Aufstieg und Fall eines Youtubers: Asoziale Medien
Logan Paul war jung und brauchte das Geld, also gründete er einen Youtube-Kanal. Es lief gut für ihn – bis er einen Selbstmörder filmte.
Und die Gottheit sprach: Logan Paul! Für deine Sünden gegen meine – vollkommen vagen, aber darum auch nach Gutdünken durchgesetzten – Community Standards erlege ich dir folgende Strafen auf. Ich nehme dir die Teilnahme an YouTube Red und „Foursome“. Die Sache mit der Filmhauptrolle kannst du vergessen. Aber vor allem bist du aus dem Reich von „Google Preferred“ verbannt.
Für alle, die gerade erst eingeschaltet haben, muss erklärt werden, worum es geht. Die Gottheit ist YouTube – der Kanal, in dem man lebt oder stirbt, wenn man den Rest der Welt mit seinen Videos beglücken will. YouTube ist kein ungnädiger Gott. Normalerweise lässt er seine Gemeinschaft tun, was sie will – auch IS-Enthauptungs-Videos oder Alt-Right-Propaganda veröffentlichen. Die Gottheit wird nur ärgerlich, wenn sich jemand laut aufregt. Und laut aufgeregt haben sich im Fall von Logan Paul zu viele.
Der 22-jährige Amerikaner ist einer der erfolgreichsten „Influencer“ auf YouTube, dessen Kanal mehr als 15 Millionen Follower abonniert haben. Dann fuhr er nach Japan, um dort einmal mehr zu tun, was ihm solche Abonnentenzahlen beschert haben – nämlich vor laufender Kamera Scheiße zu bauen. Zu den „Pranks“, die er in Tokio zur Aufführung brachte, gehörte unter anderem ein Besuch in einem Tempel, in dem er mit Weihwasser herumplanschte.
Eine Runde Pokémon im „Real Life“, bei dem er Autos und Fahrrädern die Fahrt verstellte. Nichts davon erzürnte YouTube. Bis er in einem Wäldchen nahe Tokio einen erhängten Selbstmörder filmte. Nach einem kollektiven Aufschrei des Entsetzens wurde das Video gelöscht – eine Entschuldigung sahen am Tag der Veröffentlichung 24 Millionen Menschen. Seither ist Logan Paul verstummt.
Aus asozialem Verhalten Profit machen
Ende letzter Woche reagierte YouTube nach einer Kunstpause: Logan Paul verlor seine Rolle in der Webserie „Foursome“ und seine Show bei dem YouTube-Kanal Red. Die Fortsetzung des Films „The Thinning“ wurde auf Eis gelegt. Und vor allem verlor er seinen „Google Preferred“-Status, der in dem intransparenten YouTube-Entlohnungsmechanismus mehr Teilhabe an den Werbeeinnahmen sicher stellt als die eines normalen „Creator“. Das ist ungefähr so, als würde man einem hochdekorierten General die Rangabzeichen von der Uniform reißen und ihm dann noch die Kreditkarte abnehmen.
Logan Paul, sein Bruder Jake, ihre deutschen Nachmacher wie Apored haben aus asozialem Verhalten ein kommerzielles Modell gemacht, mit dem sie viel Geld verdienen. Neben den Werbeeinnahmen von YouTube verdient er mit einer eigenen Kleidermarke und Auftritten, bei denen ihm zum Teil Tausende Teenager zujubeln. In seinen Videos prahlt Logan Paul mit seiner Villa, seinen Autos, seiner Rolex. In einem der deprimierendsten Videos bei YouTube muss man mitansehen, wie er seine Mutter zu Weihnachten mit 10.000 Dollar in kleinen Scheinen überhäuft.
Letztlich operieren Prankster wie Logan Paul so wie die Unternehmen des Plattformkapitalismus. So wie Amazon, das in Deutschland keine Steuern bezahlt, aber seine Transporter trotzdem den mit öffentlichen Mitteln gebauten Bürgersteig zuparken lässt. So wie Facebook und Twitter Hassbotschaften jeder Couleur eine Plattform boten, bis sie durch politischen Druck dazu gezwungen wurden, ihre Inhalte zu moderieren. So wie Airbnb eine unregulierte Schattenwirtschaft von privaten Vermietern geschaffen hat, die Mieten in die Höhe treibt und ganze Großstadtviertel dem Billigheimer-Tourismus ausliefert.
Diese Art der „disruption“ regulierter Geschäftsmodelle findet ihr Gegenstück in dem unverschämten und gelegentlich gesetzeswidrigen Verhalten von YouTubern wie Logan Paul, die aus ihren Grenzverletzungen Profit schlagen. Paul ist – mit seiner bescheuerten Föhnwelle vor dem Selfie-Stick – das Gesicht unser algorithmengesteuerten Gegenwart, in der Clicks und Likes das Dunkelste unserer Kultur basisdemokratisch in die Sichtbarkeit befördern.
Billigst produzierendes Medienprekariat
Trottel wie Logan Paul kommen und gehen. Hoffentlich. Er wäre nicht der erste YouTuber, der sich durch einen dramatischen Fauxpas ins Nirwana katapultiert. Irgendwann rächt sich dann eben doch, dass solche Leute – im Grunde ein billigst produzierendes Medienprekariat – ohne Redaktion ungebremst vor sich hin wursteln. Aber die Maschinerie, die Trottel wie Logan Paul hervorbringt, wird weiter funktionieren.
Das ganze Debakel ist keine bedauerliche Fehlleistung der Sozialen Medien à la YouTube, sondern ihre logische Konsequenz. YouTube wurde von einigen der Besten und Schlausten ihrer Generation genau zu dem Zweck entwickelt, immer noch mehr Clicks und Views zu generieren. So ist eine Dynamik der gegenseitigen Unterbietung entstanden, die irgendwann damit endet, dass man die Leiche eines japanischen Selbstmörders filmt.
YouTube hat Logan Paul einen Teil seiner Einnahmen – aber nicht seinen Kanal – weggenommen. Und promoted die Videos vom nächsten Influencer-Trottel als „empfohlen“. Bis der es wieder zu weit treibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste