Aus Myanmar geflohene Rohingya: In der Sackgasse
Die Flüchtlinge sollten längst nach Myanmar zurückkehren. Tatsächlich kommen viele Rohingya jetzt erst in Bangladesch an.
Damit könnte es bald vorbei sein. Bangladesch und Myanmar haben eine Rückführung der geflüchteten Rohingya vereinbart, die Menschenrechtler als überstürzt und gefährlich bezeichnen. Mehr als 650.000 Männer, Frauen und Kinder der muslimischen Minderheit sind seit Ende August vor Myanmars Militär nach Bangladesch geflohen. Die Vereinten Nationen sprechen von einer ethnischer Säuberung und schließen nicht aus, das Myanmars Militär einen Völkermord an den Rohingya begangen haben könnte. Nun sollen die Flüchtlinge heimkehren, möglichst rasch, auch wenn Bangladesch am Montag den ursprünglichen für Dienstag geplanten Start der Repatriierung erst einmal verschoben hat.
Doch während die beiden Regierungsdelegationen sich in der vergangenen Woche in Myanmars Hauptstadt Naypyidaw zu einem Rückführungspapier beglückwünschen, versteckt sich der 40-jährige Aman Ullah mit seiner Frau und den sechs Kindern in seiner Heimat in einem Wald vor den Soldaten. Sechs Tage harrt die Rohingya-Familie dort aus, bevor sie die Überfahrt über den Grenzfluss endlich wagen kann.
Soldaten haben dem Rohingya gesagt, er müsse gehen, denn er sei ein Bengali und gehöre deshalb nach Bangladesch. So erzählt Aman es. In seinem Dorf würden jetzt Häuser für die ethnischen Rakhine gebaut. Aman Ullah und die rund 40 Nachbarn aus seinem Dorf sind unter den letzten Rohingya, deren Zuhause noch nicht niedergebrannt wurde. Als die Soldaten damit beginnen, Amans Bambushütte zu zerstören, kann auch er nicht mehr anders. Er nimmt seine Familie und geht. Jetzt sitzt Aman am Rande eines Marktes, dort wo es ruhiger zugeht, auf dem Betonvorsprung eines geschlossenen Geschäfts in einem bangladeschischen Grenzort. Ein Baby wimmert. Niemand hat in den letzten Tagen gut geschlafen, schon gar nicht in der letzten Nacht. Von 10 Uhr nachts bis 4 Uhr morgens mussten Aman und seine Nachbarn auf einem Boot kauern, das sie über den Grenzfluss nach Bangladesch transportiert hat. Die Kinder haben noch Sand im Haar.
Rohingya-Flüchtling Aman Ullah
„8 Männer, 16 Frauen, 20 Kinder“ notiert ein Polizist in sein Notizbuch. Er sagt „Bitte“, tritt zur Seite und macht eine großzügige Geste in Richtung der Flüchtlinge, die vor ihm auf dem Boden kauern und der Dinge harren, die da kommen. „Natürlich können Sie ein Foto machen“, sagt er zu der Reporterin. Der Polizist ist so lange auskunftsfreudig, bis es um die Rückführung der Rohingya geht. Dazu könne er nichts sagen. Er gibt seinen Kollegen am Telefon ein paar Daten durch, dann ist er verschwunden.
Seit Jahrzehnten werden die Rohingya verfolgt
Schon vor der Krise im August lebten rund 400.000 Rohingya in Bangladesch. Rückführungsaktionen gab es immer wieder, doch wirklich nachhaltig waren sie nie. Bangladesch musste sich regelmäßig die Kritik gefallen lassen, die Rohingya mit der Drohung, ihnen ihre Essensscheine zu entziehen, zur Rückkehr gezwungen zu haben.
Dicht gedrängt
Bangladesch gehört mit 163 Millionen Bewohnern zu den dichtest besiedelten Ländern der Erde. Im Vergleich: Doppelt so viele Menschen leben auf einer Fläche, die weniger als der Hälfte Deutschlands entspricht. Die Mehrheit unter ihnen (rund 98 Prozent) sind Bengalen, knapp 90 Prozent Muslime. Damit gilt Bangladesch als Land mit der drittgrößten muslimischen Bevölkerung.
