Aufbruchstimmung im Iran: Zwischen Flower und Power
Gay Talk über Jesus. Pflaster als Botschaft. Unsicherheit und Öffnung: Nach dem Ende der Sanktionen streben die Iraner in eine neue Zeit.
Ein Flackern ist in ihren Augen auf dem Messegelände an Stand 24 in Halle 35 im Norden von Teheran. Sie sagt, „Monshi“ sei kein korrektes Wort für das, was sie macht. Sie studiere und helfe am Stand der Firma. Ferienjob also.
Kein Monshi?
Sie: Nein. Früher ja. Aber jetzt nicht mehr.
Ihre Augen hetzen hin und her unter ihrem Kopftuch. Sie will, sie muss das aus der Welt schaffen, sei Studentin der Außenwirtschaft. Kein Monshi!
In einer der riesigen Hallen am Rand Teherans auf der Irantex & Iran Mode am Stand von Texofin reagiert sie verärgert auf die Frage, ob sie guten Gewissens in den Spiegel schauen könne als Monshi. Ob sie eine Pistole habe. Sie lächelt hilflos.
Lächelt zu viel. Verteilt Prospekte, vermittelt Termine, verkauft Schmieröl. Ist wie alle Iraner neugierig, will viel über Deutschland erfahren. Dass sie Monshi sei, hat einer erzählt, als wir den Stand aufbauten.
Monshi?
Lange Pause, seltsamer Blick, etwas leiser zwischen den Zähnen durchgesprochen beim Stemmen gegen eine wacklige Trennwand, die wir festschrauben: „Security.“
Panik in meinen Augen. Weil ich mit einem erlogenem Visum in den Iran kam. Als „Consultant“ einer Firma, die Maschinen in 268 Firmen im Iran betreut, begleite ich einen Kaufmann, der mit Ersatzteilen für Textilmaschinen handelt. Business- statt Journalistenvisum. Bin aufgesprungen. Ein Journalistenvisum hätte zu lange gebraucht, und es bestand die Gefahr, keines zu bekommen.
Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplex
Security? Geheimdienst? Der Iran hat ein autoritäres Regime, revolutionäre Garden, Religionspolizei, öffentliche Hinrichtungen, Auspeitschungen, religiösen Eifer, Schleier. Und ich: Angst.
Vorsichtig, unwissend, anfällig für Gerüchte, irren Europäer umher in dieser Farsi-Psycho-Geschichte in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte jünger als 25 Jahre ist. Auch die haben Orientierungsprobleme, jetzt, wo neue Zeiten anbrechen. Sie litten lange unter dem Embargo. Erlebten heftige Inflation. Entwickelten einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex und ein starkes Verlangen: Wir gehören auch dazu, unterschätzt uns nicht, nehmt uns ernst, wir sind mehr als Religion.
Also brodelt nun ein Mischmasch aus übertriebenem, protzigem Selbstbewusstsein und einem Minderwertigkeitskomplex. Die Iraner sind nahe an dem, was meiner Definition von Schizophrenie entspricht. Haben bei allem Optimismus Angst und bei aller Angst Vertrauen zu Einzelnen. Immer vorsichtig und gleichzeitig vertrauensvoll. Ständig auf der Suche nach Rückzugsräumen. Haben dabei aber diesen Zusammenhalt gegen das System, der in einem autoritären Staat entstehen kann.
Es ist das Jahr 1394 nach der Flucht Mohammeds aus Mekka, als ich auf der Messe stehe. Das Jahr, in dem sich das Ende der Handelssanktionen gegen den Iran andeutet. Gerade hat es eine Annäherung im Atomstreit gegeben. Habe es im Hotelfernseher gesehen. Einen Monat später, im Januar 2016, tritt das Wiener Abkommen tatsächlich in Kraft. Das Ende der Sanktionen.
Vor 30 Jahren explodierte das Kernkraftwerk in Tschernobyl. Wie hat der Reaktorunfall die Welt verändert? Wir reisen in die Sperrzone, besuchen das größte Atomkraftwerk Europas und sprechen mit der Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. 12 Seiten Sonderausgabe in der taz.am wochenende vom 23./24. April. Außerdem: Undercover im Iran. Die Sanktionen sind aufgehoben, aber das Land steckt noch voller Rätsel. Unser Autor entschlüsselt ein paar. Und: Eine Liebeserklärung ans Kottbusser Tor in Berlin. Warum Schönheit und Gefahr manchmal nah beieinander liegen. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Deutsche, putzig wie Teddybären
Die Lobby des 15-stöckigen Homa Hotels in der Khoddami Street im Zentrum Teherans ist voller Männer in Businessanzügen. Gierig lauernde Männer aus dem Westen. Italiener in schickem Tuch. Amis mit Fitnessstudiomuskeln und lauten Stimmen. Deutsche, viele mit putzigem Teddybär-Auftreten. Franzosen, elegant und arrogant. Lebende Klischees. Alle bestellen Milchshakes. Bier, Whiskey, Wein darf es nicht geben in der Islamischen Republik Iran. Die Kellnerinnen tippen auf flache Handhelds die Bestellung: Aprikosen- oder Mandel- oder Erdbeershake.
Bezahlen außerhalb des Hotels ist schwer. Karten funktionieren nicht. Am Morgen stehen Schlangen am Hotelcounter. Alle wollen Dollars und Euros in Rial tauschen. Oft aber kann das niemand, alle werden auf morgen und übermorgen vertröstet. Irgendwer organisiert irgendwie iranisches Geld. Eine Inflationswährung. Der Einfachheit halber gibt es eine Zweitwährung. Neben dem offiziellen Rial auf der Straße den Toman. Das sind 10 Rial. Wer ein Preisschild sieht, auf dem 100 steht, muss klären, ob es 1.000 oder 100 sind. Eigentlich sind es immer 1.000. Es gibt keine Toman-Scheine, es gibt nur Rial-Scheine, von denen man im Kopf eine Null streichen muss, je nachdem, was der Verkäufer sagt. Was billig schien, kostet das Zehnfache. Auf dem Heimweg hieß es in Dubais Wechselstuben „Schmeiß es weg“, als ich mit den Resten meiner iranischen Rial kam. Niemand wollte sie.
Nach der Messe besuche ich in Teheran, Karaj, Kashan und Yazd Firmen, die Stoffe und Teppiche herstellen mit alten deutschen Textilmaschinen aus dem Jahr 1969 oder 1958. Ich sehe sogar eine aus dem Jahr 1938, die noch arbeitet. Das ist auch eine Geschichte über deutsche Wertarbeit. Die Firmenchefs sind alte Männer mit großen Armbanduhren und bunten Hemden, die von Vätern und Großvätern erzählen. Sie berichten, wie sie mit Koffern voll Geld über die Grenzen gingen wegen der Sanktionen. Dreimal hörte ich so eine Geschichte. Wie sie clever tricksten, die alten, stolzen Helden.
Ein anderes wichtiges Thema ist die deutsche Abwrackprämie von 2008. Gilt als Politik in Perfektion, „wie wir sie im Iran nie hinbekommen“. Sie wollen alles wissen: Was, man konnte auch einen Toyota oder Fiat kaufen, bekam dennoch 2.500 Euro Zuschuss, auch für ausländische Autos? Einer der drei Brüder, denen Payabaf gehört – hier gibt es viele Familienbetriebe –, kriegt sich nicht mehr ein, er verschüttet Tee. Der Chef von Yazdbaf fragt zweimal nach.
„Flughafen“ heißt: Ich war mal draußen
Sie sitzen ja alle hier und warten auf Autos aus dem Ausland. Eine der beiden staatlichen Autofirmen ist insolvent. Garantien gelten nicht mehr. Die Autos hier seien so schlecht wie die Luft der Städte. Jeder erzählt eine Horrorgeschichte über die schlechte Qualität der Autos von Ikco und Saipa. Einer der Firmenchefs hat einen Porsche, erzählt er. Mit dem er aber zurzeit nicht fahre. Zu viel Neid. Daimler gibt es oft. Der Iran mag ja eine Revolution gehabt haben, aber er ist ein kapitalistisches Land.
Businessvisa kriegt man in Teheran am Iman-Khomeini-Airport nach der Landung, wenn man eine Einladung einer iranischen Firma hat. Dann bekommt man vom Iran Ministry of Foreign Affairs eine Mail mit einer Folge von sieben Ziffern und muss innerhalb von drei Tagen am „Ikap“ sein. Was ich lerne: Wer „cool“ ist, und „cool“ wollen alle sein, sagt Ikap und meint den Flughafen. Ikap bedeutet, man war mal draußen.
Jeder um mich herum weiß inzwischen, dass ich Journalist bin. Weil die Iraner, auf deren Stand ich stehe, mich oft als Journalisten vorstellen. Das Wort wird als Code benutzt. Mit ihm teilen sie anderen mit, dass sie ihnen vertrauen. Du und ich, wir haben jetzt ein Geheimnis, der Typ neben mir ist Journalist. Ich bekomme ein Feeling auf der Messe, das, so vermute ich, Säuglinge in Kinderwagen haben, wenn sich, „Oh ist der süß“, fremde Menschen darüber beugen.
Das hätte eine langweilige Geschichte werden können. Jedoch, sie spielt im Iran und enthält Comedy-Elemente. Wochen später fahre ich mit einem Iraner und seiner Frau, die ich am Messestand kennengelernt habe, zur Hochzeit ihrer Cousine. Die Fahrt dauert sieben Stunden, führt durch die Wüste auf achtspurigen vollen Autobahnen. Kilometerweit immer geradeaus. Links und rechts nichts. Wie in Arizona, nur breitere Straßen. Ich erkundige mich nach dem Geheimdienst, nach Monshi. Wie? Wir brauchen Stunden, das zu klären und sie lachen ihr Auto nass. Da hat wer bei der Übersetzung gepatzt. Monshi heißt Secretary. Nicht Security.
In den folgenden Tagen genügt das Wort „Monshi“, und alle grölen.
Iraner sind kommunikativ. Überhaupt, sie wirken italienisch. Mit viel eindrucksvoll vorgetragener Sprache, Wohlklang mit nicht ganz so viel Inhalt. Stil. Stolz. Eitelkeit. Esskultur. Speiseeis. Unpünktlichkeit. Mama. Übergroßer Respekt vor Mama. Immer die beste aller Köchinnen, die beste aller in allem. Männermode ist extrem wichtig. Die Frisur des Mannes muss sitzen, die Haare sind hinten eher länger. Die Gestik ist lebhaft, die Standardmimik besteht aus einem netten Lächeln, das ein bisschen herablassend wirken kann. Sonnenbrillen sind entscheidend und das Mobiltelefon, immer das neuste.
Frauen mit Pflaster auf den Nasen
Es gibt viele Kommunikationsprobleme, weil die Codes sich unterscheiden. Das Paradebeispiel: Frauen, alle mit Hidschab, das Kopftuch ist vorgeschrieben, haben oft Pflaster auf der Nase. Das bedeutet, denkt man doch, Schönheitsoperation, und fragt sich, warum denn überhaupt, wo die Frauen doch verschleiert sind. Gerade deshalb, habe ich gelernt. Da sind nur ein paar Zentimeter Gesicht, die eine Frau zeigen darf, also sind die wichtig. Der Fokus des Betrachters wird aufs Gesicht gezwungen. Also auf Kosmetik und eben kosmetische Operationen.
Aber ein Pflaster auf der Nase bedeutet nicht unbedingt Schönheitsoperation. Ist eher ein Kosmetikding. Der weiße Streifen über dem Nasenrücken gilt als modische, provokante Botschaft, entspricht in etwa einem Minirock im Stuttgart der siebziger Jahre oder einem Pelzkragen heute. Hinzu kommt: Das Pflaster ist Statussymbol: Ich kann mir eine OP leisten. Sollte dem nicht so sein, musst du das erst mal beweisen.
Es gibt noch eine Botschaft per Nasenpflaster: Ich bin nicht tiefreligiös. Keine Religionspolizei kann etwas sagen, meine Haare sind bedeckt, ich trage die geforderte Hose. Korrekt nach Vorschrift. Meine Botschaft aber klebt in meinem Gesicht. In der Endphase der Sanktionen habe ich viele Pflaster mit roter Farbe gesehen. Dachte anfangs: Blut! Doch Operation. Falsch. Das ist Kosmetikfarbe, die den Pflastereffekt steigern soll.
Wenige tragen das Tuch so, dass man die Haare nicht sieht. Meistens so, dass man sie gut sieht. Der Trick: Ein Zopf wird so gebunden, dass er waagerecht nach hinten zeigt, den Kopf verlängert. Manche nehmen kleine Stoffkissen, um Dutts zu zaubern. Auf den Haaren hängt das Tuch, der Kopf ist sichtbar, das vorgeschriebene Tuch auch, nach hinten verschoben. Wirkt wie Futur. Die Frauen haben verlängerte Köpfe. Wie Aliens in Science-Fiction-Filmen. Auf der Messe sehe ich Frauen mit pinkfarbenem Haar. Mit blauem. Schrille Strähnen. In Lokalen gibt es das Ritual, den Hidschab zu richten: Abnehmen. Haare zeigen. Ordnen. Tuch wieder aufziehen. Dabei lächeln. Botschaften wie Pflaster rot-weiß.
Die Mitarbeiterin der Firma, die meine Einladung organisierte, sagte, man dürfe offiziell nicht mit Apple-Produkten in den Iran. Die Monteure der Firma, die dort Maschinen reparieren, würden ihre jedoch mitnehmen. Ohne sie könnten sie nicht auf Montage. Alle Daten, die man für so eine bis zu vierzig Meter lange Maschine braucht, seien da drauf. Monteure nehmen Macs mit. Mir riet sie ab. Ich nahm Mac und iPhone mit.
Einziges deutsches Wort: „Abwrackprämie“
Als ich nach der Ankunft nachts vom Ikap ins Hotel fuhr, sah ich zweimal Apple-Werbung. Groß. Beleuchtet. Eindeutig. In den folgenden Wochen überall iPhones. Noch nie erlebte ich so eine Ballung. Visitenkarten interessieren keinen. Alle sind, obwohl sie eigentlich nicht dürfen, bei WhatsApp, Facebook, Instagram, vor allem aber Telegram. Sie wollen sofort Kontakt.
Oder Coca-Cola, amerikanischstes aller Getränke. Gibt es im Iran nicht. War ich überzeugt. Gibt es by authority of The Coca-Cola Company by Khoshgovar Tehran Company, Imam Khomeini Boulevard, Caspian Industrial City, Qazvin, Iran. Gleiches Geschäftsprinzip wie in Deutschland: lokale Firmen, die von Coca-Cola Formel und Lizenz kaufen. Schon immer.
Es ist ein journalistisches Muss, die Namen der Interviewpartner zu nennen. Soll ich? Die Iraner sagen: „Ja klar, kein Problem.“ Aber ich will sie nicht schreiben, um sie zu schützen. „Ach was“, mailen sie. Monshi heißt Mozhgan Khanali, 26. Abdul Mashadi, 46, ist der Besitzer von Texofin. Nashme, 42, seine Frau. Mohsen Fatuhi, 28, arbeitet für ihn. Dessen Frau, Mahsa, 26, in einer Fabrik, die Ikea-Teppiche produziert. Die beiden nehmen mich mit zur Hochzeit ihrer Cousine. Die alten Firmenlenker, die als einziges deutsches Wort „Abwrackprämie“ kennen und zappeln, wenn man davon erzählt, sind Abdul Peidayesh Fard, 70, und Astane Dari, etwas jünger. Wie viel, will er nicht sagen.
