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Auferstanden aus Ruinen

Das Weinhaus Huth am Potsdamer Platz in Berlin ist zum Sinnbild einer Baustelle geworden. Hier kämpften Mieter gegen Baulärm, Pfützen und Matsch an. Wolf Thieme hat ein Buch über das Haus geschrieben  ■ Von Kirsten Küppers

Es hing an Seilen, stand auf Stelzen, hat sich bewegt. Acht Zentimeter zurück, zwei zur Seite, sechs nach vorn. Ein bemerkenswertes Tänzchen für einen altes Haus – für die Investoren ein 70 Millionen Mark teurer Kraftakt. „Rein wirtschaftlich gesehen ein unverhältnismäßiger Aufwand, der aber dem Potsdamer Platz ein Stück Historie erhalten hat“, sagt DaimlerChrysler-Vorstand Manfred Gentz zu den Bauarbeiten am Weinhaus Huth.

Ein bisschen Patina macht sich gut zwischen den polierten Oberflächen und glatten Fluchten der neuen Architektur des Potsdamer Platzes. Ein stiller Kulturkasten mit Tradition neben den lauten Shopping-Arkaden. Nur das Weinhaus Huth und der Kaisersaal des Grand Hotel Esplanade haben am Potsdamer Platz den Zeitstürmen standgehalten. Inzwischen hat sich auch auch DaimlerChrysler für das Weinhaus erwärmen können. Am Montag verlegte der Konzern feierlich seine Repräsentanz in das renovierte Prunkstück und nicht in den vom Stararchitekten Renzo Piano entworfenen debis-Bau. Daimler empfand das Haus Anfangs noch als Klotz am Bein – die Autobauer mussten es unfreiwilligerweise zusammen mit dem Grundstück kaufen. In die geplante futuristische Stadtlandschaft wollte es in den Augen der Architekten nicht so recht hineinpassen. Über die bewegte Geschichte des Hauses hat der Journalist Wolf Thieme ein Buch geschrieben: „Das Weinhaus Huth“. Gestern wurde es veröffentlicht.

1912 erbaut, zogen Kaiserzeit, Erster- und Zweiter Weltkrieg, Zwanzigerjahre, Kriegs- und Nachkriegszeit an der Muschelkalk-Sandstein-Fassade vorüber. Über 30 Jahre stand das Haus in der West-Berliner Stadtwüste an der Mauer. Dann plötzlich in der größten Baustelle Europas: Das Haus Huth ist wie eine Trutzburg, immer mittenmang.

Für die Berliner versinnbildlicht das Weinhaus Huth mehr als alles andere die Geschichte der Großbaustelle am Potsdamer Platz. 1989 bricht mit dem Fall der Mauer unerwartet Goldgräberstimmung über den Platz herein. Milliardenschwere Investoren ringen darum, ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Im Juli 1990 billigen der Berliner Senat und der Ostberliner Magistrat gegen die Stimmen der Alternativen Liste den Grundstückskaufvertrag mit Daimler-Benz. Das Haus Huth war danach die Kulisse für ein David-gegen-Goliath-Schauspiel.

Die Bewohner des alten Hauses mit der Adresse Potsdamer Straße 5 kämpfen gegen den Weltkonzern Daimler-Benz, der in der Brache mit 4 Milliarden Mark einen Teil der neuen Mitte Berlins errichten will. Immer wieder schaffen sie es, die Pläne der Investoren mit Anzeigen und einstweiligen Verfügungen wegen des Baulärms zu blockieren. Ihre Sozialmietverträge wollen sie erst dann aufgeben, wenn Daimler für adäquate Ersatz- oder Umsetzwohnungen sorgt. Sie pochen auf ihr Mietrecht, wohlwissend, dass jede Verzögerung der Bauarbeiten den Konzern Millionen kosten kann. Die Baugruben um das Haus Huth werden mit Wasser geflutet, es gilt Seerecht. Das Haus erhebt sich wie eine Insel über 20 Meter tiefen Grundwasserteichen. Zwischen den Verhandlungsparteien tobt ein erbitterter Nervenkrieg um die Abfindungssumme. Spricht Daimler zu Anfang noch zahm beim Kaffeekränzchen vor, bricht die Konfrontation bald offen aus. Einer der damaligen Mieter erinnert sich: „Natürlich haben ein paar Mieter bei der Vorstellung, dass sie mit Hubschraubern ausgeflogen würden, wenn mal kein Durchgang mehr wäre, die Nerven verloren.“

Strom- und Wasserversorgung fallen häufig aus, zuweilen sind die Telefonleitungen tot. Die Mieter können wegen des infernalischen Lärms, zitternder Wände und nächtlicher Flutlichtanlagen nicht durchschlafen, rufen immer wieder die Polizei. Ein Bewohner erleidet einen Gehörsturz. Andere haben sich mit Fluglotsen-Ohrenschützern und Gummistiefeln gegen Krach und Schlamm gewappnet. Nur mit Spezialausweisen dürfen sie das Baugelände betreten. Ständig müssen sie sich zwischen Planierraupen, an Sandbergen vorbei und durch Pfützen watend den Weg zum Haus bahnen.

