piwik no script img

Aus Le Monde diplomatiqueDie Rückkehr des Sohnes

Im Libanon ist die Krise der Regierung Hariri vorerst gebannt. Gegen den Einfluss Saudi-Arabiens und Irans hilft nur ein funktionierender Staat.

Der Rückkehrer Hariri glücklich in seiner Residenz – was er für die Zukunft mitbringt, ist ungewiss Foto: dpa

Am Abend des 21. November landete der Privatjet von Saad al-Hariri auf dem Beiruter Flughafen, rechtzeitig für die Feierlichkeiten zum libanesischen Unabhängigkeitstag am nächsten Morgen. In der libanesischen Hauptstadt war vor allem eines zu spüren: Erleichterung. Nur 17 Tage zuvor hatte Hariri in der saudischen Hauptstadt Riad seinen Rücktritt als Premierminister des Libanon verkündet – mit versteinerter Miene und in einem Ton, den die Libanesen nicht von ihm kannten.

Er spüre, sagte Hariri, dass man ihm nach dem Leben trachte. Saads Vater Rafik Hariri war 2005 in Beirut von einer Autobombe getötet worden. Jetzt attackierte der Sohn in Riad Iran und dessen libanesische Verbündete, die Hisbollah: Die libanesische Nation werde die Hände all derer „abschlagen“, die nach dem Zedernstaat greifen. Der ungewöhnlich scharfe Ton ließ viele Libanesen vermuten, der Premier habe seine Rede nicht selbst geschrieben und sei von den Saudis zum Rücktritt gezwungen worden.

Tatsächlich kam Hariris Rücktrittserklärung für die Libanesen wie für den Rest der Welt völlig überraschend. Nicht einmal die engsten Berater des Regierungschefs oder seine Mitstreiter in der Tayyar al-Mustaqbal („Zukunftsbewegung“) waren über den Schritt unterrichtet. Zudem war Hariris Terminkalender für die Tage nach seiner überstürzten Abreise voll mit Terminen, sämtlich in Beirut. All das spricht dafür, dass Hariri selbst nicht wusste, was ihn in Riad erwartet.

Der Rücktritt hängt ganz zweifellos eng mit der regionalpolitischen Rivalität zwischen Teheran und Riad zusammen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der neue starke Mann in Riad, ist offensichtlich gewillt, seine Agenda auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Dabei scheut er auch vor außenpolitischen Schnellschüssen nicht zurück, wie sich in der Katar-Krise vom Sommer gezeigt hat, die für Riad inzwischen zum Rohrkrepierer wurde.

Le Monde diplomatique

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique. LMd liegt immer am zweiten Freitag des Monats der taz bei und ist einzeln im taz-Shop bestellbar: Gedruckt oder digital (inklusive Audio-Version). Das komplette Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe finden Sie unter www.monde-diplomatique.de.

Dennoch stellt sich die Frage: Warum spielte Riad gerade jetzt die libanesische Karte? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick auf die innenpolitischen Entwicklung im Libanon der vergangenen Monate werfen. Die Wahl Michel Aouns zum Präsidenten des Landes am 31. Oktober 2016 beendete nicht nur eine zweieinhalb Jahre dauernde Vakanz an der Spitze des Staats. Aouns Vereidigung und die einige Wochen später erfolgte Bildung einer Regierung mit Saad al-Hariri an der Spitze besiegelte auch einen Kompromiss zwischen den verfeindeten politischen Lagern des Landes.

Der Syrien-Krieg blieb draußen

Seit 2005 waren die politischen Kräfte des Libanon tief gespalten: Auf der einen Seite standen die Parteien des „14. März“, benannt nach dem Datum des Beginns der Zedernrevolution von 2005, deren Auslöser damals die Ermordung Rafik Hariris war. An ihrem Ende musste die syrische Armee aus dem Libanon abziehen, und Damaskus hatte seinen dominierenden Einfluss im Nachbarland eingebüßt. Das Lager des „14. März“ bestand vor allem aus Hariris sunnitischer Zukunftsbewegung und den beiden maronitisch-christlichen Parteien Force Libanaise (FL) unter Samir Geagea und der Kataeb von Samy Gemayel.

