-Ausbau zur Verfügung gestellt, weitere 1,85 Milliarden Euro für die Betriebskosten. Das Geld müssen die Länder und Kommunen beantragen. Aber die Länder und Kommunen trödeln, beklagt Ministerin Schröder. 700 Millionen Euro sollen noch nicht abgerufen sein. So dürfe man das aber nicht rechnen, hält Gerd Landsmann dagegen: „Die Kommunen müssen in Vorkasse gehen. Erst wenn eine Kita gebaut ist, können sie das Geld abrufen.“
Trotzdem scheint die Summe vorn und hinten nicht zu reichen. „Hanna“-Chef Horst braucht für seine neue Kita 3 Millionen Euro: 1 Million für das Grundstück, 2 Millionen für Haus, Einrichtung, Personal. So viel Geld hat er nicht, er muss einen Kredit aufnehmen und hat Fördermittel beantragt, aus einem Kita-Fonds. „Aber das Geld ist längst ausgegeben“, sagt Horst. Die Bank sagt: keine Fördermittel, keine Kredite. „Wenn das überall so ist“, sagt Horst: „Dann wird das nie was mit dem Kita-Ausbau.“
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