Im Kino. Wegen „Mohammed Razul“, des teuersten und aufwendigsten Films, der im Iran je gedreht wurde. Ein Monster von einem Film, dreieinhalb Stunden lang. Schildert die jungen Jahre des Propheten. Gut, er fängt mit dem Großvater von Mohammed an, und über den Vater lerne ich auch viel. Tolle Kamera, tolles Licht, tolle Ausstattung, opulent, epische Landschaft, so viel davon hab ich noch in keinem Hollywoodfilm gesehen. Jedoch, „Mohammed Razul“ hat Probleme. Man darf sich als Muslim kein Bildnis von Mohammed machen. Das ist auch der Grund des Karikaturenstreits.
So sehe ich dreieinhalb Stunden ein Kind, einen Jüngling, einen Mann von hinten, von der Seite, hinter einem Kamel, so in der Sonne, dass sein Gesicht unsichtbar ist, von vorne, aber jemand davor verdeckt das Gesicht. Wahnsinnsleistung des Regisseurs, eine Abfolge von Zaubertricks, immer wieder kommt wer ins Bild, stellt sich vor Mohammed, in letzter Millisekunde. Das war spannend, ein ganz besonderer Aspekt. Ich wusste, dem sehe ich nie ins Gesicht, und trotzdem hoffte ich drauf. War wie wenn ich den Mörder am Anfang erahne und trotzdem weiterschaue. Das Kino riesengroß und voll. Viele Familien mit Babys, schreiend, heulend. Popcorn. Softdrinks. Pärchen, die Händchen halten. In der Reihe vor uns sah ich … ich würde sagen, da waren Hände unter fremder Kleidung.
„Do you love Jesus“?
Auf dem Burj Milad, dem Fernsehturm, laut dem großen Schild am Eingang der achthöchste Turm der Welt, da sind sie stolz drauf, kam ein junger Mann auf mich zu und fragte, woher ich komme und „Do you love Jesus?“. Ich zucke mit den Schultern. Er: „Do you love Jesus?“ Gegenfrage: „You?“ Er: „Yes. Do you love Jesus?“ Ich auf Englisch: „Kann ich nicht sagen.“ Er bettelt fast: „Do you love Jesus?“ Ich, hilflos: „Nein.“ Er, drängend: „Do you love Jesus?“ Ich auf Englisch: „Genug, ich gehe.“ Ich eile. Später erklärt Monshi, „Do you love Jesus?“ sei ein Code, die Frage, ob ich mit ihm ins Bett will. „Gay Talk“ sagt sie. Im Iran? Auf Homosexualität steht die Todesstrafe.
Monshi, für mich zu dem Zeitpunkt vom Geheimdienst, sagt, im Iran gebe es alles. Er sei nicht anders als der Rest der Welt. Eine wichtige Botschaft, hoffend, beschwörend ausgesprochen. Mozhgan Khanali will wissen, wie ich wohne. Ob ich ein Auto habe. Was für eines. Ob ich schon mal in New York war. Autos sind ein großes Thema im Iran. Was ich arbeite? Consultant halt. Wohin ich in Urlaub fahre. Sie will wie ich Alltag lernen. Ich frage wieder nach ihrer Pistole. Sie schaut wütend.
Ich führe Interviews mit Funktionären und Firmenchefs. Über allem schwebt: Wir wollen endlich Business machen, ernst genommen werden. Oft höre ich: „Unterschätzt uns nicht, wir sind nicht so blöd wie die Araber am Golf.“ Mohammad Moravej Hosseini, der Chef des iranischen Textilarbeitgeberverbands, sagt das wortwörtlich. Zweimal. Er ist klein, hat ein Doppelkinn, einen runden Kopf mit Haarkranz. Besitzt vier Teppichfabriken in Shiraz und Kashan. Sein Büro in Teheran ist ein Palast mit einem fünfstöckigen neuneckigen Foyer.
Moravej hat seit zwanzig Jahren ein Apartment in Mönchengladbach. Dort gibt es große Textilmaschinenhersteller, Montforts und Karl Mayer, also sei er oft dort. Gestern habe er mit dem Minister gesprochen. Der wolle der Textilindustrie 450 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen. Für Investitionen. Der Iran hat so was wie eine kapitalistische Planwirtschaft. „Wir müssen unsere Kapazitäten verdoppeln. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit.“ Die nächsten vier Jahre gingen 4,5 Millionen Menschen von Unis in die Arbeitslosigkeit. Niemand investiere, keiner kaufe neue Maschinen. Stillstand. Jetzt aber: „Hunger for new machines“.
Moravej erzählt beim nächsten Glas Tee, „der Iran war immer an Deutschland orientiert. Wir mögen die Engländer nicht, die Amis nicht, die Russen nicht. Historisch bedingt. In den zwanziger Jahren kamen die Deutschen und halfen uns mit Brücken, Schienenstrecken, Elektrizitätswerken, Stahlwerken.“ Er habe an der Technischen Hochschule seinen Abschluss gemacht. „Deutsche Gründung, deutsche Lehrer.“
Auf der Hochzeit saßen die Männer in einem Raum. Ich dachte immer, wir Deutschen schlingen. Nein, im Iran wird Essen geschaufelt. Weltrekordtempo. Sie reden über Reissorten wie Deutsche über Weinreben, es geht um Feinheiten. Der Bräutigam freut sich, mich zu sehen. Ich bin auf die Hochzeit geschleust worden. Der Bräutigam sagt, er sei soooo stolz, mich auf dem Fest zu haben. Stellt mich vielen vor. Wieder dieses Baby-im-Buggy-Gefühl. Die Frauen sind in einem anderen Raum. Kein Kontakt während der Feier. Junge Männer fragen, unabhängig voneinander, dreimal, ob ich im Krieg gekämpft habe. Langes Gespräch mit dem ersten, bis klar wird, er meint den Zweiten Weltkrieg. Bei den anderen kann ich das dann schneller klären.
Stau, Smog und Straßenchaos
Die Frauen haben getanzt, erzählt Mahsa. Nach dem Fest fahren wir im Korso durch Yazd. An roten Ampeln springen die Männer aus den Autos, tanzen zu Musik aus den Autoradios. Es wird gehupt, Menschen klopfen Rhythmen auf Autodächer. Ich hatte gelesen, es gehöre zum Protest junger Iraner, mit verdeckten Nummernschildern vor Überwachungskameras zu tanzen. Männer und Frauen. Bis Polizei kommt. Zuvor, per Mobiltelefon gewarnt, zischen die Tänzer ab. Sei das Wildeste, was man hier machen könne. In Yazd kommt die Polizei. Ein Polizist tänzelt mit, andere gratulieren dem Bräutigam.
Am Ende der Reise übernachte ich bei Mohsen und Mahsa. Ihre Wohnung liegt näher am Ikap als das Hotel. Wenn ich was gelernt habe in Teheran, dann Stau, Smog und Straßenchaos. Wir waren sieben Stunden in ihrem Auto nach Süden gefahren. Sieben zurück. Stopps an vielen Autobahnraststätten. Sie immer mit Hidschab.
Wir kommen in die Wohnung. Mohsen schaltet den Fernseher an und zappt. Auf dem Großbildschirm laufen Videos, alle auf Ibiza gedreht. Tanzende, schwitzende, zuckende Haut in Großraumdiscos. Die Sender sind türkisch und russisch. „Geht es da so zu“, fragt er. „Schon, aber dürft ihr das sehen“, frage ich. Er schaut, als hätte ich ihn gefragt, ob er Monshi sei.
Unterdessen nimmt Mahsa ihren Hidschab ab, fängt an, ihre langen, schwarzen, glänzenden Haare zu kämmen. Lächelt. Verrückte Situation für einen Fremden im Iran. Wahrscheinlich nur für den. So viel Nähe, so viel Vertrauen, so viel Unsicherheit. „Willst du Tee“, fragt Mohsen.
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