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Aufmüpfige SPD in BautzenNeue kleine Ostpolitik

Unterstützung der Syrienpolitik der Kanzlerin und Juniordasein in der Koalition: Die Parteilinie kommt nicht bei allen in der SPD gut an.

Gemeinsam gegen die CDU: Der SPD-Ortschef Roland Fleischer (l.) und der Oberbürgermeister Alexander Ahrens. Foto: Thomas Gerlach

Bautzen taz | Der vergoldete Schattenstab steckt nutzlos im Mauerwerk des Rathauses. Er wirft keinen Strich auf die Sonnenuhr, der Himmel über Bautzen ist verhangen, ein kalter Wind fegt über den Platz. Den Mantelkragen hochgeschlagen, betritt Roland Fleischer das kleine Café in der Korngasse. Vor vielen Jahren kam er aus Freiburg hierher, an das raue Klima hat er sich gewöhnt. „Wenn der Wind nicht weiß wohin, dann weht er über Budissin“, deklamiert er und lacht. Fast schon ein Bautzener, nur sein Zungenschlag erinnert an den Schwaben. Budissin – so hieß die sächsische Stadt bis vor 150 Jahren offiziell.

Mit seinem silbrigen, zurückgekämmten Haar und dem geraden, forschenden Blick scheint Roland Fleischer einem alten Agentenfilm entsprungen. Aber er ist kein Wiedergänger von Cary Grant, sondern pensionierter Polizeibeamter, und die Affäre, die ihn umtreibt, heißt SPD. Und das seit Jahren.

Wann genau er in die Partei eingetreten ist, weiß der 62-Jährige nicht mehr. „Ende der achtziger Jahre“, vermutet er. Fleischer ist der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. Mag der eisige Wind vor der Tür aus Böhmen wehen, politisch kommen die Böen derzeit aus Berlin.

„Ich war für den Einsatz im Kosovo“, macht Fleischer gleich zu Beginn klar. Denke keiner, dass er ein radikaler Pazifist wäre. Im März 1999 zog die Bundeswehr erstmals in den Krieg. Ihre Tornados trugen keine hochauflösenden Kameras unter den Tragflächen wie jetzt im Nahen Osten, sondern Bomben. Deutsche Soldaten griffen serbische Stellungen an, gemeinsam mit Nato-Verbündeten, doch ohne UN-Mandat. Ein umstrittener Krieg. Aber Fleischer hat Kanzler Schröder unterstützt. Warum? „Es gab ethnische Säuberungen. Und das hat dann aufgehört.“

Das Durchlavieren ist uns nie gedankt worden

Roland Fleischer, SPD Bautzen

Nicht ohne die UNO

Aber jetzt? Wie kann man Soldaten in den Krieg schicken, wenn es keinen glaubwürdigen Plan gibt? „Und Deutschland zieht in den Krieg!“ Und die SPD macht mit. Fleischer schüttelt den Kopf. „Bei all dem Schmerzlichen, vor allem was in Frankreich passiert ist“, er stockt, „wir sehen keinen Sinn darin.“

Ende November haben sich daher die Bautzener SPD-Genossen versammelt und einen offenen Brief an Parteichef Sigmar Gabriel und den Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann aufgesetzt. Der Terroranschlag in Paris lag erst zwei Wochen zurück. Natürlich müsse man den IS bekämpfen, bekräftigten sie. „Die Idee, den Terrorismus mit Bombardierungen und Kriegen auszuschalten, ist jedoch seit 14 Jahren ununterbrochen gescheitert.“

Im Gegenteil – die Terrorgefahr sei 2003 durch den Irakkrieg erheblich gestiegen, der IS erst entstanden. „Deshalb lehnen wir eine Beteiligung unseres Landes […] ohne ein Mandat der UNO ab.“ Zudem, so beschieden sie Wirtschaftsminister Gabriel, sollten Waffengeschäfte konsequent eingeschränkt werden. „Wir erwarten von der SPD-Bundestagsfraktion, dass sie sich in diesem Sinne auch […] gegenüber den Koalitionspartnern eindeutig positioniert.“

Apropos 2003, das Jahr ragt wie ein Mahnmal aus der jüngsten Geschichte. George Bush junior wollte in den Irak ziehen und Gerhard Schröder stand auf dem Marktplatz von Goslar und rief: Nein! „Das war super!“ Roland Fleischer ist für einen Augenblick beseelt.