2.000 bis 2.500 Mark pro Quadratmeter hat Daimler-Benz für die Aufhebung der Mietverträge geboten. Das ergibt bei einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung schnell einen mittleren Lottogewinn. Doch manche wollen sich damit nicht abspeisen lassen. Doch nachdem im Oktober 1995 der letzte Mieter auszieht, kämpft nur noch eine Frau um ihre Rechte. 1984 ist sie aus der DDR in den Westen übergesiedelt und sofort in das Haus Huth gezogen. Sie wohnt längst in Hamburg, als sie sich jeden ihrer 67 Quadratmeter mit 8.000 Mark bezahlen lassen will. Daimler-Benz weigert sich.

Derweil wird das Haus an Stahlseilen aufgehängt. Ein zusätzliches Kellergeschoss soll gebaut werden. Im Januar 1997 fliegt die störrische Mieterin als ehemalige Stasi-Mitarbeiterin auf. Dies ändert zwar nichts an ihrem gültigen Mietvertrag und der geforderten Summe, aber die Presseberichte helfen dem Konzern, sich ein Jahr später mit der Mieterin gütlich zu einigen. Vielleicht hätte sie noch ein wenig durchhalten sollen. Wolf Thieme schreibt: „Der Rechtslage nach hätte sie am 1. Januar 1999 im Haus Huth wieder wohnen können.“ Nach 4 Jahren endlich sind die Bauarbeiten abgeschlossen. Das Weinhaus Huth gilt als Berliner Mythos.

Thieme, ehemaliger Stern-Reporter und Ex-Chefredakteur von Playboy und Feinschmecker, strickt mit seinen Anekdoten über die wechselvolle Geschichte des Gebäudes an der Legende mit. Er liefert Stoff für Vergangenheitsschwelgereien: kleinteilige Episoden und Zeitzeugenberichte, die großväterlich aneinandergereiht ein Kaleidoskop Berliner Stadthistörchen ergeben. Er schreibt über Pfirsichkompott bei der Hochzeit des Weingroßhändlers Willy Huth mit der bildhübschen Glasermeistertochter Dorothee Diede, die 1912 am Potsdamer Platz ihr Weinhaus eröffnen. Damals war der Potsdamer Platz der größte Verkehrsknotenpunkt Europas. Luxushotels und Bierpaläste standen dort und Patrioten amüsierten sich im Haus Vaterland. Fontane, die Brüder Grimm, Menzel – alle waren da. Die Zwanzigerjahre pompen und glittern mit den Comedian Harmonists und Erich Kästner vorrüber. Die Huths führen neben der Weinhandlung ein Restaurant mit 15 Mann starker Kochbrigade. Furtwängler und Sauerbruch tafeln in der Beletage. Es herrscht Hochbetrieb. Später führen SS-Offiziere hier ihre Freundinnen zum Essen aus.

In den Bombennächten des Krieges bebt das Stahlskelett des Hauses. Es hält, während alles um das Haus herum zusammenfällt. Einsam und aufrecht steht es zwischen den Trümmern. Die Risse in der Fassade zeugen vom Krieg.

Schon im Oktober 1945 öffnet Huth sein Lokal wieder, aber die glamourösen Zeiten sind passé. Der Potsdamer Platz ist nicht mehr Zentrum, sondern Randgebiet von West-Berlin, Niemandsland. 1958 schließt Willy Huth resigniert seine Schoppenstube. Er bewohnt das Haus noch bis zu seinem Tod 1967. Seine Angehörigen verkaufen es an das Bezirksamt Tiergarten. Das Haus soll abgerissen werden. Nur aus Rücksicht auf die Mieter wird der Abbruch auf unbestimmte Zeit verschoben.

Nach 40 Jahren kann im Weinhaus wieder geschlemmt werden. Auch eine Weinhandlung findet sich im Erdgeschoss. Die Risse in der Muschelkalk-Sandstein-Fassade sind ausgebessert, Reliefs und Ornamente restauriert. Während im zweiten und dritten Stock DaimlerChrysler residiert, werden im vierten Stock Werke aus der Kunstsammlung des Unternehmens ausgestellt.

Wer sich noch an die Zeiten erinnert, als neben dem Haus Huth ein Hundesportverein trainierte, dem geht es beim Anblick des aufgeschickten Weinhauses mitten in der neuen Mitte nicht selten wie der bei Thieme zitierten ehemaligen Mieterin. Sie kommt sich hier vor „wie auf dem Mond“.

Wolf Thieme „Das Weinhaus Huth am Potsdamer Platz“. Berlin Edition 1999, 328 Seiten, 38 DM

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