Die prosyrischen Gegenkräfte bilden das Lager des „8. März“, benannt nach dem Datum einer großen prosyrischen Demonstration in Beirut 2005. Ihre wichtigsten Vertreter sind die schiitische Hisbollah, die maronitisch-christliche Freie Patriotische Bewegung (FPB) von Präsident Aoun und die ebenfalls schiitische Amal-Bewegung unter Führung des Parlamentspräsidenten Nabih Berri.

Als Gegenleistung für die Wahl des Christen Aoun zum Präsidenten akzeptierte die Hisbollah einen Premierminister Hariri und beteiligte sich mit zwei Ministern an dessen Regierung. Die Bildung einer Koalitionsregierung sollte garantieren, dass der Libanon von den Auswirkungen des Kriegs in Syrien so weit wie möglich verschont bleibt. Einem ähnlichen Zweck diente das 2014 geschlossene Übereinkommen zwischen Hariris Zukunftsbewegung und der Hisbollah, das die innere Sicherheitslage stabilisieren sollte.

„Jeder weiß, dass diese Politik der ‚Abgrenzung‘ zum Teil nur eine Farce ist“, sagt Maha Yahia, Direktorin des Carnegie Middle East Center in Beirut. Doch diese Politik habe immerhin dafür gesorgt, dass der Libanon nicht noch weiter in den Konflikt in Syrien hineingezogen wurde. Tatsächlich hielten sich die libanesischen Fraktionen weitgehend an die Absprache, dass ihre entgegengesetzten Positionen zum Thema Syrien nicht zu einem bewaffneten Konflikt im eigenen Land führen dürften. Das hinderte die Hisbollah jedoch nicht daran, seit 2012 aktiv in Syrien auf der Seite des Assad-Regimes einzugreifen.

Jakob Farah

ist Redakteur der deutschen Ausgabe von Le Monde diplomatique.

Der Beiruter Menschenrechtsanwalt Marwan Maalouf betont, der Kompromiss von 2016 habe erneut die Veränderungen in der politischen Landschaft des Libanon deutlich gemacht: „Die Wahl Aouns und die Bildung einer Koalitionsregierung haben gezeigt, dass die alten Fronten zwischen 8. März und 14. März nicht mehr existieren.“ Das gefalle jedoch nicht allen Akteuren im Libanon, und vor allem nicht den Saudis, sagt Maalouf, einer der Initiatoren der „You Stink“-Bewegung. Diese konnte 2015 zehntausende Libanesen mobilisieren, die gegen Korruption, anhaltende Infrastrukturprobleme und insbesondere die Müllkrise auf die Straße gingen.

Lob aus dem Iran

Tatsächlich wurde Hariri in letzter Zeit wiederholt vorgeworfen, er pflege eine zu nachsichtige Haltung gegenüber der Hisbollah und den prosyrischen Kräften in seiner Regierung. Nur Stunden vor seinem überstürzten Abflug nach Riad am Abend des 3. November hatte der Premier Ali Akbar Velayati empfangen, den außenpolitischen Berater des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei. In einer E-Mail, die Hariris Büro nach dem Treffen an Journalisten schickte, wurde Velayati mit den Worten zitiert: „Wir loben Premierminister Hariri, die (libanesische) Regierung und das (libanesische) Volk für die jüngsten Siege angesichts der terroristischen Gefahr. Die Bildung einer Koalitionsregierung mit dem 8. März und dem 14. März ist ein Segen für das libanesische Volk.“

Mit den „jüngsten Siegen“ meinte Velayati die erfolgreiche Vertreibung von Kämpfern des islamistischen syrischen Milizenbündnisses Hai’at Tahrir asch-Scham aus der Bergregion im Nordosten des Libanon. Diese Gegend um die Stadt Arsal an der Grenze zu Syrien war von den syrischen Assad-Gegnern schon seit längerer Zeit als Rückzugsraum genutzt worden. Treibende Kraft bei dieser Aktion war allerdings nicht die LAF, also die libanesische Armee, sondern die Hisbollah. Zwar betonte LAF-General Ali Kanso, dass es „keinerlei Absprachen mit der Hisbollah oder der syrischen Armee“ gegeben habe, doch daran hegt man nicht nur im Libanon starke Zweifel. Schließlich war es Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, der die libanesische Öffentlichkeit über den Fortgang der Kämpfe informierte.