„Ich war gegen die Große Koalition“, bekräftigt Fleischer. Bei der SPD-Mitgliederbefragung 2013 hat er mit Nein votiert. Aber der Mindestlohn – das Herzensanliegen der SPD? Und die Rente mit 63? „Das verblasst.“ Fleischer winkt ab. „Wenn man sich so durchlavieren muss – das ist uns nie gedankt worden. So verschwinden wir in der Belanglosigkeit.“ Und jetzt auch noch Krieg.

Der parteilose Bürgermeister

„Da ist doch Alexander?!“ Fleischer ist aufgesprungen und beobachtet einen hochaufgeschossenen Mann, der den Hauptmarkt quert. Schon ist Roland Fleischer hinaus. Augenblicke später kommt er mit dem Herrn zurück. „Alexander Ahrens, seit August neuer Oberbürgermeister in Bautzen!“ Fleischers Augen strahlen. In der Bautzener Diaspora hat die SPD gezeigt, wie man die CDU vom Thron stößt, den sie 25 Jahre eingenommen hat. Ein Beispiel für Sachsen und für den Bund? Ein Ausweg aus den großen Koalitionen in Dresden und in Berlin? Für Roland Fleischer keine Frage.

Ahrens, 50 Jahre alt, drahtiger Typ, angegrauter Bart, verströmt etwas Weltläufiges, ja Cooles. So einer kommt nicht aus dem parteieigenen Treibhaus, so einer ist wild gewachsen. Es ist, als hätten die Bautzener einen Freak gewählt. „Westberliner, Rechtsanwalt, Immobilienbesitz!“ Flapsig zählt Ahrens seine Defekte auf. Hinzu kommt, hier im Hinterland von Pegida, ein außergewöhnliches Bekenntnis. „Mit mir wird es keine Politik gegen Flüchtlinge geben, habe ich angekündigt.“

Bautzen gilt als rechts. Vor einem Jahr haben Neonazis gegen eine Flüchtlingsunterkunft demonstriert. Und bei der Landtagswahl 2014 stimmten mehr als 25 Prozent für AfD und NPD. Trotzdem ist Ahrens mit fast 13 Prozent Vorsprung vor dem CDU-Kontrahenten ins Rathaus eingezogen. Und mit kräftiger Unterstützung des SPD-Ortsvereins. Es muss wie ein „Yes, we can!“-Moment gewesen sein. Und die SPD hat getanzt – obwohl Ahrens gar kein SPD-Parteibuch hat. Er war der parteilose Kandidat von Sozialdemokraten, Linkspartei und einem Bautzener Bürgerbündnis.

Für Roland Fleischer kein Makel, im Gegenteil. Ein breites linkes Bündnis – das ist die Zukunft. In Thüringen, wo Bodo Ramelow eine Koalition von Linkspartei, SPD und Grünen anführt, ist sie schon angebrochen. Nachher spazieren die beiden über krumme Gassen. Ahrens die Hände verschränkt auf dem Rücken, Fleischer hält sie im Mantel vergraben – ein Bild wie ein Statement: zwei Macher im Gespräch, eine neue kleine Ostpolitik hinter den Bergen in der Oberlausitz. Es geht um Parkplätze, autofreie Straßen, Cafés.

Tillich soll verärgert sein

Solidarität, Freiheit, Gerechtigkeit – so hat Fleischer sein Credo beschrieben, das jetzt in Kommunalpolitik überführt werden soll. Oben auf dem First von St. Petri hocken stumm die Krähen, als wären sie Spione aus Dresden. Es heißt, Ministerpräsident Tillich von der CDU soll überaus verärgert gewesen sein, als er vom Sieg der Linken in Bautzen erfuhr.

