Aufstand der Anwälte in Pakistan: Der schwarze Block trägt Chanel
Vor der Wahl kocht bei den Anwälten die Anti-Musharraf-Stimmung hoch. Viele von ihnen hat der Präsident verhaften lassen. Nun schrecken auch sie nicht mehr vor Gewalt zurück.
LAHORE taz Geschrei erfüllt den Versammlungsraum der Anwaltskammer von Lahore. Mehr als hundert Männer in schwarzen Anzügen, alle in den Dreißigern und Vierzigern, drängen sich in dem Saal, einige sind auf Stühle geklettert. Sie recken ihre Fäuste in die Höhe, schreien, klatschen und skandieren Sprechchöre.
Die Wahl: In Pakistan sind am Montag 80 Millionen Menschen zur Wahl des Parlaments und der vier Provinzversammlungen aufgerufen. Zu vergeben sind 272 Parlamentssitze, 70 weitere sind für Nichtmuslime und Frauen reserviert, sie werden je nach Stimmanteil auf die Parteien verteilt.
Die Anwärter: Die Pakistanische Volkspartei PPP dürfte stärkste Kraft im Parlament werden, aber wohl keine eigene Mehrheit bekommen. Als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten gilt der PPP-Vizechef und langjährige Bhutto-Getreue Makhdoom Amin Fahim. Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari als De-facto-Parteichef hält sich weiter alle Bündnisoptionen offen. Am gefährlichsten für den amtierenden Präsidenten Musharraf wäre ein Bündnis der beiden größten Oppositionsparteien: der PPP und der Nawaz-Liga (PML-N) des 1999 von Musharraf gestürzten Nawaz Sharif.
Der Verdacht: Im Zusammenhang mit dem Mord an Benazir Bhutto wollen die Behörden einen Ermittlungserfolg erzielt haben. Zwei Verdächtige hätten am Mittwoch gestanden, dem Selbstmordattentäter geholfen zu haben, sagte ein Sprecher des pakistanischen Innenministeriums. Außerdem seien zwei weitere Männer an der Tat beteiligt gewesen. Nach ihnen werde noch gefahndet. Die BBC gab meldete gestern, dass nur 16 Prozent der Befragten diese Version glauben.
Die Nerven liegen blank. Zwei Tagen zuvor hat das Regime wieder mal auf eine Demonstration von AnwältInnen in Pakistans Hauptstadt Islamabad einprügeln lassen, Wasserwerfer waren aufgefahren, Tränengas wurde versprüht, dutzende Juristen sind verletzt. Bilder von gut gekleideten Männern und Frauen gingen um die Welt, die mit Pflastersteinen nach Polizisten werfen und versuchen, Absperrungen zu durchbrechen. Pakistans schwarzer Block trägt Chanel und Armani.
Die Versammlung der Anwälte in dem viktorianischen Backsteingebäude des Obersten Gerichts im Zentrum von Lahore ist die Keimzelle des Widerstands gegen den umstrittenen Präsidenten Pervez Musharraf. Hier, wo die Porträts des Staatsgründers Muhammad Ali Jinnah und des Nationaldichters Muhammad Iqbal an der Wand hängen, haben vor einem Jahr die Proteste ihren Anfang genommen.
Vor die Menge tritt eine Mittfünfzigerin mit modischer Kurzhaarfrisur. Firdous Butt, die Vorsitzende der Anwaltskammer des Obersten Gerichts von Lahore, erklärt, der Verband der Anwälte habe zu einem Streik bis zu den Wahlen am Montag aufgerufen. Ihre Kollegen quittieren die Neuigkeit mit lautem Applaus und zustimmendem Geschrei. Dann skandieren sie "Boykottiert das Oberste Gericht!" und ziehen ab, nach draußen.
Im Hof des Gerichtsgebäudes werden sie schon erwartet. Ein schwarzer Toyota-Geländewagen fährt vor, Polizisten bauen sich davor auf, ein Mann um die fünfzig steigt aus. Die Menge tobt. "Verräter", brüllen die Männer, "Bastard! Du hast uns verkauft!" Die Polizisten heben ihre Schlagstöcke, sie schreien die Anwälte an, sie sollen stehenbleiben. Der Mann aus dem Auto strebt eilig ins Gebäude, einer der Anwälte wirft ihm seinen Schuh hinterher. "Der war bis vor zwei Tagen der Vorsitzende unserer Anwaltskammer", erklärt ein Mann um die sechzig, dann habe ihn die Regierung gekauft und zum Richter ernannt. "Deswegen sind wir alle rasend vor Wut", fügt er hinzu und fährt sich mit der Hand über den akribisch gezogenen grauen Scheitel.
Eine junge Anwältin, lange schwarze Haare, edles schwarzes Kostüm, schiebt hinterher: "In den Augen der Regierung sind wir die verdächtigsten Personen." Sie lacht und deutet auf die Polizisten, die ausgerüstet mit Helmen, Schutzschilden und Schlagstöcken den Weg zum Saal des Obersten Richters von Lahore versperren. Niemand darf diesen Teil des Gebäudes betreten. Aus gutem Grund: Der Richter ist ein Musharraf-Mann. Er gehört zu den 60 Prozent Prozent ranghöheren pakistanischen Richtern, die während des Notstands im November von der Regierung auf ihre Posten gehoben wurden. Alle Juristen, die zuvor durch Kritik aufgefallen waren, mussten damals gehen.
"Das ist ein absoluter Tabubruch", sagt die junge Anwältin. Früher sei es ausgeschlossen gewesen, dass Polizisten das Gelände des Gerichts betreten, "jetzt ist das hier wie in einem Kriegsgebiet." Anfangs seien sogar Soldaten aufmarschiert. "Die Regierung hat versucht, die Proteste gewaltsam zu brechen", erklärt sie. "Die Polizei ist gekommen, hat die Tür zur Bibliothek aufgebrochen und den Computerraum verwüstet. Ein Anwalt lag auf dem Boden und fünf Polizisten haben auf ihn eingeschlagen. Etliche von uns wurden festgenommen."
In einem Seitenflügel des Gebäudes sitzt Ijaz Feroze in seinem kleinen Büro. Der Mann Anfang sechzig trägt eine weiße Stoffkappe, auf seinen Knien liegt aufgeschlagen der Koran, Feroze rezitiert daraus. Im Lichtkegel seiner Schreibtischlampe stapeln sich Gesetzbücher und Prozessakten. Feroze beendet in Ruhe die Rezitation und nimmt seine Kappe ab, ein grauer Haarkranz wird sichtbar. "Wir protestieren gegen die Illegalität dieses sogenannten Präsidenten Pervez Musharraf", sagt er. Der sei verantwortlich für in Pakistan nie gekannte Zustände, er deutet auf ein zersplittertes Bürofenster. "Das ist passiert, weil sich hier ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hat." Feroze saß in seinem Büro, als die Detonation das Gebäude ins Wanken brachte. "Daran", ist er überzeugt, "ist nur Musharraf schuld mit seiner USA-freundlichen Politik." Der Blick aus dem Fenster geht auf eine Kreuzung. 22 Menschen sind dort gestorben. Der Attentäter war direkt auf die vor dem Gericht postierten Polizisten zugesteuert, die protestierende Anwälte aufhalten sollten. Dann hatte er den Sprengsatz gezündet. Transparente und Kränze erinnern an die toten Kollegen.
Feroze ist gern Jurist. Er verbringt viel Zeit in seinem Büro und studiert Akten, die in einer komplizierten Mischung aus angelsächsischem und islamischem Recht verfasst sind. Aber nun ist Musharraf mit der Brutalität eines Armeechefs in seine akademische Welt eingebrochen. Schlimmer noch: Er hat das Recht missachtet. Seitdem treffen sich die grauen Eminenzen von Lahores Justiz auch in seinem Büro, um das weitere Vorgehen zu besprechen, während die Jüngeren, die Hitzköpfe, auf der Straße den Polizisten ihre Wut ins Gesicht schreien.