Geschichte
Wie Myanmar war Bangladesch einst Teil des britischen Kolonialreiches. Als „British-India“ schließlich 1947 die Unabhängigkeit erreichte, wurde das mehrheitlich muslimische Ostbengalen dem neuen Staat Pakistan zugeschlagen. Erst nach einem erneuten Krieg konnte der Osten sich schließlich vom geografisch weit entfernten Pakistan lossagen: 1971 schließlich entstand die Republik Bangladesch. Während das Land auch in der Vergangenheit immer wieder Flüchtlinge aus dem benachbarten Myanmar aufnahm, fürchtet die Regierung, verstärkt Flucht- und Stützpunkt bewaffneter radikalisierter Kämpfer zu werden. (taz)
Dass die große Mehrheit der muslimischen Rohingya, der größten staatenlosen Gemeinschaft der Welt, nicht zurück nach Myanmar will, ist nicht verwunderlich. Dort werden sie seit Jahrzehnten verfolgt. Seit fünf Jahren leben die ethnischen Gemeinschaften voneinander getrennt. Viele Rohingya fristen ihr Dasein in Camps, die sie genauso wenig wie ihre Dörfer verlassen dürfen. Das Militär behauptet, das geschehe zu ihrem eigenen Schutz. Amnesty International nennt es Apartheid.
„Nach Sonnenuntergang durften wir unsere Häuser nicht mehr verlassen“, erzählt Aman, der einmal Bauer war, Kühe und etwas Land besaß. Sogar im muslimischen Fastenmonat Ramadan mussten sie im Dunkeln essen, sagt er. Licht sei nicht erlaubt gewesen. „Wer einmal von den Soldaten mitgenommen wurde, der kam nie wieder.“ Wie solle man so leben, fragt er.
Große Flüchtlingsströme nach Bangladesch gab es schon 1978 und 1992. Das Ausmaß der aktuellen Krise allerdings ist ohnegleichen. Die Rückführung dürfte sich nicht nur wegen der Masse an Menschen, sondern auch deshalb als schwierig erweisen, weil dieses Mal so viele Rohingya ihr Zuhause verloren haben.
Das Ausmaß der Zerstörung ist sogar vom Weltall aus zu sehen. Mithilfe von Satellitenbildern konnten Human Rights Watch und Amnesty International nachweisen, dass Hunderte Dörfer in Schutt und Asche liegen. Die Rauchsäulen über den Rohingya-Dörfern waren jenseits des Grenzflusses in Bangladesch zu sehen – auch noch, als Myanmars Regierung behauptete, die „Sicherheitsoperation“ sei längst beendet.
Das Unheil nimmt im August 2017 seinen Lauf. Aufständische Rohingya einer selbsternannten Befreiungsarmee greifen mehrere Grenzschutzposten an. Das Militär schlägt schonungslos zurück. Die Rohingya werden unter Terror-Generalverdacht gestellt. Eine gewaltige Fluchtbewegung setzt ein.
Damals überbieten sich Bangladescher fast damit, die Flüchtlinge an der Grenze aufzulesen und sie in ihren Fahrzeugen zu den Camps zu bringen. Einheimische spenden so viele Kleidungsstücke, dass sich neben der Straße ein Textilsumpf bildet, das den Monsunregen aufsaugt.
Ein Euro kostet die Fahrt zum Camp
Damit ist es vorbei. Heute müssen Aman und seine Nachbarn dafür bezahlen, damit sie auf die Ladefläche zweier Trucks steigen dürfen. Umgerechnet einen Euro kostet die Fahrt ins Camp pro Passagier. Für Menschen, die fast nichts mehr besitzen, ist das sehr viel Geld. Auf halber Strecke hält der Wagen. Einer der Bangladescher will den Stapel an birmesischen Kyats in bangladeschische Taka wechseln. Wer in Myanmar mit Taka erwischt wird, riskiert eine Gefängnisstrafe.
Aman und die anderen warten. Ein Bangladescher kommt und verteilt Kekse, Gurken und Wasserflaschen. Ein anderer hebt ein Baby aus dem Truck und sagt, während er mit dem kleinen Mädchen schäkert: „Wir können die Flüchtlinge nicht ewig hier behalten.“
Viele Volksgruppen
Insgesamt leben in Myanmar, dem früheren Birma, rund 53 Millionen Menschen. Was die Sache so kompliziert macht, ist die große Zahl von rund 135 Volksgruppen, viele mit eigenen Sprachen, eigener Kultur, unterschiedlichen Religionen. Zwei Drittel der Bevölkerung gehören zur Mehrheit der buddhistischen Bamar. Im Bundesstaat Rakhine (früher Arakan) – etwa so groß wie Baden-Württemberg – leben buddhistische Rakhine, muslimische Rohingya und weitere – buddhistische, muslimische und christliche – Volksgruppen.
Alte Konflikte Die Geschichte Rakhines ist nicht erst in jüngster Zeit von Gewalt geprägt: Im Zweiten Weltkrieg standen hier viele der buddhistischen und der muslimischen Bewohner auf verschiedenen Seiten. Die Buddhisten kämpften eher mit den Japanern gegen die britischen Kolonialherren, die Muslime mit den Briten. Am Ende flüchteten sich die Muslime in den Norden, die Buddhisten in den Süden. Auch nach der Unabhängigkeit 1948 kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. (taz)
Andere haben weniger Geduld. Ein herannahendes Fahrzeug wird langsamer, als der Fahrer die Flüchtlinge sieht. Ein Mann lehnt sich aus dem Fenster. „Solche wie euch habe ich auf meiner Ladefläche auch mitgenommen. Und das haben wir jetzt davon, ihr seid schlecht“, schimpft er und rauscht davon.
Hunderttausende Flüchtlinge haben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Stadt Cox’s Bazar verändert: Die Marktpreise haben sich dort in den letzten Monaten verdreifacht, das Lohnniveau ist dafür in den Keller gegangen. Kinder konnten wochenlang nicht zu ihren Schulen gehen, weil diese als Notunterkünfte dienten. Die menschengemachte Katastrophe hat die lokale Bevölkerung zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land gemacht.
Aber kein einziger Vertreter Myanmars hat seit der Krise einen Fuß in eines der Flüchtlingslager gesetzt. Die humanitäre Belastungsprobe, die ihr Land den Bangladeschern aufbürdet, ist bei den Myanmarern kein Thema. Die Rohingya gehören nach Meinung der meisten sowieso nach Bangladesch. Es trifft sich deshalb gut, dass Mohammad Abul Kalam ein stoischer Mann ist. Im Anzug und mit blasslila Krawatte sitzt der Flüchtlingskommissar am Rande eines langgezogenen Büros in Cox’s Bazar an seinem mächtigen Schreibtisch. Hinter ihm thront ein Porträt von Premierministerin Sheik Hasina, die von ihrer Partei und dem Volk seit der Krise als die internationale Königin der Menschlichkeit und als Pionierin des Friedens verehrt wird. Mohammad Abul Kalam ist dafür verantwortlich, dass das so bleibt. Ende des Jahres stehen in Bangladesch Wahlen an.
Die angekündigte Rückführung verzögert sich
„Die Rückführung muss freiwillig und die Sicherheit der Flüchtlinge muss garantiert sein“, wiederholt er die Forderungen besorgter Menschenrechtler. Darüber, wie Bangladesch das sicherstellen will, möchte er keine genaue Auskunft geben. Lieber verweist er darauf, dass auch die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung annehmen müsse.
Während Myanmars Regierungsvertreter wieder und wieder den 23. Januar als Starttermin der Flüchtlingsrückführung bestätigt haben und angeblich schon eine Liste der ersten Kandidaten existiert, scheint die bangladeschische Seite mehr darauf bedacht zu sein, ihr neues Image nicht zu verlieren und zugleich die eigene Bevölkerung bei Laune zu halten. Der Flüchtlingskommissar fasst es so zusammen: „Die Rückführung hat doch quasi schon begonnen: Ein Abkommen ist unterzeichnet.“ Dann lehnt er sich zurück. Erst an diesem Montag gibt Abul Kalam bekannt, dass es mit dem 23. Januar als Starttermin nichts wird.
In einem überwucherten Transitcamp an der Grenze, wo in den neunziger Jahren Flüchtlinge für ihre Rückführung vorbereitet worden sind, inspizieren Regierungsvertreter das Gelände. Auf die Frage, wo denn die ominöse Liste sei und ob am 23. Januar Flüchtlinge in einem Boot nach Myanmar sitzen werden, lachen sie nur.
Das Geld gestohlen, die Nacht bricht herein
Aman, seine Familie und seine Nachbarn haben keine Ahnung, dass Bangladesch eigentlich gar keine Rohingya mehr aufnehmen, sondern sie vielmehr zurückschicken will. Sie haben erst einmal ein anderes Problem. Der Mittelsmann, der ihr Geld wechseln sollte, hat sich aus dem Staub gemacht. Der Fahrer weigert sich weiterzufahren. Die Sonne geht unter, bald wird es kalt.
Dem offiziellen Procedere entsprechend, das Hilfsorganisationen und Regierung ausgearbeitet haben, sollten Aman und seine Familie eigentlich erst einmal in eine Auffangstation gebracht werden, wo sie registriert und ärztlich versorgt werden. Doch das Megacamp und seine kleineren Ableger bringen NGOs nach wie vor an ihre Grenzen. Viele Entwicklungshelfer haben die Idee von Wochenenden aus ihrem Terminkalender gestrichen. Nicht alles läuft nach Plan. In Regierungsbüros ist man sich uneinig, wie viele Camps es denn nun inzwischen seien. Man hat es mit der am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise der Welt zu tun.
Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der UNO ist nach wie vor nicht in die geplante Rückführung einbezogen worden. „Das ist alles Augenwischerei, nichts als ein politisches Spiel auf dem Rücken der Flüchtlinge“, sagt ein UN-Vertreter in Cox’s Bazar, der nicht namentlich genannt werden will.
In Myanmar haben die Vereinten Nationen einen schweren Stand. Während viele internationale Beobachter ihr Tatenlosigkeit vorwerfen, klagen die Myanmarer, sie interessieren sich nur für die Muslime. Die UNO ist in die Schusslinie zwischen Menschenrechtsverfechtern und der Regierung geraten. Und Staatsrätin Aung San Suu Kyi, die Friedensnobelpreisträgerin und Demokratie-Ikone aus Myanmar, gilt vielen nun als Komplizin eines Völkermordes. Ihre Regierung tut die Vorwürfe von Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung an den Rohingya als Fake News ab. Sie hat stattdessen die Versöhnung zwischen der Bevölkerung und der Armee nach einem halben Jahrhundert Militärdiktatur zur Priorität erklärt.
Die Ausgewiesenen sind rechtlos
In Bangladesch kommen Aman und seine Familie am Ende doch noch in einem Auffanglager an. Ein anderer Rohingya gibt ihnen etwas Geld. Im Camp hat sich Aman 70-Jähriger Nachbar Dil übergeben müssen, er kauert am Boden. Früher war er einmal Staatsbürger Myanmars. Jetzt ist er rechtlos und darauf angewiesen, dass Bangladesch und die internationale Gemeinschaft ihm helfen. Sein eigenes Land hat ihm die Papiere abgenommen.
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Abdullah, Amans zehnjähriger Sohn, sitzt auf einem Reissack mit den Kleidungsstücken und ein paar Küchenutensilien, die das Militär ihnen nicht weggenommen hat. Er hätte gerne seine Bücher mitgebracht und er sagt, dass er auf Englisch bis zehn zählen kann. Unter seinem Arm klemmt eine abgegriffene blumige Fleecedecke. Er hat sein Dorf bisher noch nie verlassen. Die Flucht war seine erste große Reise. „Deine Freunde kommen bestimmt auch noch“, sagt die Mutter, um ihren Sohn aufzumuntern. Die Flüchtlinge erzählen, dass noch viele andere Rohingya auf dem Weg nach Bangladesch seien.
Aman weiß nicht, was nun mit ihnen passieren wird. Er weiß nur, dass die Soldaten in Myanmar ihm gesagt haben, dass er gehen soll. Alles, was er im Moment hofft, ist, dass er sich endlich waschen kann, um zu beten.
Die Rohingya haben keine Stimme. Nicht in Myanmar und auch nicht hier im Camp in Bangladesch. Vereinzelt haben sich kleinere Protestgruppen gebildet, die fordern, dass sie nur unter der Bedingung zurückkehren werden, dass sie endlich ihre Rechte zurückbekommen und in Myanmar beschützt werden. „Lieber sterbe ich hier, als dass ich zurück nach Myanmar gehe“, sagt Yasemin, eine der Organisatorinnen. Soldaten in Myanmar haben ihren Mann und eines ihrer Kinder umgebracht.
Ein paar Kilometer endloser Zeltreihen weiter. Die untergehende Sonne hüllt die Menschenmassen in gleißendes Licht. Zu Hunderten strömen sie zum Haus des Maji Yousuf, der als Vertrauter für sie mit Bangladeschs Militär zusammenarbeitet. Je näher man dem Haus kommt, desto lauter wird das Klagen und Weinen. Eine Verwandte des Maji stützt sich gegen die Bambusstange der Hütte. Sie bebt vor Schluchzen. „Mein Bruder ist tot, oh Allah, Allah.“ Hinter einer Plastikplane wird der leblose Körper des Maji Yousuf gewaschen und balsamiert. Auf seiner Stirn klafft eine Schusswunde.
Nach Einbruch der Dunkelheit sei eine Gruppe Unbekannter in das Zelt des Maji gekommen, heißt es von Umstehenden. Einer der Männer schoss ihm in den Bauch, den Mund und die Stirn. Er war sofort tot.
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