piwik no script img

Auf den Spuren des WolfesDas Gold des Forschers

In Niedersachsen helfen Bürgerwissenschaftler, Daten über das Raubtier Wolf zu sammeln. Der Schiss des Tieres ist dabei der Jackpot.

Herdenschutz bei Schafen: Der Esel soll den Wolf abschrecken Foto: dpa

Wolfsberater Peter Schütte hat sozusagen Witterung aufgenommen. Am Tag zuvor hat Polizeihauptkommissar Thomas Suszek um sechs Uhr zwanzig genau an dieser Stelle zwischen Bellen und Bothel zwei wolfsähnliche Tiere gesichtet – und jetzt fragt er den Beamten aus: Welche Farbe? Welches Tempo? Was für ein Schwanz?

„Hochflüchtig“ waren die beiden, meint Suszek, beeindruckend groß, erstaunlich hochbeinig und, ja, sehr imponierend. Am Ende hat Schütte keine Zweifel mehr: Es waren Wölfe. Dies ist also, was man im Berufsleben sowohl eines Polizisten wie eines Wolfsberaters wohl eine heiße Spur nennt.

Somit heißt es jetzt: Das ganze Gelände absuchen. Das Dreierteam teilt sich auf. Tim aus London und Toni aus Lübeck nehmen sich einen südlichen Abschnitt vor, Peter wird allein im Norden unterwegs sein. Letzte Vorbereitungen werden getroffen: GPS-Ortung einschalten, Funkgeräte überprüfen, Formblätter ausfüllen.

Und vor allem nicht vergessen, das Plastikkästchen für Losung mit den Einmalhandschuhen und dem Alkoholfläschchen in den Rucksack zu packen. Denn frische Losung wäre der Jackpot. Aus ihr ließe sich nicht nur der Speiseplan des Wolfes ablesen, sondern per DNA-Test auch ermitteln, zu welchem der zehn oder elf Rudel in Niedersachsen das Tier gehört und ob es an irgendwelchen Krankheiten leidet.

Die anschließende Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet. Die Waldwege, auf denen Wölfe wie Menschen sich bequemlichkeitshalber am liebsten bewegen, sind erst gekiest, dann grasüberwachsen. Spuren sind da kaum auszumachen.

Ein mühsames Geschäft

Vier, fünf Stunden trotten die drei dort entlang, die Augen konzentriert auf den Boden und die Seitenstreifen gerichtet. Ohne Ergebnis. Verbindung halten sie per Walkie-Talkie.

Tim und Toni kennen das nun schon. Es ist der fünfte Tag ihrer Woche als „Bürgerwissenschaftler“, und die Arbeit draußen in der Natur, haben sie gelernt, ist ein eher mühsames Geschäft. Zwölf Frauen und Männer zwischen 20 und 50 Jahren aus England, Australien, den USA und Deutschland treffen sich für eine Woche in der Lüneburger Heide, um etwas über wissenschaftliche Feldforschung zu lernen und mitzuhelfen, genauere Daten über die Wölfe zu sammeln.

Das Projekt

Die Wissenschaftstouren dauern 7 Tage und kosten 1.750 Euro. Enthalten sind darin die Übernachtung im Nabu-Gut Sunder, die Verpflegung und die wissenschaftliche Begleitung. Mit ihrem Beitrag finanzieren die TeilnehmerInnen das Projekt. Die nächsten Termine finden im Juni und Juli 2018 statt.

Veranstalter Biosphere Expeditions ist eine eingetragene gemeinnützige Naturschutzorganisation und besteht seit 1999. Sie veranstaltet derzeit Touren zu 13 verschiedenen Naturschutzprojekten in aller Welt: Tiger in Sumatra, Wale vor den Azoren, Elefanten in Thailand. Am Ende jedes Jahres erscheint ein Report über die Ergebnisse aller Projekte und die Verwendung der dafür eingenommenen Gelder. www.biosphere-expeditions.org

Denn die sind auch in Niedersachsen auf dem Vormarsch. 150 Exemplare und mehr werden es gegen Ende des Jahres sein, schätzen die Biologen. Zuständig für das Erfassen der Raubtiere sind die Jäger und die 120 ehrenamtlichen Wolfsberater. Entdecken sie bei ihren Pirschgängen eine Spur, melden sie sie an das staatliche Wolfsbüro in Hannover. Eine systematische Suche gibt es nicht. Diese Lücke wollen die Bürgerwissenschaftler schließen, wenigstens zu einem kleinen Teil.

Endlose Kartoffeläcker

Drei solcher Teams waren in diesem Sommer vor ihnen da. Die Motivation der TeilnehmerInnen ist so unterschiedlich wie die Berufe, in denen sie arbeiten. Die Investmentbankerin aus London möchte Tieren eine Stimme geben, der Controller aus Stuttgart denkt über einen Berufswechsel ins Naturwissenschaftliche nach, die Psychotherapeutin aus Texas will einfach wissen, wie biologische Forschung funktioniert.

Zwei Tage lang wurden sie vom Veranstalter Biosphere Expeditions und von Wolfsberater Peter Schütte vorbereitet: „Sie lernen, ein GPS zu bedienen, Funde, wie z. B. Knochen, genau zu vermessen, die größeren Wolfs- von den kleineren Hundespuren zu unterscheiden und Fundorte von Losung exakt zu notieren.“ Seitdem sind sie jeden Tag in vier Teams in verschiedenen Ecken der Lüneburger Heide unterwegs, zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Manchmal wechseln sie die Speicherkarten in Kamerafallen, meist aber gehen sie Wege ab, den Kopf streng zu Boden, und sofort in lebhafte Diskussionen verwickelt, wenn sie tatsächlich mal etwas Auffallendes entdecken. Einen Wolf in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen, daran hat zu Beginn der Woche keiner der Teilnehmer geglaubt – offiziell. Klammheimlich hoffte natürlich jeder das Gegenteil.

Die Funde

Wolfsberater Theo Grüntjens begleitet ein anderes Team am Rande des Rheinmetall-Schießplatzes zwischen schier endlosen Kartoffel­äckern und Getreidefeldern. Rehe, Füchse, Hirsche, Dachse und Marder waren hier unterwegs. Aus der Form der Eindrücke liest der pensionierte Förster, dass das Schalenwild in aller Ruhe längs spazierte und zwischendurch auch stehen blieb, was stark darauf hindeutet, dass keine Wölfe in der Nähe waren. „Die Null – also: kein Anzeichen von Wolf – ist ein genauso wichtiges Ergebnis“ sagt er.

Abends werden die Ergebnisse der Teams zusammengetragen und diskutiert. Karten werden an die Wand projiziert, Fotos analysiert, Fundorte mit Nadeln markiert. Zwischendurch gehen Beutel mit ausgebleichten Knochen, der Pfote eines Marderhundes und einem Vogelring herum – Funde des Tages, nicht unbedingt das, was jedermann kurz vor dem Abendessen mit Haferbrätlingen und Rosmarinkartoffeln auf dem Tisch haben möchte.

Sie lernten, ein GPS zu bedienen, Funde, wie z. B. Knochen, genau zu vermessen, die größeren Wolfs- von den kleineren Hundespuren zu unterscheiden und Fundorte von Losung exakt zu notieren

Peter Schütte, Wolfsberater

Ein Behälter mit bestialisch stinkender Wolfslosung ruft dann helles Entzücken hervor: Endlich DNA! Die Kriterien dafür, welche Entdeckungen tatsächlich an das Wolfsbüro in Hannover gemeldet werden und dort Eingang in die offizielle Zählung finden, sind streng. Letztendlich entscheidet Fachmann Peter Schütte.

Eine Spur wird nur dann sicher einem Wolf zugeordnet, wenn sie in geschnürtem Trab verläuft, Tritt in Tritt, Hinterfuß im Abdruck des Vorderfußes – und das auf einer Strecke von mindestens hundert Metern. Aber die edelste Aufgabe des Wolfsforschers ist ohnehin eine andere: „Find a lot of shit!“, fasst Abi aus London prägnant zusammen.

Grundsatzdiskussionen darüber, ob die Rückkehr des Wolfes überhaupt wünschenswert ist, gibt es nicht. Er ist geschützt, basta. „Ich weigere mich, das Lebensrecht von Wölfen zu diskutieren“ – das Diktum des italienischen Wolfpapstes Luigi Botani wird von allen geteilt. Immerhin entgeht den TeilnehmerInnen nicht, dass ihr Einsatz in der Presse und von der Politik kon­trovers diskutiert wird.

Keine Grundsatzdiskussionen

Und wenn Bettina Prelle-van-Hemer, resolute Bäuerin in Barbostel-Witzendorf, leise erzählt, wie im September vor zwei und vor drei Jahren Wölfe ihr Vieh jagten und insgesamt fünf Kälbchen nach und nach an den Bissen eingingen, ahnen sie, dass das Auftauchen der Raubtiere nicht überall die gleiche Begeisterung auslöst wie in ihren naturschutzaffinen Kreisen. Das bleibt einfach so stehen. Umso wichtiger sind exakte Daten – darin sind sich alle auf jeden Fall einig.

Am Ende der vier Wochen beurteilt auch der Wolfsberater die Arbeit der Hobbyforscher höchst positiv. 1.000 Kilometer Waldwege sind die insgesamt 48 Freiwilligen im Verlauf von vier Wochen abgegangen. Sie haben mehrere verlässliche Spuren entdeckt und vor allem auch einige Portionen Losung gefunden.

Wie schrieb doch ein Kollege süffisant über das Experiment in Niedersachsen: „Die Abenteurer scheinen zu ahnen: Mehr als seinen Scheiß werden sie vom wilden Wolf nicht sehen.“ Genau. Aber der Schiss des Wolfes ist nun mal das Gold des Forschers.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!