Das Militär und "dieser Armeemann" Musharraf hätten ihr eigenes Land erobert und regierten es ohne jegliche Berechtigung, erklärt Feroze. "Die abgesetzten Richter müssen wieder eingesetzt werden und alle Vertreter der Justiz, die unter Hausarrest stehen, freigelassen werden."
Was er damit meint, kann man in einer Gasse in Lahores besserem Viertel Zamen Park beobachten. Vor einem Haus sitzen Polizisten auf Plastikstühlen und lesen Zeitung. Hier hält die Regierung seit dem 3. November Aitaz Ahsan gefangen. Der politische Weggefährte der ermordeten Benazir Bhutto ist der Vorsitzende der Anwaltskammer des Obersten Gerichts des Landes und einer der Köpfe der Anwaltsbewegung.
In einem Nebengebäude des Anwesens sitzen seine Mitarbeiter und führen die Kanzlei weiter. "Wir haben Herrn Ahsan die ganze Zeit über nicht gesehen", erklärt Marium Khalid. Die Anwältin ist Ahsans Assistentin. Wenn sie über ihren Chef spricht, schaut sie auf eine weiße Tür, die die Kanzlei mit dem Wohnhaus verbindet. "Unsere Arbeit steht still, wir boykottieren den Obersten Richter, den Musharraf eingesetzt hat, und bearbeiten stattdessen die Frage, ob es legitim war von ihm, sich zum Präsidenten wählen zu lassen."
Ahsan wurde zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" für neunzig Tage festgesetzt, erklärt Khalid. Doch Gründe für den Hausarrest habe die Regierung bis heute nicht genannt. "Das heißt nur, dass die eine wahnsinnige Angst vor ihm haben müssen." Vor zwei Wochen waren die neunzig Tage verstrichen, Ahsan kam frei - und wurde zwei Tage später erneut festgesetzt. Die weiße Tür bleibt zu.
Wenige Tage später versammeln sich wie jeden Donnerstag die Anwälte im Hof des Gerichtsgebäudes. Wie ein Geist wacht Benazir Bhutto auf einem großen Plakat über der Veranstaltung. Die Juristen diskutieren. Den "Verräter", der den Richterposten von der Regierung angenommen hatte, hätten sie sich vor zwei Tagen vorgeknöpft, erzählt einer der Männer, eine Gruppe Anwälte sei in sein Büro eingedrungen und habe ihn verprügelt. Die Umstehenden lachen zufrieden. Friedfertig ist die Bewegung der regimekritischen Anwälte nicht.
Draußen warten schon 200 Juristen von anderen Anwaltskammern, daneben schwenken Anhänger der Partei des Oppositionspolitikers Imran Khan ihre Flaggen. Der Protestzug setzt sich in Bewegung. Männer in schwarzen Anzügen zerstören am Straßenrand alle Plakate der PML-Q, der Partei der Musharraf-Unterstützer. Die Polizisten in Kampfanzügen, die den Protestmarsch begleiten, halten sich zurück. Bilder von blutüberströmten Anwälten müssen unbedingt vermieden werden. Vor der Regionalversammlung der Provinz Punjab stoppt der Protestzug, die Demonstranten schwenken Flaggen und skandieren Sprechchöre.
"Was rufen die da?", fragt ein Mann in Zivil, "Go, Musharraf, go? Die machen nur Probleme", sagt er und erzählt, er arbeite für "einen der Sicherheitsdienste" und beobachte, was "diese Anwälte und Richter, die das Land erpressen", da täten. Er werde notieren, wer von denen etwas gegen die Regierung sagt, und das weiterleiten. Denn "86 Prozent der Pakistaner" seien Anhänger von Präsident Musharraf, ist er sich sicher. Alle aktuellen Umfragen strafen ihn Lügen.
Eine Viertelstunde später rollen die Protestierenden ihre Flaggen ein und machen sich auf den Rückweg zum Gerichtsgebäude. Die Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter in Zivil ziehen sich zurück. Für heute ist die Kundgebung vorbei. "Wir werden weitermachen, bis Musharraf weg ist", sagt eine junge Anwältin. "Er darf einfach nicht an der Macht bleiben."
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