Die Hisbollah konnte sich im Zuge der Arsal-Kampagne als Beschützerin der libanesischen Nation darstellen und damit auch bei nichtschiitischen Libanesen punkten. In den sozialen Medien tauchten zahlreiche Videos auf, in denen Hisbollah-Kämpfer die Fahnen der besiegten Rebellen durch die libanesische Flagge ersetzten, wobei gleich darunter das gelb-grüne Hisbollah-Banner prangt. Solche Bilder, die eine Einheitsfront zwischen der Hisbollah und der LAF suggerieren, sind ein Albtraum nicht nur für Riad, sondern auch für die USA, die die schiitische Organisation auf ihrer Liste der Terrororganisationen führen, während die LAF mit Milliarden US-Dollar und Ausbildern unterstützt wird.

Das Treffen Hariris mit Velayati am 3. November war für die Saudis offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es war nämlich keineswegs das erste Mal, dass Hariri und Mitglieder seines Kabinetts die Nähe zu Iran und zum Assad-Regime suchten.

Insbesondere Außenminister Gebran Bassil, Vorsitzender der mit der Hisbollah verbündeten FPB, hat in den letzten Monaten mehrmals die offizielle Politik der „Abgrenzung“ unterlaufen. Am Rande der UN-Generalversammlung hatte sich Bassil Ende September in New York mit Assads Außenminister Walid al-Muallim getroffen. Danach berichtete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana, Bassil habe die „positiven Entwicklungen in Syrien und die Siege der syrischen Armee über die Terroristen“ gelobt. Zudem habe er alle Kritiker des Assad-Regimes aufgefordert, ihre Position zu überdenken und sich am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen.

Es blieb der Eindruck, dass der Premierminister – der Stabilität der Regierung zuliebe – den Kuschelkurs seiner Koalitionspartner mit Teheran und dem Assad-Regime tolerierte.

Zwar kritisierte Hariri dieses Treffen und beteuerte, dass er es „nicht gebilligt“ habe. Doch es blieb der Eindruck, dass der Premierminister – der Stabilität der Regierung zuliebe – den Kuschelkurs seiner Koalitionspartner mit Teheran und dem Assad-Regime tolerierte. Zumal Hariri wenige Tage nach dem Gespräch zwischen Bassil und Muallem einen Erlass von Präsident Aoun zur Entsendung eines libanesischen Botschafters nach Damaskus unterzeichnete. Das war ein deutliches Signal, denn kurz nach Beginn des Kriegs in Syrien war der libanesische Botschafter nach Beirut zurückgekehrt und seither von einem niederrangigen Diplomaten vertreten worden.

Auch für diese Entscheidung wurde Hariri im Libanon scharf kritisiert: „Wenn man Baschar al-Assad ein Beglaubigungsschreiben überreicht, wertet man einen Menschen auf, der eine halbe Millionen Syrer umgebracht hat“, sagte Bildungsminister Marwan Hamadeh, Mitglied der drusischen Progressiven Sozialistischen Partei. Hariri selbst verteidigte die Entsendung eines Botschafters, indem er twitterte: „Eine Botschaft in Damaskus ist eine Bestätigung unserer Unabhängigkeit und Souveränität.“

Fehlschlag für die Saudis

Angesichts dieser Ereignisse verstärkte sich in Riad das Gefühl, die Regierung in Beirut werde immer stärker von den prosyrischen Kräften dominiert und Hariri tue nichts, um diese Entwicklung zu stoppen. „Die ganze Hariri-Episode war ein Versuch der Saudis, im Libanon die alten Fronten zwischen dem 8. März und dem 14. März wiederherzustellen“, meint Menschenrechtsanwalt Maalouf.

