Aus der zeozwei: Der Idealbürger
Alexander Van der Bellen war elf Jahre lang Chef der Grünen in Österreich. Jetzt will er Bundespräsident werden. Wer ist der Mann?
![Ein Mann, Alexander van der Bellen Ein Mann, Alexander van der Bellen](https://taz.de/picture/1149405/14/tzzeo2_VanDerBellenAT_HEINZ-PETER-BADER_REUTERS.jpeg)
Wer ist dieser Van der Bellen? Oder wie die einer Personenwahl adäquatere Frage lautet: Was für eine Person ist dieser „VdB“? Da sind zum einen Eigenschaften wie: moralisch, integer, anständig.
Nun muss ein Präsidentschaftskandidat mehr als nur die jeweiligen Stammwähler ansprechen. VdB löst dieses Dilemma durch einen Spagat: Er richtet seine Kampagne an zwei Themen aus: dem Thema Menschenrechte – mit der Absage an Flüchtlingsobergrenzen und dem Bekenntnis zur Hilfsverpflichtung; und dem erstaunlichen Thema Heimat. Die Erklärung liegt in seiner Biografie. Österreich hatte ihn, das Flüchtlingskind, aufgenommen. In dieser Verknüpfung bekommt „Heimat“ eine ganz andere Konnotation.
Karriere jenseits der Politik
Da sind zum anderen Eigenschaften wie: vernünftig, bedacht, ruhig, nachdenklich, überlegt, respektvoll und respekterweckend. Das sind die Charakteristika des Universitätsprofessors. Denn VdB ist der mittlerweile seltene Fall eines Politikers, der nicht nur Wissen hat – jenseits der Politik. Der nicht nur einen Beruf hat – jenseits der Politik. Sondern der auch noch eine Karriere hat – jenseits der Politik. VdB ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaft. Er war sogar Dekan seiner Fakultät. Ein Politiker, der zur „axiomatischen Präferenztheorie“ publizierte.
Spannend aber wird es, wenn man sieht, was der Professor daraus macht. Er erfüllt alle bürgerlichen Kriterien: Bildung, Respektabilität, Anerkennung, gute Umgangsformen bis hin zur Kleiderordnung. Und doch ist da noch etwas anderes. Ein Überschuss über diese Vorgaben. Ein Mehr, das hinzukommt – und alles verändert. Da sind Eigenschaften wie: authentisch, unarrogant, entspannt, sehr entspannt. Manchmal langsam. Etwa beim Sprechen. Auch im Fernsehen. Er erlaubt sich Pausen. Nachdenkpausen. Er sagt ungeheuerliche Sätze wie: „Das weiß ich nicht.“ Gelassen. Unkonventionell. Was heißt das bei jemandem, der alle Konventionen erfüllt?
Als Beleg fürs Unkonventionelle verweisen die Kommentatoren auf seine Vorliebe für schwarze Rollkragenpullover. Oder auf seinen Hang zum Dreitagebart. Aber das erfüllt die Kategorie des Unkonventionellen schon lange nicht mehr. Selbst bei Politikern.
Distanz zu den Codes bürgerlicher Kultur
Es gab da vor ein paar Jahren einen eigentümlichen Kinowerbespot. Man sah darin die unterschiedlichsten Leute – Junge, Alte, Frauen, Kinder –, auf die ein unerklärlicher Schatten fiel, wonach ihnen ein Dreitagebart wuchs und sie zu strahlen begannen. Erst zum Schluss sah man das Gesicht, zu dem der Bart eigentlich gehörte. Diese unerklärliche Freude ist vielleicht tatsächlich symptomatisch für das Phänomen VdB. Denn der Professor hat stets etwas von einem großen Buben. Einen Charme, der von seiner Verschmitztheit herrührt. Seiner Selbstironie.
Man könnte das auch als Distanz zu den Codes der bürgerlichen Kultur bezeichnen. Als spielerischen Umgang mit eben diesen. VdB zeigt: Wahre Souveränität, also das wahre autonome, das wahre bürgerliche Subjekt ist nicht jenes, welches die Normen erfüllt – sondern jenes, das auch noch das Spiel mit den Codes beherrscht.
![](https://taz.de/picture/445983/14/zeozwei_button_3.png)
Dieser Text stammt aus der neuen zeozwei, dem taz-Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. Unser Ziel: Eine geistige Bewegung für die sozialökologische Transformation schaffen. Die neue Ausgabe liegt jetzt am Kiosk. Oder gleich richtig mitmachen: 20 Euro für ein Jahresabo mit Prämie.
Es bedeutet, ernsthaft zu sein – also etwa wirklich gebildet zu sein – und gleichzeitig selbstironisch. Es bedeutet, das Spiel des Öffentlichen, der Demokratie ernst zu nehmen – aber mit einem Augenzwinkern. Es bedeutet, die Vorgaben zugleich zu erfüllen und zu überschreiten. Oder anders gesagt: Das bürgerliche Ideal ist erst dann erfüllt, wenn es auch überschritten wird. Vielleicht ist ja das der Kern der grünen Kultur. Vielleicht ist das ja die grüne Mitte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben