■ Auf der Internationalen Funkausstellung, die heute in Berlin beginnt, preist die Unterhaltungsbranche allenorts das Mediending der Zukunft. Aussichten ungewiß: Rumpelkammer der Träume
Am liebsten wäre es den Managern von Sony bis Philips, wenn die Internationale Funkaustellung (Ifa) in Berlin nicht nur alle zwei Jahre, sondern zweimal im Jahr stattfinden würde. So dringend braucht die Unterhaltungsbranche die größte TV-Messe der Welt als Konjunkturlokomotive.
Der Elektronikbranche geht es schlecht, und daran ist sie selber schuld. Zum einen wirft sie seit Jahren unausgegorene Erfindungen auf den Markt, die nach vollmundiger Ankündigung schnell in der Rumpelkammer landen, zum anderen hat sie sich durch ihren ruinösen Preiskampf ein Volk von Schnäppchenjägern herangezogen, das sich am liebsten an den Fernseher-Pyramiden im Media- Markt bedient. Allein im letzten Jahr ist das Geschäft mit Videorekordern und Fernsehern in Deutschland um 7,4 Prozent auf 17,8 Milliarden geschrumpft, für 1997 wird mit einem weiteren Umsatzrückgang gerechnet.
Auch heuer wird von den Ausstellern nichts unterlassen, um so zu tun, als werde das Medium wieder einmal neu erfunden. „Megatainment“ und „Web-TV“ stehen für nichts anderes als für jene Symbiose aus Glotze und PC, von der sich die Öffentlichkeitsarbeiter der Unterhaltungsbranche der Welt schon seit geraumer Zeit zuraunen, sie werde das Ding der nächsten Jahre. Bereits am Donnerstag stellte ZDF-Chef Stolte einen online-Nachrichtendienst vor, bei dem man das „heute-journal“ per Internet nacharbeiten kann. Doch wie zukunftsträchtig der Markt für derlei ist, weiß seriös niemand zu sagen. Genausowenig, wie groß die Schnittmenge zwischen Computerusern und Couchpotatoes ist.
Das andere große Ding der diesjährigen Funkausstellung ist eines, das es auch schon vor zwei Jahren werden sollte: Das digitale Fernsehen. Nachdem es die letzten Jahre nur als Politikum von sich reden machte und das Desaster des TV- Unternehmers Leo Kirch den Gang der Dinge anzeigte, wollen Medienkonzerne und Unterhaltungsbranche nun, daß es endlich losgeht mit dem Zukunfts-TV. Aber dem Fernsehvolk ist dieses bislang herzlich egal. Warum auch sollte es sich dafür begeistern, wenn ihm die TV-Konzerne nun künftig für satte Abogebühren verkaufen wollen, was es bislang überreich bezahlfrei in der Glotze gibt? Denn nichts anderes steht hinter den Slogans vom „eigenen Programmdirektor“, mit dem das Zukunftsfernsehen schmackhaft gemacht werden soll. Wer bei sich selbst als Fred Kogel anheuert, ist schließlich anschließend nicht weniger arbeitslos. Er wird aber für mehr Geld weniger sehen dürfen. Die Telekom kassiert für die Digital-TV-Pläne, die sie gemeinsam mit den beiden beherrschenden TV-Konzernen Bertelsmann und Kirch vorantreibt, ab Herbst auch bei jenen Kabelkunden, denen Digitales schnuppe ist. Dafür heißt das Kabel zur Belohnung künftig „T-Media-Net“.
Das Bertelkirch-Konglomerat wird die Bemühungen über kurz oder lang mit einer Strategie der Angebotsverknappung stützen. Dann kommt die Überführung attraktiver Inhalte in die Bezahlfernsehwelt. Los geht's beim Fußball. Vielleicht ziehen auch Sexfilme. Nur daß beim Sport einstweilen volksseelenverbundene Politiker, beim Sex katholisch inspirierte Mediengesetze Sorgen machen. Die miese Konjunktur, über die die Branche die Stirn kraus zieht, ist möglicherweise für die Pläne gar nicht das Schlechteste: Schließlich wollen die Medienkonzerne gar keine Mehrheiten für ihr Digital-TV. Ein paar Millionen von den happy few würden genügen.
Je arbeitsloser das Volk, desto größer auch das Bedürfnis nach Billig-Entertainment in den von attraktiven Angeboten nach dem Digitalisierungskalkül weitgehend gereinigten Fernsehern. „Tittitainment“ wie die Globalisierungschronisten sagen: Bezahlte Spannung für die einen, werbefinanzierte Einlullung für die anderen.
Eine Branche verdient schon jetzt: die Messeaufbaufirmen. Was Sat.1 oder Sony dieses Jahr in die Hallen unter dem Funkturm klotzen, würde sich so mancher Zuschauer als Eigenheim wünschen. Allenthalben ist man bemüht, ein Ambiente zu schaffen, in dem der Zuschauer noch staunender Mensch und das Fernsehen Faszinosum sein kann. Und deshalb lassen die Sender tonnenweise Aufkleber drucken, denken sich tolle neue Claims aus („Wir zeigen's Ihnen: RTL“) und schicken ihre Stars auf Klassenfahrt in die Hauptstadt. Die sehen den Ausflug allerdings eher als Überlebenstraining, denn trotz Abschirmung durch die Security bleiben unliebsame Kontakte zum Volk der Prospektejäger und -sammler leider nicht aus. Und das will nicht die neuen Modelle von Grundig und Toshiba antatschen, sondern Harald Schmidt und Arabella Kiesbauer. Oliver Gehrs/Lutz Meier
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