Was immer die Saudis mit der Absetzung Hariris bezweckten – vieles spricht dafür, dass es sich um eine Kurzschlussreaktion handelte, dass Riad also keine klare Strategie für seine nächsten Schritte im Kopf hatte. Falls Kronprinz bin Salman die Hisbollah isolieren wollte, um eine erneute Eskalation zwischen den politischen Lagern des Libanon herbeizuführen, ist dieser Schuss nach hinten losgegangen: In der Woche nach Hariris Rücktritt erlebte Beirut eine Welle der Solidarität mit dem Regierungschef. Überall tauchten Plakate mit dem Konterfei Hariris auf, mit Bekenntnissen wie „Kulna Maak“ („Wir alle sind mit dir“) oder „Kulna Saad“ („Wir alle sind Saad“).

Auch innerhalb der sunnitischen Gemeinschaft des Libanon, die traditionell mit Saudi-Arabien verbündet ist, löste Riads Umgang mit Hariri Verärgerung aus. In der Sunnitenhochburg Tripoli im Norden, der zweitgrößten Stadt des Landes, ging ein Plakat mit dem Bild des saudischen Kronprinzen in Flammen auf. „Innerhalb kürzester Zeit hat es die saudische Führung geschafft, nicht nur die säkularen Hariri-Anhänger, sondern auch die konservativen Sunniten im Libanon gegen sich aufzubringen“, twitterte der Beiruter Blogger Mustapha Hamoui.

Selbst Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah forderte bei einem öffentlichen Auftritt die Rückkehr Hariris. „Hariri ist unser politischer Rivale, aber er ist auch unser Premierminister“, erklärte Nasrallah am 10. November. Damit nutzte er geschickt die wachsende antisaudische Stimmung aus, um sich erneut als Verteidiger der libanesischen Nation darzustellen.

Bei seiner Rückkehr nach Beirut am 21. November verkündete Hariri zunächst, er werde auf Bitten von Präsident Aoun seinen Rücktritt aufschieben. Am 5. Dezember, auf der ersten Kabinettssitzung seit Beginn der Krise, verkündete Hariri dann offiziell seinen Rücktritt vom Rücktritt. In den zwei Wochen zuvor hatte es intensive Beratungen zwischen allen politischen Lagern im Libanon gegeben.

Internationale Unterstützung

Für Riad war Hariris triumphale Rückkehr eine diplomatische Niederlage, die ohne den vielfachen internationalen Druck nicht möglich gewesen wäre. Unterstützung bekam er dabei vor allem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aber auch der ägyptische Präsident al-Sisi, ein Verbündeter Riads, hat Hariri den Rücken gestärkt, indem er ihn auf seinem Rückflug von Paris zu einem Abstecher nach Kairo einlud.

Die Einzelheiten des Deals, der die Neuauflage der Koalitionsregierung möglich machte, blieben zunächst unklar. In einer auf der Kabinettssitzung vom 5. Dezember angenommenen Erklärung verpflichteten sich alle Regierungsparteien – inklusive Hisbollah – erneut auf die libanesischen Politik der Abgrenzung gegenüber den Konflikten in der Region.

Ob den Worten diesmal auch Taten folgen, ist allerdings völlig offen. Riad möchte vor allem, dass die Hisbollah ihre Aktivitäten im Jemen einstellt, wo die Miliz die Huthi-Rebellen offenbar mit Ausbildern unterstützt. Der Schauplatz Jemen ist für Riad inzwischen weit wichtiger als Syrien, wo das Assad-Regime mit Hilfe Russlands, Irans und der Hisbollah wieder den Großteil des Landes kontrolliert.

Für Marwan Maalouf zeigt sich in der Hariri-Krise erneut die Unfähigkeit der politischen Elite des Libanon: „Der beste Schutz gegen eine Einmischung von außen ist ein starker, funktionierender Staat“, meint der Anwalt und fügt hinzu: „Alle etablierten Parteien im Libanon, egal aus welchem Lager, haben bei der Aufgabe versagt, einen solchen Staat aufzubauen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!