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Aufgeben ist keine OptionWer hat noch Angst vor der Zukunft?

„Wir erleben, wie die Faschisten an die Regierungsmacht kommen“, schreibt Mely Kiyak. Was folgt daraus für unser Schreiben, für unser Engagement?

Das Gute an Angst ist, dass sie wie ein Motor funktioniert. Sie zwingt mich, in Bewegung zu bleiben Foto: Ikon Images/imago

S eit einiger Zeit stelle ich meinem Freund eine Frage, auf die er keine Antwort weiß: Was sollen wir nur tun? Ich stelle sie ihm in unregelmäßigen Abständen, meistens aber, wenn nach einem Deutschlandtrend im ganzen Land wieder debattiert wird, wie man die AfD klein halten kann, immer dann also, wenn die Angst vor der Zukunft bei mir so groß wird, dass ich nachts schlecht schlafe oder ich mir den Kopf darüber zerbreche, an welchen Orten der Welt ich noch leben könnte, wenn Deutschland in braunem Sumpf untergeht.

Meine Familie träumte einst von einem freien Leben, einem in Frieden und Sicherheit – und in Wohlstand. Dass ich in Deutschland aufwachsen durfte und nicht dazu verdammt war, in meinem Geburtsland Transnistrien groß zu werden, in einem korrupten Mafiastaat, der seinen Geheimdienst bis heute KGB nennt, habe ich nie als selbstverständlich wahrgenommen. Doch die Wünsche meiner Familie, ihre Wünsche von damals, sind heute bedroht.

Angst kenne ich seit Kindheitstagen, sie klebt an mir wie ein Schatten. Irgendwann hat die Angst in der Gestalt von Einbrechern ein Motiv gefunden und sich in meine Träume geschlichen. Wann immer ich mich heute unsicher fühle, bedrohen mich die Einbrecher nachts, versuchen in meine sichere Wohnung einzudringen. Was können wir tun, gegen all die AfD-Einbrecher, die ein Leben in Freiheit und die Demokratie bedrohen? Mein Freund antwortet meistens genauso vage, wie ich frage: Ich weiß es doch auch nicht.

„Wir erleben, wie die Faschisten an die Regierungsmacht kommen. Maximal zwei Bundestagswahlen, dann haben sie die Kontrolle“, schreibt Schriftstellerin Mely Kiyak in ihrer neusten Kolumne für das Gorkitheater in Berlin. Sie leitet für sich daraus ab: „Ich habe dazu alles, wirklich alles, geschrieben. Mir fehlt schlicht die Lebenszeit, um wieder und wieder zu wiederholen, was ich vor 15 Jahren sah. Ich kann auch die Notwendigkeit nicht erkennen.“

Beispiel Nordhausen

Kiyaks Kolumne wird in den sozialen Netzwerken gefeiert. Für mich klingt ihr Text so nach Aufgeben, nach Resignation, nach Eitelkeit. Jeder Schreibende kennt schließlich das Gefühl, alles schon hundert Mal geschrieben zu haben. Deshalb gleich damit aufhören? Wir Schreibende nehmen uns zu wichtig. Wer sind wir, aufzugeben? Was riskieren wir schon mit unseren Schreibtisch-Texten?

Die Angst zwingt mich, in Bewegung zu bleiben

Ich möchte an dieser Stelle an einen positiven Moment erinnern: Dass vergangenes Wochenende in Nordhausen in Thüringen Kai Buchmann zum Oberbürgermeister gewählt wurde, also nicht wie zuvor von vielen befürchtet der AfD-Kandidat und Geschichtsrevisionist Jörg Prophet, sollte uns alle motivieren. Engagierte aus der Zivilgesellschaft hatten sich zusammengeschlossen, für Buchmann mobilisiert. Für diese Menschen stand real etwas auf dem Spiel. Viel mehr noch als für alle Ko­lum­nis­t:in­nen aus Berlin, mich inklusive! Es macht einen Unterschied, ob man sich entschieden gegen Menschenfeinde und deren Partei des Hasses positioniert. Oder ob man ein düsteres Zukunftsszenario malt, nur um sich dann zu verabschieden.

Erst letztens träumte ich von den Straßen meiner Kindheit, wie ich die Orte aufsuchte, an denen ich als Sechs- oder Siebenjährige meistens alleine Zeit verbrachte. In meinem Traum war ich erwachsen, was mich zurück in die Vergangenheit trieb, waren wahrscheinlich nostalgische Gefühle, die Sehnsucht nach etwas Vertrautem. Doch in meinem Traum erinnerte nichts an damals. Ich fand verlassene Häuser vor, verbrannte Erde und keine Menschenseele außer mir.

Das Gute an der Angst ist, dass sie wie ein Motor funktioniert. Sie zwingt mich, in Bewegung zu bleiben. Ich kann nicht anders, als weitermachen gegen die Zerstörung, weiter denken, weiter streiten. Aufgeben sollte für niemanden, der seine Freiheit liebt, eine Option sein.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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10 Kommentare

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  • Nordhausen war der Wendepunkt



    (Ich hoffe es so sehr).

