Auftakt der CTM: Innehalten beim alltäglichen Tumult

Das Berliner Festival CTM erforscht unter dem Motto „Turmoil“ widerständige Potenziale elektronisch generierter Sounds.

Die belgische Postmetalband Amenra Foto: CTM

Die Debatte über den subversiven Charakter von Musik ist immer aktuell, obwohl ihre Ursprünge bereits in der Antike liegen. Schon Platon warnte bekanntlich vor der Macht der Töne, die in der Lage seien, „die höchsten Gesetze des Staates ins Wanken zu bringen“. Ein historischer Moment, an welchem dies tatsächlich so geschehen ist, eine Revolution ausgelöst allein durch Musik, ist bis jetzt zwar nicht überliefert, dennoch gestaltet sich das Verhältnis zwischen Politik und Musik kompliziert.

Einerseits gehört es zu den wunderbarsten Eigenschaften von Popmusik, sich allein durch Kontexte mit Bedeutungen aufladen und Menschen emotional mitreißen zu können. Andererseits birgt genau das die Gefahr wenig subtilen Überschwangs, der politische Positionierung in eine marketingkompatible Pose umschlagen lassen kann.

Drängende Fragen

Schlüssige Antworten auf die drängenden außer- wie innermusikalischen Fragen unserer Zeit möchte indes das Festival CTM in Berlin formulieren. An der Schnittstelle von zeitgenössischer elektronischer Musik und experimenteller Clubkultur verstand es sich seit seiner Gründung 1999 nicht nur als Klassentreffen für Liebhaber unkonventioneller Klänge, sondern auch als Plattform für gesellschaftliche Diskurse und deren Widerhall in Musik und Kunst.

CTM 2018

26. 1. bis 5. 2.,

diverse Orte in Berlin

Im Januar 2017 reagierten die Festivalmacher mit „Fear Anger Love“ auf das Erstarken von Nationalismen und reaktionären Kräften, das damals in der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten kulminiert war. 2018 folgt nun „Turmoil“, was so viel wie Aufruhr oder Tumult bedeutet. Primär eine Zustandsbeschreibung sei dieser Begriff, erklärt Jan Rohlf, Mitgründer und Kurator der CTM, die Beschreibung einer Welt in Aufruhr, bei der keine schnellen Lösungen in Sicht sind, der Ausnahmezustand zum Dauerzustand, letztlich zum Alltag geworden ist.

Die CTM will dem gegensteuern: „Wir haben diesen Tumult als Thema gesetzt und wollen das Festival als einen Moment zum Innehalten nutzen, der wieder zu der Erkenntnis führt, dass wir das so nicht hinnehmen wollen“, erklärt Rohlf.

Also Unruhe mit noch mehr Unruhe begegnen? Wer sich den Trailer zur diesjährigen Ausgabe ansieht und anhört, könnte genau diesen Eindruck gewinnen. Neonfarbene, psychedelisch anmutende Strudel wirbeln in irrem Tempo über den Bildschirm, dazu bohren sich der schrille Noise und die harten Beats des britischen Duos Naked fast schmerzhaft in die Gehörgänge.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Es ist die naheliegende auditive Übersetzung des Themas, aber nur eine von zahllosen Möglichkeiten, denen man beim CTM begegnen kann. Reibung, im positiven Sinne, soll dort nicht unbedingt durch Dissonanzen entstehen, vielmehr durch die Künstler*innen selbst, durch deren Diversität in Ästhetik und Zugängen, Biografien, Herkunft und Hintergrund: Das Festival als Blaupause für eine inklusivere Gesellschaft, als Appell, einander zuzuhören, Empathie für andere, für das andere zu entwickeln, mitzufühlen.

Interessanterweise mündet die Frage, wie Künstler*innen den Unwägbarkeiten unserer Zeit begegnen können, tatsächlich in Antworten, die grandios unterschiedlich klingen. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein – für einen Besuch der CTM, traditionell ein Hotspot für die Supernerds unter den Musikconnaisseuren, die schon alle Acts kennen, ist das ohnehin Grundvoraussetzung.

Dadurch erfährt man, dass hinter der irren Wut der belgischen Postmetalband Amenra tief empfundene Melancholie steckt, dass Amenra in ihren brachialen Soundgewittern traumatische Erfahrungen verarbeiten.

Oder, wie am anderen Ende der klanglichen Skala, Perel, eine Berliner DJ, die discoiden House produziert, dessen überkandidelte Fröhlichkeit in Wirklichkeit als Reaktion auf den täglichen Horror der politischen Großwetterlage zu verstehen ist. Und welche Rolle dabei die Renaissance von EBM, Electronic Body Music, spielt, wie sie etwa der Trancesound der rumänischen Künstlerin Borusiade mit militärisch-anarchischer Energie vorantreibt, und wie prophetisch im Gegensatz dazu die Synthiepop-Pioniere DAF klingen, die ebenfalls live spielen werden.

Geradezu programmatisch verkörpert die Idee des gleichberechtigten Chors der Stimmen das mittlerweile auf zehn Personen angewachsenen Holly Herndon Ensemble, das sich qua Selbstverständnis intensiv mit menschlicher Stimme und deren digitalen Substituten beschäftigt.

Am 3. Februar wird das US-Ensemble einen Abend gestalten, bei dem sich die einzelnen Teilnehmer erst solo vorstellen, dann gemeinsam spielen, fast wie in einer Revue, die sich womöglich als Sinnbild für das gesamte CTM-Festival eignet. Tumult mag Angst und Wut abgelöst haben, die Liebe aber, die ist geblieben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.