Draußen vor dem Schülertor gilt noch die alte Zeit. „Wir warten auf Antwort“, sagt Hubertus Schwerk. Für einen Moment wird es still im Versammlungsraum der SPD. Ein paar Genossen sind am Abend gekommen. Eine mächtige Thermoskanne ragt wie ein Leuchtturm über den Tisch. Doppelkekse liegen als Stärkung bereit. Nein, Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann haben sich nicht gemeldet. Enttäuscht? „Ich bin zu lange dabei“, wiegelt Schwerk ab. Der Architekt, ein Mann von bald achtzig Jahren mit großer Brille, ist seit 46 Jahren SPD-Genosse.

„Ich hätte es erwartet“, macht Roland Fleischer klar. Auch ein kleiner Ortsverein ist schließlich „ein Teil der Stimme des Volkes“, gibt er zu bedenken. „Vielleicht fehlt uns ja der Hintergrund für die Entscheidung“, gräbt Fleischer nach Erklärung. „Für die SPD war es immer wichtig, eine klare Haltung einzunehmen“, schaltet sich Schwerk ein. Unehrlich und wankelmütig sei die SPD geworden. Die Quittung: „Jetzt sind wir bei 25 Prozent.“ Fleischer fährt herum. „23 Prozent!“ Der Ortsvorsitzende kann gnadenlos sein.

Schwerk weist mit der Rechten zur Wand. „Der da, der versucht auf dem Verhandlungsweg etwas zu erreichen!“ „Wir für Frank“ ruft es hoffnungsfroh von dem Plakat, darüber ein strahlendes Gesicht des Kanzlerkandidaten von 2009 und eine Erinnerung: „Für den OV Bautzen beste Grüße, Frank-Walter Steinmeier“. Steinmeier? Bloß keine Heiligen erschaffen, ätzt Fleischer. „Wir stecken überall mit drin – Waffengeschäfte, freundliche Besuche bei den Saudis. Das ist die Unehrlichkeit!“

Parteimitglied Nummer 46

Hubertus Schwerk seufzt. 1970 sei er wegen Willy Brandt in die SPD eingetreten. Links neben Steinmeier hängt ein Brandt-Porträt wie eine Ikone. Die SPD war damals Friedenspartei, ihr Vorsitzender 1971 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Wandel durch Annäherung hieß das Versprechen, nicht Wandel durch Bomben. Ein „Berufsprotestierer“ sei er damals gewesen.

Immerhin, 28 Bundestagsabgeordnete der SPD haben sich gegen den Einsatz ausgesprochen, darunter der SPD-Mann Thomas Jurk aus der Oberlausitz. Die Mehrheit aber hat zugestimmt. Wohin das führt, hat Roland Fleischer heute der Sächsischen Zeitung entnommen. Die SPD zählt in Sachsen 4.400 Mitglieder, meldet das Blatt. Die Bereitschaft, einer Partei beizutreten, sinke. Auch weil sich die Positionen der großen Parteien immer stärker ähneln, analysiert ein Politologe. Aktuelle Ausnahmen: Grüne und AfD.

„Es gibt jedes Jahr einen Grund, aus der SPD auszutreten.“ Es ist spät, als der pensionierte Lehrer Günther Hack das Wort ergreift. Seit 50 Jahren ist er in der Partei, drei SPD-Kanzler, viele Oppositionsjahre und x Parteivorsitzende hat er erlebt. Wenn du mit 50 Prozent des Parteiprogramms einverstanden bist, dann kannst du eintreten, habe ihm ein kluger Kopf mal gesteckt. Es klingt nachsichtig – das Happy End hält Hack trotzdem noch offen. „Wenn doch was anderes, dann nur die Grünen!“ Er lacht.

Die Stimmung ist gelöst. Ein guter Moment für eine gute Nachricht. „Wir haben ein neues Mitglied!“, verkündet Kassierer Hubertus Schwerk. Raunen. Online habe sich der Neue gemeldet. Vielleicht hat ihn der offene Brief des Ortsvereins überzeugt? Die Freude ist jedenfalls groß. Der Mann wird Parteimitglied Nummer 46.

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