    Wenn die Demokraten in der Bevölkerung sich vom Sofa erheben und wählen gehen, dann, ja dann, und nur dann, bleibt Deutschland weiterhin eine Demokratie.

  • Tja, Aufgeben ist keine Option -sollte es nicht sein. Doch mutlos werde ich schon. Wenn man Leute wie Merz anhören muss und das dann auch noch von vielen, vielen "Normalbürgern" beklatscht wird. Es sind nicht die krass Rechten alleine, es sind in viel größerem Ausmaß alle, die sich selbst als "Mitte" sehen. Das ist so niederschmetternd.

  • Ich tue mich schwer mit diesem extrem Pessimismus. In Italien ist jetzt meloni am drücker. Das Land ist auch nicht untergegangenen. Wir leben nicht in den 1920er Jahren.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Sybille Bergi:

      Genauere Betrachtung hilft immer. MOMENTAN ist Meloni mit der Gleichschaltung der Presse beschäftigt. Paukenschlaege - - wie Melonis Ablehnung des EU Asylkompromisses - - werden folgen.

      Mangels Aufarbeitung der Geschichte wird der Aufstieg der Faschisten und des Dutsche in Italien bis 1938 als groesstenteils unproblematisch empfunden.

      Versuche Melonis Faschismus klein zu reden



      liegen daher voll im Trend die auch in Italien brutale Geschichte des Faschismus unbedingt wiederholen zu wollen.

      • @06438 (Profil gelöscht):

        Genau diese Hysterie meine ich. Wo wird denn die Presse gleich geschaltet? Laut Rangliste der Pressefreiheit hat sich die Lage die letzten Jahre verbessert ( de.m.wikipedia.org...er_Pressefreiheit).



        Die hauptgefahr geht wohl von der mafia aus.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Liebe Frau Kiyak, natürlich habe ich seit langem Ihre Kolumne in der "Zeit" vermisst - leider erfahre ich erst jetzt warum Ihr Strom an bewegenden, mitreißenden und genauso traurigen wie humorvollen Worten offenbar dabei ist zuversiegen. Das haben grosse bedeutende Ströme so ansich das sie manchmal plötzlich versiegen - sie tauchen aber immer - meistens unverhofft, wieder auf.



    Das hoffe ich sehr und wuensche es Ihnen - zusammen mit einem Blumenmeer wohlriechender wunderschöner Tulpen vor Ihrer Tür.

    Mit den besten Wünschen zur Genesung aber auch weit darüber hinaus - - von jemandem der sich freut wenn Sie wieder auftauchen - -

    Coriander23

  • Eigentlich und leider hat Frau Kiyak recht, warum sollten sich angesicht der derzeitigen Anfeindungen von Rechts (wobei Rechts ja jetzt scheinbar schon irgendwo innerhalb des Spektrums der Grünen beginnt) Menschen mit irgendeiner Art von Migrationshintergrund noch für das Wohl der Biodeutschen einsetzen?



    Frau Kiyak gibt den Stab weiter und nicht auf.



    Wir müssen die freiheitlich demokratische Grundordnung verteidigen, jetzt und konsequent und nein, es gibt da keine Abstufungen. Wo die Reise hingeht zeigt Ungarn, eine "illiberale Demokratie" ist diktatorisch und es ist widerlich, dass die Union keinerlei Berührungsängste mit so einem Verbrecher wie Orban hat. Wohin das führen kann dürften doch deutscher Faschismus und die DDR gezeigt haben.

  • Aufgeben sollte niemand, das ist wahr.

    Trotzdem finde ich es erschütternd zu sehen, wie sich die Linke im Hinblick auf den bevorstehenden reaktionären Umbau der Gesellschaft verhält.

    Einfach gesprochen, gar nicht.

    Sie zerlegt sich oder bekämpft andere Linke als schlimme Feinde.

    Die Bubble differenziert sich immer weiter aus, anstatt ein möglichst breites Bündnis gegen die Gefahr von rechts anzustreben.

    Das Erwachen wird dann ungemütlich bis brutal werden.

    • @Jim Hawkins:

      Ich denke wir sehen hier eine Parallele zu den 20 er Jahren wo sich Sozialdemokraten und Kommunisten auch bevorzugt selbst zerlegt haben. Sobald es auf den Straßen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Links und Rechts kommen wird, wird der unpolitische Deutsche Biedermann dann Denjenigen wählen, der für Ruhe im Vorgarten zu sorgen verspricht.



      Vermutlich haben wir noch 3-4 Legislaturperioden. Wir bereiten aber jetzt schon zur Sicherheit den Abgang vor. Wenn das Kleinbürgertum an die Macht kommt, wird es in Deutschland traditionell sehr ungemütlich.

      • 3G
        31841 (Profil gelöscht)
        @Šarru-kīnu:

        Und - wer sonst soll denn an die Macht kommen?



        "Das Kleinbürgertum" ist die demografische Mehrheit. Wen sollte es wählen, wenn nicht diejenigen, die sich am geschicktesten als seine Vertreter vorstellen?



        Schmeckt bitter.